Auf Anregung des BMFT erstellen Industrie, Hochschulen und Institute eine Mikrostudie (Schluß)

Mikroelektronik 2000: Wieder Ruf nach Subventionen

09.10.1987

Über die Bedeutung der Mikroelektronik für die Bundesrepublik Deutschland sowie deren zukünftige Entwicklung hat der aus Vertretern von Industrie, Hochschulen und Instituten gebildete "Arbeitskreis Mikroelektronik" ein Studie vorgelegt. Teil 1 (CW 39, S. 32) umfaßte eine grundsätzliche Diskussion, eine Situationsanalyse und die Beschreibung von Anwendungsbereichen sowie deren Anforderungen. Technische Konzepte beinhaltet der zweite Teil sowie Ziele und Maßnahmen, die der Arbeitskreis definiert hat. Mit dem folgenden dritten Teil endet der Abdruck der Studie.

Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie in von der Elektronik bestimmten Gebieten wie

- Maschinenbau

- Fahrzeugbau

- Elektrotechnik

- Feinmachanik und Optik

- Büro- und Datentechnik

- Wehrtechnik

wird bestimmt durch die Verfügbarkeit mikrolektronischer Schlüsselbauelemente und der dazugehörigen Technologie.

Die Verfügbarkeit mikroelektronischer Bauelemente wird durch die Wettbewerbsfähigkeit der Mikroelektronik-Industrie einschließlich der Zuliefer-Industrie und des dazugehörigen Umfeldes bestimmt.

Unbeschränkter Zugriff auf Dauer gefährdet

Wird die Wettbewerbsfähigkeit unserer Mikroelektronik-Industrie nicht erreicht, so wird auf Dauer der unbeschränkte Zugriff auf mikroelektronische Schlüsselbauelemente gefährdet und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit aller von Elektronik bestimmten Gebiete.

Es ist daher notwendig, Maßnahmen zur Entwicklung einer langfristigen wettbewerbsfähigen Mikroelektronik-Industrie in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen.

Die Wettbewerbsfähigkeit der Mikroelektronik-Industrie hängt u.a. von ihrem Produktionsvolumen ab. Dieses bestimmt auch die Wirtschaftlichkeit des Entwicklungsaufwandes und der Investitionen. Ferner wirkt es sich auch auf Kosten und Qualität von Produkten geringer Stückzahlen aus.

Daraus ergibt sich folgendes Ziel:

- Der Weltmarktanteil der in der Bundesrepublik ansässigen Halbleiterhersteller sollte spätestens im Jahr 2000 dem Eigenbedarf der Bundesrepublik Deutschland entsprechen. Das Erreichen dieses Zieles würde eine offensichtliche Wettbewerbsfähigkeit indizieren und hätte auch die wünschenswerte Steigerung der Eigenversorgungsquote in der Bundesrepublik Deutschland und in der EG zur Folge.

FuE-Aufwand und FuE-Personal

Der erforderliche FuE-Aufwand für die europäischen Halbleiterproduzenten in der Bundesrepublik Deutschland steigt bei dieser Entwicklung von 0,5 Milliarden Mark 1986 auf 3,2 Milliarden Mark im Jahr 2000 und erreicht kumuliert in 14 Jahren die Höhe von 21 Milliarden Mark, Dabei ist unterstellt, daß für die Realisierung des angestrebten Wachstums 20 Prozent FuE-Aufwand vom Produktionsvolumen eines Jahres aufgewendet werden müssen, und zwar 14 Prozent für Produktentwicklung und Entwicklungswerkzeuge und sechs Prozent für Technologieentwicklung. (Der hier nicht eingeschlossene Aufwand in der Zulieferindustrie ist gesondert zu quantifizieren.)

Höherwertige Ausstattung der Arbeitsplätze

Das dafür notwendige, qualifizierte FuE-Personal der europäischen Halbleiterhersteller in der Bundesrepublik Deutschland muß von zirka 2000 Personen 1986 auf 6500 Personen im Jahre 2000 ansteigen. Hierbei ist nur das FuE-Personal der Halbleiter-Industrie betrachtet, nicht das an Hochschulen, in Forschungsinstituten und in der Zulieferindustrie erforderliche Personal für abstützende Forschungsvorhaben.

Dem genannten FuE-Aufwand sind Kosten pro Labor-Arbeitsplatz unterstellt, die von 250 000 Mark 1986 auf etwa 500 000 Mark im Jahre 2000 ansteigen. (Diese Steigerung geht nicht auf Lohnsteigerungen zurück, sondern auf eine höherwertige Ausstattung des Arbeitsplatzes. Den Zahlenangaben liegt die Preisbasis von 1986 zugrunde).

Neben dem FuE-Personal wird zusätzlich qualifiziertes Personal für Fertigung, Qualitätssicherung und Vertrieb benötigt.

Zuwachsinvestitionen

Die Steigerung der Produktion europäischer Halbleiterhersteller in der Bundesrepublik Deutschland von 2,2 Milliarden Mark 1986 auf rund 16 Milliarden Mark im Jahre 2000 erfordert Zuwachsinvestitionen von 14 Milliarden Mark bis zum Jahre 2000. Laufende Ersatzinvestitionen aus Abschreibungen sind in diesen 14 Milliarden Mark nicht enthalten.

Dabei ist unterstellt, daß die gesamte Produktion in der Bundesrepublik Deutschland von 2,4 Milliarden Mark auf rund 18 Milliarden Mark steigt, das heißt, auch nichteuropäische Halbleiterhersteller werden ihre Produktion in der Bundesrepublik Deutschland von 0,2 Milliarden Mark 1986 bis zum Jahr 2000 etwa verzehnfachen. Nicht zu vernachlässigen, wenn auch von geringerer Höhe, sind Investitionen in der Zulieferindustrie und bei der Forschungsinfrastruktur.

Maßnahmen

Das Erreichen des definierten Ziels erfordert gemeinsame Anstrengungen aller in der Bundesrepublik Deutschland mit Mikroelektronik befaßten Kräfte, insbesondere im Hinblick auf Forschung, Entwicklung, Technologie:

- Förderung und Verstärkung der Arbeiten zur Entwicklung zukunftsorientierter Technologien wie Sub - , Misch- und Gallium-Arsenid-Technologien,

- Förderung, und verstärkte Entwicklung der diese Arbeiten beeinflussenden Software-Tools für Prozeßmodellierung,

- Förderung und Entwicklung fortgeschrittener Fertigungstechnik einschließlich deren Automatisierung für Strukturbreiten unterhalb der Lichtoptischen Lithographie sowie der Meß- , Prüf -, Gehäuse- und Montagetechnik auf der Entwicklungsstufe des 16- beziehungsweise 64-MBit-DRAMS (JESSI-Projekt),

- Förderung der Grundlagenarbeiten auf den Gebieten neuer Halbleitermaterialien und physikalischer Wirkungsprinzipien,

- Förderung der Entwicklung der Softwaretools zur Schaltungsentwicklung bis hin zur Designautomation,

- Verbesserung der Peripherie, das heißt der Material- und Chemikalienbereitstellung und -Entsorgung,

- Förderung und Verstärkung nationaler Aktivitäten zur Entwicklung und Bereitstellung von Halbleiterfertigungs- , Prüf- und Montagegeräten.

Ausbildung und Nachwuchsförderung:

- Vergrößerung der entsprechenden Ausbildungskapazitäten an Fachhochschulen und Universitäten,

- Aufzeigen der Chancen, die für Studenten elektrotechnischer Fachrichtungen in der zukünftigen Mikroelektronik liegen. Dabei soll das Berufsbild des in der Mikroelektronik-Industrie und deren Umfeld Tätigen in seiner Bedeutung und Verantwortung herausgestellt werden.

Finanzierung

Um die definierten Ziele zu erreichen, muß die Produktion der europäischen Halbleiterhersteller in der Bundesrepublik Deutschland von 2,2 Milliarden Mark 1986 auf rund 16 Milliarden Mark im Jahre 2000 steigen.

Dies bedeutet, daß bei einem FuE-Aufwand von 20 Prozent des jährlichen Produktionswertes, der infolge der Ausgangssituation notwendig ist, bis zum Jahr 2000 mit einem kumulierten FuE-Aufwand von etwa 21 Milliarden Mark gerechnet werden muß. Hinzu kommen in den nächsten 14 Jahren Zuwachsinvestitionen in Höhe von 14 Milliarden Mark. Damit fällt allein in der Halbleiterindustrie ein Gesamtaufwand von 35 Milliarden Mark bis zum Jahr 2000 an.

Derartige Ausgaben können unter den heute bestehenden gestörten Wettbewerbsbedingungen zwischen Europa, USA und den fernöstlichen Anbietern - insbesondere Japan- von den Halbleiterherstellern nach rein betriebswirtschaftlichen Überlegungen aus eigener Kraft nicht aufgebracht werden.

Aufgrund der Schlüsselfunktion der Mikroelektronik für die gesamte Industrie und Wirtschaft ist es deshalb unumgänglich, daß die Last für die hohen Aufwendungen - wie auch andernorts - von der gesamten Volkswirtschaft mitgetragen wird.

Die Verfasser dieses Memorandums halten es deshalb für zwingend erforderlich, daß die genannten FuE-Aufwendungen bis zum Jahre 2000 in Höhe von 21 Milliarden Mark weitgehend durch Fördermaßnahmen abgedeckt werden. Sie schlagen daher vor, jährlich einen Förderaufwand von über einer Milliarde Mark bis zum Jahr 2000 bereitzustellen. Nur durch eine solche außergewöhnliche und entschiedene Maßnahme ist die anhaltende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu gewährleisten.

Darüber hinaus muß nach Wegen gesucht werden, die Halbleiterindustrie durch weitere monetäre Maßnahmen von den Zuwachsinvestitionen in Höhe von 14 Milliarden Mark zu entlasten.

Ferner sind für die Grundlagenforschung und für den adäquaten Aufbau der Zulieferindustrie flankierende Maßnahmen zu ergreifen.

Kooperationen

Eine wachsende Bedeutung müssen Kooperationen bekommen:

- Kooperationen zwischen Mikroelektronik-Herstellern führen zu wechselseitiger vorteilhafter Spezialisierung: Doppelarbeiten werden eingespart.

- Kooperationen zwischen Herstellern und Anwendern führen zu optimaler gemeinsamer Nutzung des Wertschöpfungsspielraums mikroelektronischer Produkte.

- Kooperationen zwischen Herstellern, Anwendern und Staat sollten zur Definition neuer Standards und Normen führen. Damit wird allen Partnern eine reibungslose Zusammenarbeit ermöglicht und der Weg in neue industrielle Tätigkeitsgebiete erschlossen.

Kooperationen zwischen der Mikroelektronik-Industrie (Hersteller und Anwender) und Hochschulen sowie Forschungsinstituten beschleunigen und vereinfachen den Austausch von Erfahrungen und Ideen und nutzen damit beiden Partnern im Sinne eines erfolgreichen technischwissenschaftlichen Fortschritts.

- Kooperationen zwischen Halbleiterherstellern und Zulieferern sind Voraussetzung für ein bedürfnisgerechtes Angebot an Fertigungsgeräten und Materialien.

Um die Notwendigkeit einer Verstärkung der staatlichen Förderung der Mikroelektronik in der Öffentlichkeit bewußt zu machen, ist die Schlüsselfunktion dieser Technik noch deutlicher offenzulegen.

Flankierende Maßnahmen

Der Basisinnovation Mikroelektronik kommt die gleiche Bedeutung zu wie einst der Einführung der Elektrizität. Sie wird wie diese Erfindung nicht nur die gesamte Technik verändern, sondern bildet auch die Grundlage unseres künftigen Wirtschaftskraft und des damit verbundenen Lebensstandards.

Hinzu kommt die Bedeutung der Mikroelektronik für die Bewältigung der Probleme, die durch den Anstieg der Weltbevölkerung einerseits und durch die Umweltbelastungen in den Industrieländern andererseits entstanden sind. Das qualitative Wachstum erfordert nicht immer mehr Güter, sondern vor allem Umwelt und Ressourcen schonende, sichere Technik. Dies ist nur mit Mikroelektronik möglich.

Diese Öffentlichkeitsarbeit wird im wesentlichen von der Industrie selbst durchgeführt, von den Industrieverbänden wie ZVEI, BDI und von den Ingenieurvereinen VDE und VDI (zum Beispiel über die VDE/VDI-Fachgesellschaft Mikroelektronik). Es bleibt aber auch Raum für politische Initiativen, um ein konzertiertes Vorgehen zu erreichen.