Milliarden-Poker

02.12.1983

Die 7,5-Milliarden-Klage der IBM muß dem Halbleiterproduzenten National Semiconductor (NatSemi) und dessen PCM-Filia National Advanced Systems (NAS) wie ein Schlag ins Gesicht vorkommen. Ließ sich Big Blue den Mitte 1982 inszenierten Spionage-Thriller um Extended-Architecture-Geheimnisse vor einigen Wochen bereits nach einem außergerichtlichen Vergleich (Entschädigungssumme 300 Millionen Dollar ) von Hitachi honorieren, so soll es jetzt offensichtlich in einem Aufwasch zwei anderen unliebsamen Konkurrenten an den Kragen gehen. Dabei entbehrt sowohl die Höhe der IBM-Forderung als auch die Wahl der Adressaten einiger Logik. Als unglückliche "Mittäter" sollen NatSemi und NAS um ein Vielfaches mehr berappen als der einstige Hauptangeklagte Hitachi. So stellen sich die Betroffenen denn auch die beklemmende Frage: Ist der juristische Frontalangriff des Marktführers tatsächlich ernst gemeint, oder stellt er lediglich eine Form der psychologischen Kriegsführung dar, die die PCM- und Halbleiterkunden verunsichern und somit die NatSemi/NAS-Geschäfte blockieren soll?

Wie auch immer: Was an dem Milliarden-Poker zunächst als Farce erscheint, dürfte für die Beklagten in jedem Fall mit Blessuren verbunden sein. Gewinnt IBM den Schadenersatzprozeß, müssen NatSemi/NAS (Jahresumsatz 1982: eine Milliarde Dollar) auch nur einen Bruchteil der geforderten Summe zahlen, scheint ein finanzieller Kollaps unausweichlich. Bekanntlich ziehen sich aber derartige Gerichtsverfahren meist über mehrere Jahre hin.

Bleibt zu fragen, was IBM letztendlich mit dem begonnenen Scharmützel bezweckt, ob hinter der gerichtlichen Attacke gar Methode steckt. Sicher scheint, daß Big Blue derzeit auf alle Aktivitäten des amerikanischen Telefonriesen AT&T, der sich schon länger für einen Schlagabtausch mit dem Computer-Champion rüstet, mehr denn je gereizt reagiert.

Das gilt wohl auch im Falle NatSemi: Der kalifornische Halbleiteranbieter hatte in den letzten Monaten mehrfach geäußert, einer Zweckehe mit AT&T nicht abgeneigt gegenüberzustehen. Derartigen "Paarungsgelüsten" will IBM-Chairman J. R. Opel mit der eingereichten Klageschrift anscheinend rechtzeitig vorbauen.

Da NatSemi mit seinem Chip-Angebot ausschließlich Computerhersteller bedient, die in Konkurrenz zu IBM stehen, dürfte die dräuende Wolke der Milliardenklage das Geschäft der Kalifornier zunächst nur am Rande berühren. Mit baldigen Einbrüchen kann da wohl eher NAS rechnen. Mainframe-Benutzer, die durch die XA-Bangemache Big Blues bereits deutlich sensibilisiert sind, werden sich nun noch reiflicher überlegen müssen, ob sie bei einem PCM-Lieferanten kaufen wollen, dessen Existenz am seidenen Faden hängt. Rhetorik-geschulte IBM-VBs werden es sicherlich schaffen, ein neues Schreckgespenst an die Wand zu projizieren.

Mit dem Kauf der von Hitachi gelieferten NAS-Jumbos gehen deutsche User jedoch nur bedingt ein Risiko ein. Wie man hört, ist die Düsseldorfer Niederlassung des japanischen Hardwareproduzenten so gut mit Manpower bestückt, daß sie bereits heute die gesamte Wartung und den technischen Support übernehmen könnte.

Selbst wenn die Attacke gegen NatSemi/ NAS nur als Beschäftigungstherapie für die einige hundert Mann starke Juristen-Crew geplant ist, die nach Einstellung des Antitrust-Verfahrens vor aufgeräumten Schreibtischen sitzt-gelernt haben die IBM-Mitbewerber alle mal: Wer sich heute gegen Big Blue behaupten will, muß mit harten Bandagen antreten.