Mikromarkt: Absatzprognosen zerplatzen wie Seifenblasen Teil 1

02.03.1984

Udo-Achim Wrieske, Unternehmensberater und Inhaber der Wrieske-Gruppe, Hamburg

Die "EDV im Umbruch - Totale Bürokommunikation - Kostengünstige Datenfernübertragung über öffentliche Netze der Bundespost - Preisverfall auf dem Hardwaresektor - Die Zukunft liegt im Kleincomputer und im Systemverbund": Thesen, die uns seit einiger Zeit beschäftigen und beunruhigen. Ist es denn wirklich so daß der Einstieg eines Klein- und Mittelbetriebs in den Computereinsatz so einfach, so ungetrübt und so rasch erfolgreich ist? Das Gegenteil ist der Fall. Im Kleincomputergeschäft besteht ein echtes Dilemma in der Beratung, dem Angebot an Standardsoftware und der Herstellung individueller Anwendungssoftware.

Absatzstrategisch bestehen gewaltige Unterschiede zwischen dem Verkauf von Groß anlagen der EDV und Kleincomputern. Hierbei spielen nicht nur die Kosten eine Rolle. Beim Verkauf der klassischen Großanlagen trifft man im allgemeinen auf einen Gesprächspartner beim Interessenten und Kunden, der für Fragen des Computereinsatzes kompetent ist. Bei den potentiellen Interessenten für Kleincomputer handelt es sich dagegen um eine Zielgruppe, die in Hardware- und Softwarefragen unerfahren und unwissend ist sowie durch die Medien zum Teil in eine "Benutzereuphorie" versetzt wurde, die falsche Hoffnungen geweckt hat.

Beratung läßt zu wünschen übrig

Angesichts dieser Situation erscheint es unverständlich, daß die Hersteller von Großanlagen der EDV - soweit sie sich im Kleincomputergeschäft betätigen - glauben konnten, Mikros und PCs mit einer Verkaufsstrategie für Großanlagen ähnlichen Methode absetzen zu können. Die Erfahrungen des Marktführers (im Bereich der Großrechner) sind im PC-Bereich auch entsprechend negativ. Man kann guten Gewissens behaupten, daß die Verkaufsstrategie über Großmärkte, so wie sie begonnen wurde, tot ist.

Gähnende Leere herrscht in den Computerabteilungen der Großmärkte. Es sind kaum Interessenten da - demzufolge ist auch weit und breit kein Verkäufer (oder gar Berater?) in Sicht. Oft ist die Suche nach dem geeigneten Verkäufer im Augenblick erfolglos und man wird gebeten, doch noch einmal wiederzukommen. Sollte man "freudig erregt" zum Großmarkt gefahren (und mit 20 000 Mark beladen) sein, um sich den langersehnten Computer zu kaufen, so kehrt man häufig unverrichteter Dinge wieder zurück und fragt sich, ob die Computerentscheidung nicht doch noch einmal zu überlegen wäre.

Die Beratung in Großmärkten (und ähnlichen Verkaufseinrichtungen wie Computershops vielfältiger Formen) läßt, hat man den richtigen Gesprächspartner tatsächlich gefunden, ebenfalls häufig zu wünschen übrig. Den Interessenten beschäftigen weniger technische Fragen, sondern er erwartet insbesondere einen kompetenten Berater für seine branchenspezifischen Probleme, und er sucht überzeugende Antworten auf Fragen, die sich speziell mit Situationen in seinem Betrieb befassen.

Es ist nur schwer möglich, einen "Brancheninsider" zu finden, der den Kunden gut beraten könnte. Zeit ist außerdem Geld! Ein zwei- bis drei- stündiges Beratungsgespräch (noch dazu oft mit der Unruhe einer Ladenatmosphäre verbunden) für ein Dankeschön des Kunden kann doch nicht sinnvoll oder gar rentabel sein.

Gelingt es gar, einen Interessenten durch das Verkaufsgespräch so positiv zu stimmen daß die Präsentation des Gerätes und - falls vorhanden - der Software in Angriff genommen werden kann, wird der Besucher zunächst mit einem EDV-Kauderwelsch bedacht. Nach der "Einführung in die Computertechnologie" (Megabyte, Megaherz, Multitasking) tritt logischerweise beim Kunden eine Verunsicherung ein Werde ich das alles überhaupt begreifen und lernen können? Niemand sagt ihm, daß es gar nicht erforderlich ist, detaillierte technische Zusammenhänge zu kennen, um einen Computer betreiben zu können.

Softwaredilemma ist perfekt

In der nächsten Gesprächsphase wird das Thema Software abgehandelt. Die Systemsoftware ist im allgemeinen unproblematisch. Sie ist vorhanden und funktioniert. Das Problem liegt in der Anwendungssoftware, die branchenbezogen und häufig sogar betriebsspezifisch ausgelegt werden muß.

In den Computergeschäften gibt es heute durchaus zahlreiche Softwarepakete für viele Branchen und viele betriebliche Funktion. Auch die Preise halten sich in vernünftigen Relationen zum Nutzen für den Anwender. Das sogenannte "Standardsoftwarepaket" ist jedoch nur in seltenen Fällen ohne Änderung bei dem Kunden einsetzbar. Nun entsteht ein Problem: Wer führt die Änderung durch - und was kostet sie? Wir wissen, daß die Kosten für die Änderung von Standardsoftware leicht den Kaufpreis erreichen können. Die Entwicklung eigener Anwendungssoftware erfordert im allgemeinen sechsstellige Beiträge und ist - je nach Umfang - unter ein bis zwei Jahren nicht einsatzbereit. Sollte man den Computereinsatz nicht doch noch einmal überlegen?

Neue Absatzstrategien erforderlich

Das Softwaredilemma wird auch nicht dadurch geringer daß die angebotenen Softwareprodukte mit Gütesiegeln (honoriger Softwarehäuser) versehen sind und auch der besten Softwareergonomie entsprechen. Eine ausgereifte Softwareergonomie trägt ganz sicher zu einem erfreulichen und angenehmen Dialog mit dem Computer bei. Für den Bereich der Kleincomputer erscheint jedoch die Frage berechtigt, ob es denn stärker auf die Ergonomie als auf die Berücksichtigung der branchen- und betriebsspezifischen Belange und deren kostengünstigen Realisierung ankommt?

Softwareangebot und -gestaltung sind Bestandteil der Beratung - das Dilemma ist perfekt. Computer und Software sind eben keine einfachen Markenartikel, die problemlos zu vermarkten sind. Es handelt sich um erklärungsbedürftige Produkte, die außerdem noch (zumindest teilweise) individuell gestaltet werden müssen. Diese Erkenntnis, die übrigens auch schon vor den bitteren Erfahrungen einiger Hersteller vorhanden war, müßte es doch eigentlich ermöglichen, geeignete, erfolgreiche Absatzstrategien für Kleincomputer zu entwickeln. Die vorerwähnte starke Erklärungsbedürftigkeit der Produkte nimmt sicher ab, weil wir uns in vielen Lebensbereichen mit der technologischen Entwicklung auseinanderzusetzen haben und diese Entwicklung das Know-how aller Menschen verbessert und die gegenwärtige Beratungs- und Softwareproblematik in Zukunft in einem anderen positiven Licht erscheinen löst. Diese Hoffnung löst aber die gegenwärtigen Probleme nicht.

Die Prognosen über den "Massenverkauf" von Mikros und PCs sind, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, zerplatzt wie eine Seifenblase. Es wäre aus der Sicht der Hersteller zu schön gewesen, Zwischenverkäufer und Vertriebspartner zu finden, welche die Geräte gleich "100-Stück-weise" absetzen.

Wie man hört sind bei den Herstellern bereits Überlegungen entstanden, Großunternehmen verschiedener Branchen zu finden, die große Stückzahlen "en bloc" abnehmen und diese ihrerseits beispielsweise an Kunden und andere Kooperationspartner weiterveräußern. Aussichtsreich erscheint eine derartige Strategie aus den vorerwähnten Erfahrungen nicht.

Die zunehmende Zahl der enttäuschten Kleincomputerkunden wird zukünftige Absatzstrategien entscheidend mitbestimmen; hierzu ist es erforderlich, zur Diskussion und Klärung von Anschauungen beizutragen.