Sargon immer noch Marktführer:

Mikros noch ohne Großmeister-Format

28.11.1980

Noch vor etwa fünf Jahren wurde von dem spielerischen Können eines Schachcomputers in Fachkreisen kaum Notiz genommen. Lediglich eine Handvoll Eingeweihter, darunter auch der russische Exweltmeister Dr. Michail Botwinnik (CW-Nr.30,31,1978), vertraten damals die kühne Ansicht, Schachprogramme würden im Jahre 1980 großmeisterliches Niveau erreichen.

Inwieweit diese Vorhersage zutreffend war, stellte sich bei der III. WM der Schachcomputerprogramme in Linz heraus.

Betrachtet man die in diesem Turnier gezeigte Elektrospielstärke der besten vier Programme, so kann man sie lediglich mit der mittleren bis oberen Leistungsgrenze eines Experten vergleichen ( 2000-2100). Um die Schwelle zur Meisterschaft zu erklimmen, fehlen also mindestens 200 Elopunkte. Es ist allerdings nicht abzustreiten, daß die leistungsfähigsten Großrechnerprogramme wie "Belle" oder "Chess 4.8" zu ersten Simultan- und Blitzspielgegnern auch für renommierte Großmeister geworden sind.

Wie steht es aber um die Leistungsfähigkeit der auf dem deutschen Markt erhältlichen Mikro-Schachcomputer?

Ein Vergleich der WM -1980- Endstandstabelle aus Linz (vgl. CW-Nr.43 vom 24. Oktober 1980, Seite 36) mit den Ergebnissen der WM 1980 der Mikrocomputer (Tabelle 1), die vom 4. bis 6. September 1980 in London stattfand, der das wahre Leistungsgefälle zwischen beiden Computerklassen veranschaulichen soll, ergibt ein weniger erfreuliches Bild:

Das beste nichtkommerzielle Mikro-Schachprogramm "Bebe" von Tony Scherzer aus lllinois, USA, belegte den 6. bis 11. Platz, "Mychess " des Amerikaners David Kittinger auf einem Cromemco-Mikrocomputer rangierte an 12. Stelle von insgesamt 18 Teilnehmern.

Enttäuschend das Abschneiden des Mikrocomputer-Weltmeisters 1980 "Chess Challenger Voice": Das Spitzenprodukt des US-Herstellers Fidelity Electronics, Florida, fiel in der Turniertabelle auf den letzten Platz zurück.

Wer allerdings glaubt, daß der seit kurzem in Kaufhäusern angebotene "Chess Sensory Challenger Voice" mit dem "Schachweltmeister" identisch ist, der muß eines Besseren belehrt werden.

Nach dem Turnierbericht von Kevin O'Connell war der Mikro-Weltmeister 1980 mit dem Prozessor 6502 bestückt, während auch in dem neuesten serienmäßigen Fidelity-Produkt der Mikroprozessor Z80 beziehungsweise Z80A verwendet wird.

Allem Anschein nach fanden seine geistigen Eltern - das Ehepaar Spracklen aus den USA, das vor kurzem von der Applied Concepts, Inc., Texas (Hersteller von Sargon 2.5) zu Fidelity Electronics (Challenger-Hersteller) überwechselte - nicht einmal die Zeit, das ursprüngliche Sargon-Programm (2.5 beziehungsweise 3.0) auf den Fidelity-eigenen Prozessor Z80 umzurüsten.

Es sieht so aus, als ob Fidelity Electronics bei beiden Meisterschaften (London und Linz) mit Prototypen vertreten war, in denen noch ein Mikroprozessor-6502-Herz schlug.

Insofern sollte die in der Werbung von MI-Service verbreitete Behauptung "Chess Challenger Sensory Voice" sei "das spielstärkste Mikroprozessor-Programm, das je in einen Schachcomputer eingebaut wurde", durch ausführliche Tests kritisch überprüft werden.

Andere Turnierergebnisse belegen nämlich, daß es einen beträchtlichen Leistungsunterschied zwischen dem "Chess Challenger"-Weltmeister-Programm 1980 und den bisher vorgestellten serienmäßigen Produkten wie "Chess Challenger Sensory Voice" oder "CSC 8" gibt. So rangiert "Chess Sensory Challenger 8" im Hamburg-Münchner Sommer-Turnier 1980 (Tabelle 2) erst auf dem sechsten Platz.

Auch der zum Turnier später hinzugestoßene "Chess Challenger Sensory Voice" konnte dem Bericht der Veranstalter G. Piehl und B. Schwarz zufolge nicht in den Kampf um die vordersten Plätze eingreifen. Somit behalten die Produkte "MGS" und "ARB" von Sandy Exports, München, nach wie vor ihre Spitzenposition unter den in der BRD erhältlichen kommerziellen Schachcomputern.

An nächster Stelle konnte sich der erste deutsche Mikroschachcomputer "Mephisto" von Hegener & Glaser Electronic GmbH, München, behaupten. Als eine Überraschung kann man den vierten Platz von "Chess Challenger 7" werten. Dieses ältere Produkt, das etwa vor zwei Jahren auf dem deutschen Markt erschien, war imstande, alle neuesten Modelle der Challenger-Serie zu überrunden.

Die Reihe der leistungsfähigsten Mikroschachgeräte beschließt das verbesserte Modell "Chess Champion Super System III A", vertrieben von Horten AG (Düsseldorf), das den fünften Platz belegen konnte.

Da die serienmäßige Produktion der besten Mikro-Schachprogramme 1980 ("Boris Experimental" und "Chess Challenger") dem Vernehmen nach erst Ende dieses oder Anfang

des kommenden Jahres anläuft, darf man beim Leistungsgefälle der im Handel erhältlichen Mikro-Schachcomputer bis Weihnachten 80 keine nennenswerten Veränderungen erwarten.

Hingewiesen werden sollte auf das Schach-Lernsystem englischer Provenienz "lntelligence Chess", das eigentlich schon für September den deutschen Kaufhäusern angekündigt wurde. Der interessierte Kunde sollte beim Erwerb eines Schachcomputers

vor allem das Preis-/Leistungsverhältnis beachten.

Am günstigsten erschien uns das Angebot des "Mephisto" (Kaufpreis rund 500 Mark), zumal dessen Modul austauschbar ist. Wegen seines durchdachten Bedienungskomforts kommt der spielstärkere "Chess Champion Super System III A" (Kaufpreis rund 400 Mark) in Betracht. Und auch der "Chess Challenger 7" (Kaufpreis rund 400 Mark) bewies im Sommerturnier 80 aufs neue seine Qualität.

Dem Anfänger und weniger geübten Spieler können die preiswerten Modelle "Chess Pocket Champion" und "Delta 1", die für 180 Mark bei Horten zu haben sind, durchaus gute

Dienste leisten. Höheren Ansprüchen (Clubschachspieler, Fernschachspieler, Problemisten) werden die Geräte der Sargon-Reihe (Sandy Exports) gerecht.