Milliarden-Träume vom Büromarkt der Zukunft

19.03.1982

Die Computer-Industrie macht eine Strukturkrise durch. Im Bereich der klassischen Computerei ist der Kuchen verteilt. Wir haben auf dem "Sektor der General Purpose Computer einen Quasi-Standard, den IBM festschreibt. Für die Nichtkompatiblen heißt das: Rien ne va plus. Und Produkte von morgen, für das Büro der Zukunft, kann man heute noch nicht verkaufen. Überdies wird der Marktplatz eng, zumal auch Unternehmen von der Textverarbeitung, von der Nachrichtentechnik her den Weg ins Büro der Zukunft suchen. Merkwürdig, daß so viele Anbieter, obwohl sie das Spielchen durchschauen, mitmachen beim Tanz um das goldene Kalb "Bürokommunikation", das noch längst nicht schlachtreif ist. Es erfordert freilich Mut von den Machern der Branche, dies zuzugeben und nicht mit den (Konjunktur-)Wölfen zu heulen, denen vor Hunger der Magen knurrt.

Gewiß: Das Investitionsklima ist auch in der Datenverarbeitung derzeit nicht das beste, und insbesondere der Mittelstand hält sich mit Aufträgen zurück. Hierin jedoch den alleinigen Grund für die Einbrüche vieler Computerfirmen zu sehen, geht an den Tatsachen vorbei. Die tiefere Ursache ist vielmehr eine Anwendungslücke, die von den Anbietern mit den vorhandenen Produkten und Software-Werkzeugen nicht geschlossen werden kann. "Wenn es uns nicht gelingt, ingenieurmäßige Verfahren zu entwickeln", erklärte jetzt Klaus Luft, Vorstandsvorsitzender der Nixdorf Computer AG, "dann können wir einen breiten Markt vergessen." Gemeint war auch der Markt der integrierten Bürosysteme.

Nixdorf gehört allerdings zu den wenigen DV-Unternehmen, die im vergangenen Jahr noch zweistellige Zuwachsraten vorweisen konnten. Und Nixdorf hat angekündigt, Technologie für die Büro-Integration zu schaffen und sie in Anwendungen umzusetzen, die dem Benutzer einen Effizienzvorteil bringen.

Die Schlußfolgerung ist eindeutig: Luft sieht ein krasses Mißverhältnis zwischen dem Tempo der technologischen Möglichkeiten und dem Tempo der Anwendungsumsetzung. Daher die starke Betonung des Anwendungsnotstandes durch den Nixdorf-Vorsitzenden, der sein Haus im Besitz der richtigen Schlüssel zum vermeintlichen Milliardenmarkt "Bürokommunikation" wähnt. Dies sind die Antworten der Paderborner auf die Herausforderung:

- neue Produkte, wie das digitale Telefon-Vermittlungssystem 8818 (siehe Seite 1);

- neue Formen der Erprobung von Bürokommunikationsanwendungen in Pilotprojekten - gemeinsam mit ausgewählten Kunden;

- Local Area Networks (LAN) auf der Basis von automatisierten Nebenstellenanlagen (PABX = Private Automated Branch Exchange) oder Bus-Systemen (Ethernet)."

Nun gehört es zum Geschäft, derartige Absichtserklärungen abzugeben. Noch ist ja völlig offen, wie der Markt entscheiden wird. Gleichwohl kann den Nixdorf-Mannen nicht nachgesagt werden, daß sie die Stimmung bei den Anwendern unterschätzten und die eigenen Fähigkeiten überbewerteten. In Paderborn weiß man, daß ein Nebenstellen-Announcement noch keinen Telefonhersteller macht. Und eine Schreibmaschine an einen fremden Rechner anzuschließen, ist noch keine Netzwerk-Großtat. Hatten die Westfalen bisher lediglich an Insellösungen gearbeitet, so stehen sie jetzt vor der ungleich schwierigeren Aufgabe, völlig integrierte Systeme für die Verarbeitung von Daten, Text, Bild und Sprache zu bauen.