Von der Forschungsphase gelangt man jetzt zum praktischen Einsatz:

Mikros sollen KI. vom Hohen Olymp holen

06.12.1985

Die meisten zur Wissensdarstellung konzipierten Werkzeugsysteme für Mikrocomputer sind erst seit relativ kurzer Zeit auf dem Markt. Für den Einsatz in einem breiten kommerziellen Anwendungsgebiet fehlen ihnen noch wesentliche Bestandteile. Das verfügbare Angebot nehmen Edzard de Buhr* und Volker Friedrich* unter die Lupe.

Ein mögliches Einsatzgebiet für ein Expertensystem ist die Beratung bei der Finanzierung von Immobilienkäufen. Dabei wird ein Mikrocomputer eingesetzt, um die für den jeweiligen Beratungsfall günstigste Finanzierungsart zu bestimmen und mögliche Alternativen aufzuzeigen. Dabei sind Kosten des Objekts und des Kaufs, vorhandene Bausparverträge, Barkapital, sonstige Vermögen, aktuelle Kreditkonditionen, Steuerentlastung sowie mögliche Monatsbelastung zu berücksichtigen.

Der Finanzierungsberater wird sein Expertenwissen in einer Reihe von Aussagen festhalten:

Sind nicht zuteilungsreife Bausparverträge vorhanden, auf die weniger als 50 Prozent der Bausparsumme eingezahlt wurde, und ist ausreichend Barkapital vorhanden, so kann eine Aufstockung auf 50 Prozent sinnvoll sein, da der Bausparvertrag dann günstig zwischenfinanziert werden kann.

Für Bausparverträge sind bei der Finanzierungsberatung relevant: Vertragshöhe, Istzustand - Guthabenbestand und Zuteilungstermin (Freigabe des Bausparkredits) - sowie Sollzustand nach möglicher Aufstockung also Guthabenbestand und Zuteilungstermin .

Zwischen dem Guthabenbestand und dem Zuteilungstermin besteht ein Zusammenhang. Ein höherer Bestand ergibt entsprechend den Vorschriften der Bausparkasse einen früheren Zuteilungstermin.

Die aktuellen Werte der Bausparverträge sind im Großrechner der Bausparkasse in einer Datenbank abgelegt und müssen dort abgefragt werden.

Der Experte hat sein Wissen hier in unterschiedlicher Weise formuliert: im ersten Fall als Regel, im zweiten durch Strukturierung relevanter Werte, im dritten durch Darstellung eines Zusammenhanges zwischen einzelnen Werten, im vierten durch Beschreibung der Vorgehensweise. Ziel ist es, die Formulierungen möglichst unverändert in das Expertensystem zu übertragen.

Für dieses Einsatzbeispiel ergeben sich damit folgende Anforderungen an das Werkzeugsystem:

- Die vom Experten aufgestellten Regeln müssen eingebracht werden können.

- Die "natürliche" Datenstruktur soll erhalten bleiben.

- Die Zusammenhänge zwischen den Daten sind in einfacher Weise darzustellen.

- Ein Zugriff auf den zentralen Datenbestand der Bausparkasse ist anzustreben, damit aktuelle Kundendaten, die gültigen Kreditkonditionen und weitere häufig wechselnde Faktoren berücksichtigt werden können.

Zum Einsatz in Expertensystemen eignen sich neben der regelbasierten Wissensdarstellung auch andere Verfahren, die mit den Regelmengen verknüpft werden können. Hierzu gehören insbesondere Techniken der objektorientierten Programmierung. Bei dieser Wissensdarstellung versucht man, die Betrachtungsweise des Experten in der Wissensbasis nachzubilden.

Die Struktur Bausparvertrag aus unserem Einsatzbeispiel wird als Rahmen mit allen zugehörigen Eigenschaften abgelegt. Die Zusammenhänge zwischen dem Guthabenbestand und dem Zuteilungstermin werden dabei wie folgt realisiert:

Im "Istzustand" können der Guthabenbestand und der Zuteilungstermin nur gelesen werden. Ein Schreibzugriff führt zu einer Fehlermeldung.

Im "Zielzustand" wird der Zuteilungstermin nicht als Wert gespeichert, sondern durch zwei Verarbeitungsvorschriften repräsentiert:

Bei einem Lesezugriff bestimmt das Programm den Zuteilungstermin aus dem Guthabenbestand und den übrigen Rahmenbedingungen.

Bei einem Schreibzugriff auf den Zuteilungstermin erhöht es den zugehörigen angestrebten Guthabenbestand so, daß der gewünschte Zuteilungstermin unter sonst gleichbleibenden Bedingungen erreicht wird.

Lese- und Schreibzugriffe auf den Zuteilungstermin bewirken hier unterschiedliche Hintergrundaktionen.

Die Tatsache, daß die meisten angebotenen Systeme eine Verknüpfung der Daten des Expertensystems (Wissensbasis) mit ,dem vorhandenen Datenbestand des Anwenders nicht vorsehen, ist ein entscheidendes Hindernis für den breiten Einsatz der Werkzeugsysteme. Der Einsatz der Expertensysteme bleibt dadurch notwendigerweise isoliert.

Im Unterschied zur konventionellen Programmierung erlauben Werkzeugsysteme einen natürlichen Zugang: Regeln, Strukturen und Zusammenhänge finden sich im System wieder. Das Werkzeugsystem stellt Techniken zur Verfügung, mit denen die Vorgehensweise des Experten simuliert werden kann.

Mit den derzeit angebotenen Werkzeugsystemen können die Möglichkeiten, die die Expertensysteme bieten, nur in beschränktem Umfang erreicht werden. Für ihren Einsatz sollten folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

- Es wird ein Anwendungsgebiet gewählt, in dem das Expertenwissen leicht in Regeln zu fassen ist und diese Form der Wissensdarstellung ausreicht.

- Es ist keine starke Verknüpfung mit dem vorhandenen Datenbestand des Anwenders nötig, insbesondere keine Auswertung von häufig wechselnden Daten.

Entwicklungen, die die angesprochenen Einschränkungen auch im Mikrocomputerbereich nicht mehr enthalten, sind derzeit in der Forschungs- und Entwicklungsphase. Sie beruhen auf Werkzeugsystemen, die auf besonderen Arbeitsstationen entwickelt worden ist. Diese Spezialrechner sind stark auf die in der Künstlichen Intelligenz (KI) verwendeten Programmiersprachen abgestimmt, bieten aber für kommerzielle Anwendungen weniger Möglichkeiten.

*Edzard de Buhr und Volker Friedrich sind Mitarbeiter der ADV/Orga AG, Bereich Mikrosysteme KI., Wilhelmshaven.

Expertensystemwerkzeug

Ein Programmsystem, mit dem der Wissensingenieur in Zusammenarbeit mit Experten ein Expertensystem generiert.

Wissensdarstellung

- regelbasierte Darstellung

Das Wissen wird in Form von Wenn-dann-Sätzen dargestellt. Gelten bei der

Programmabarbeitung die Voraussetzungen (wenn), so wird die Folgerung (dann) als wahr angenommen.

- objektorientierte Darstellung

Zur Wissensdarstellung werden Techniken der objektorientierten Programmierung verwendet:

Strukturierte Objekte, auf die sich das Expertenwissen bezieht, werden dabei als Rahmen ("Frames"), ihre Unterpunkte als Eigenschaften ("Slots") gekennzeichnet.

Zwischen Programmteilen und Daten wird kein Unterschied gemacht.

Wissensauswertung

- Rückwärtsverkettung

Das Programm arbeitet die Regeln von der Folgerung zur Voraussetzung ab. Um die Folgerung einer Regel zu beweisen, werden die Voraussetzungen geprüft und dazu

gegebenenfalls weitere Regeln herangezogen.

- Vorwärtsverkettung

Das Programm arbeitet die Regeln vom Voraussetzungsteil zum Folgerungsteil ab. Wird eine Aussage in der Wissensbasis modifiziert, so werden die möglichen neuen Schlußfolgerungen gezogen. Diese ziehen ihrerseits als Voraussetzungen von Regeln weitere Folgerungen nach sich. Das Ergebnis dieses Prozesses ist eine Aktualisierung der Wissensbasis.

- Hintergrundaktionen

Prozeduren, die vom Benutzer, unbemerkt im Hintergrund ablaufen und eine Wissensbasis modifizieren.

- Unsicheres Schließen

Aussagen und Regeln sind nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gültig, die im Schlußfolgerungsprozeß weiter verarbeitet wird.

Wissensbasismanagement

Prüfroutinen, die bei der Eingabe neuer Regeln und Fakten auf Widersprüche (Konsistenz), auf nicht ableitbare Fakten (Vollständigkeit) oder Überschreitung zugelassener Wertbereiche hinweisen.