Mikro- und Groß-DV: Wegwerflösung oder Langzeitkonzept

09.03.1984

Die Frage, ob Wegwerflösung oder Langzeitkonzept beim Mikrocomputereinsatz günstiger ist, mutet in vielen Unternehmen wie der Beginn eines neuen DV-Glaubenskrieges an. Für eine Lebensdauer der Mikros von maximal drei Jahren plädieren die Befürworter der "Quick-and-dirty"-Wegwerflösung. Dabei würden sich die Kosten in Grenzen bewegen und der Benutzer schnell eine Lösung erhalten. Später könne das System durch ein stabileres ersetzt werden. Daß diese Vorgehensweise viele Gefahren in sich birgt, darüber sind sich allerdings auch jene klar, die sich Wegwerfkonzepte auf die Fahnen schreiben. Für Hans-Jürgen Steier von der Nürnberger Lebens- und Allgemeine Versicherungs AG steht indes fest, daß die Benutzer vorrangig ihre spezifischen Fachabteilungs-Anwendungen gelöst haben wollen. Dabei sei es ihnen letztlich egal, ob durch einen Klein-, einen Minirechner oder einen Groß-Mainframe. ih

Karl Hans Trick

Leiter des Geschäftsbereiches Betriebswirtschaft, UFD Unternehmensberatung Dr. Fischer GmbH, Stuttgart

Manchmal muten einen die Diskussionen um den PC-Einsatz in Unternehmen schon wie der Beginn eines neuen Glaubenskrieges an.

Die einen feiern euphorisch die phantastischen, schier unbegrenzten Möglichkeiten des neuen Mediums, die anderen fürchten um die mühsam hergestellte Ordnung in ihren EDV-Gefilden. Wenn man von dem emotionalen Eifer und den Glaubensbekenntnissen in Diskussionen und Prognosen einmal absieht, kommt man an ein paar wichtigen Aspekten beim Einsatz von PCs nicht vorbei: PCs können vor allem an dispositiven, planenden und analysierenden Stellen im Unternehmen die Effizienz der persönlichen Arbeit wesentlich erhöhen (zum Beispiel Spread-sheet-Funktionen). PCs eignen sich hervorragend zur Befriedigung ad hoc auftretender temporärer Bedürfnisse. PCs - und das muß auch ins Kalkül gezogen werden - machen den Benutzer selbständig und gleichzeitig unabhängig von der Groß-DV.

Also doch ein Plädoyer für den Wildwuchs - für die Wegwerf-Lösung?

Im Gegenteil, dies kann unserer Meinung nach nur ein Teilaspekt des Phänomens PC sein. Großunternehmen und sonstige Organisationen, insbesondere, da sie in der Regel schon über TP- oder DDP-Netze verfügen, können es sich unserer Meinung nach nicht leisten, in diese vorhandene Infrastruktur PCs zu setzen ohne ein längerfristiges Konzept zu besitzen. Hierzu einige Schlaglichter:

- Da ein ordentlich konfigurierter PC auch leicht zwischen 20000 und 30000 Mark kosten kann, müssen Leitlinien und Prinzipien zur Beschaffungspolitik entwickelt werden.

- Da der Markt für PCs und PC-Software noch längst nicht zur Ruhe gekommen ist, sollte versucht werden die Softwareinvestition zu schützen, indem sie auf ein zukunftsorientiertes, portables Betriebssystem gestellt wird (zum Beispiel Unix).

- Ein Konzept mit Regeln und Verfahren für den Datenaustausch zwischen PC und Zentralsystem ist ebenfalls unabdingbar, um den Datenschutz, die Datensicherheit und die Datenintegrität der unternehmensweiten Datenbestände nicht zu gefährden.

- Für richtig und notwendig halten wir es auch beim zentralen System, Funktionseinheiten zu schaffen - heißen sie nun "user-support-centers" oder ähnlich -, die einmal zur Entscheidungsfindung beitragen, wer wann was macht, und zum anderen dem PC-Benutzer jedwede Unterstützung bei der Beschaffung, der Installation und der Anwendung von Standardsoftware bieten können.

All diese Einrichtungen, Verfahren und Prinzipien sollten aber keineswegs dazu mißbraucht werden, die Initiative und Beweglichkeit der PC-Benutzer und der PC-Anwendungen zu unterbinden. Sie dienen lediglich dazu, ein Mindestmaß an Integration des gesamten Umfeldes zu gewährleisten. Wir können uns vorstellen, daß auf dieser Basis nicht das gefürchtete Chaos eintritt, sondern der Unternehmung ein höchst willkommener Synergieeffekt erwächst.

Hans-Jürgen Steier

Nürnberger Lebens- und Allgemeine Versicherungs AG, Nürnberg

In einem Dienstleistungsunternehmen unserer Größenordnung wird es beim Einsatz von PCs immer beide Strategien geben: die Wegwerflösung und langfristige Konzepte. Entscheidend dabei ist, ob der PC praktisch Mainframe-Funktionen wahrnimmt, zum Beispiel als Kleinrechner vor Ort beim Außendienstmitarbeiter, oder ob er zur Lösung von "Kernproblemen der Zentrale" eingesetzt wird. In der Zentrale ist der Großrechner beziehungsweise das Terminal das Hilfsmittel für die Sachbearbeiter. Nur so kann sichergestellt werden, daß die Daten des Unternehmens richtig gespeichert, verändert sowie gesichert werden und somit die Abläufe einer Wirtschaftsprüfung standhalten. Die PC-Anwendungen sind dagegen in der Regel ad hoc entstanden - schlecht oder gar nicht dokumentiert. Weil sie aber flexibel sind, ist der Benutzer dafür zu begeistern. Müßte der PC-Anwender hier die gleiche Sorgfalt entwickeln, wie sie von der Groß-DV erwartet wird, würde er sehr schnell die Lust an seiner Arbeit und am Programmieren verlieren. Seine Euphorie schlüge in Frust um. Der amerikanische Softwarespezialist Michael Hammer hat vor kurzem auf einer Tagung festgestellt, auf dem PC dürfen keine Anwendungen gefahren werden, die für ein Unternehmen lebenswichtig sind. Dieser Aussage schließe ich mich voll und ganz an.

Bei den eben geschilderten Anwendungen in unserer Zentrale, in der hauptsächlich mit Massendaten gearbeitet wird, handelt es sich um reine PC-Wegwerflösungen. Anders sieht es dagegen mit den Anwendungen aus, die wir von der Groß-DV für den Außendienstmitarbeiter gemeinsam erstellen. Wir stricken die Standardsoftware selbst und stellen sie unseren Agenten für die Verwaltung und Bearbeitung ihrer Daten, für Akquisition sowie ihre Angebote zur Verfügung. All diese Faktoren sind in das Groß-DV-Langfrist-Konzept eingebunden.

Wir sprechen hier von PCs, aber eigentlich handelt es sich um intelligente Terminals. Ich bin überzeugt, daß im Unternehmen die PC-Euphorie nach und nach einer Ernüchterung Platz machen wird. In einem Großunternehmen mit Massendaten ist es einfach erforderlich, die gewünschten Daten von Datenbanker abrufen zu können. Eine wichtige Rolle spielt hierbei auch der Datenschutz, da die abgespeicherten Informationen für das Unternehmen überlebenswichtig sind. Die gesicherten Anwendungen, die auch revisionsfähig sind, können in einem großen Dienstleistungsbereich nur auf diese Art gelöst werden. Die Aussage von Michael Hammer, der Anwender will gar nicht unbedingt den Personal Computer, er will Personal Computing, schildert die Situation sehr treffend. Der Benutzer möchte seine Anwendungen gelöst haben. Dabei ist es ihm letztlich gleich, ob ein Kleinrechner, ein Minirechner oder ein Groß-Mainframe dahintersteht.

Michael Foof

Geschäftsführer der Prisma, Gesellschaft für Projektmanagement und Informationssysteme mbH, Berlin

Wer heute Anwendungen für den Personal Computer entwickelt,

sieht sich in einer völlig anderen Lage als bei Großrechnern.

Während sich in der Groß-DV Hardware und Software weitgehend stabilisiert haben und nur noch evolutionär wandeln, geht es bei den Personal Computern wesentlich hektischer zu. Mittlere und große

Projekte, über Jahre entwickelt, werden in dieser Zeit mehrfach in ihren Voraussetzungen in Frage gestellt: Rechner sind nach zwei Jahren veraltet. Betriebssysteme sind noch nicht standardisiert und werden ständig erweitert, und heute teuer entwickelte Lösungen werden vielleicht schon morgen als billige Standardpakete angeboten. Die erwartete Marktbereinigung hat gerade erst begonnen. Niemand kann sicher sein, ob die eingesetzte Hardware oder Basissoftware in wenigen Jahren noch existieren oder mit den Produkten von heute verträglich sind.

Auch erfüllen die Mikrocomputer trotz aller Euphorie noch nicht alle Erwartungen. Vor allem bei der Verarbeitung großer Datenmengen, der Koppelung mit anderen Rechnern und dem Datenaustausch zwischen verschiedenen Programmen treten heute noch Schwierigkeiten auf.

Angesichts dieser Probleme erscheint es sinnvoll, den etablierten Perfektionismus beiseite zu schieben und "quick and dirty" Wegwerflösungen zu erstellen, die auf eine Lebensdauer von maximal drei Jahren ausgelegt sind. Die Kosten halten sich in Grenzen, der Benutzer kommt schnell zu einer Lösung und später kann das System leichten Herzens durch ein stabileres ersetzt werden.

Diese Vorgehensweise birgt allerdings einige Gefahren in sich:

- Die Geschichte der EDV zeigt, daß Systeme, die genutzt werden, einem ständigen Wandel unterworfen sind. Die Wegwerflösung wird schnell zur Grundlage einer Reihe von Erweiterungen, die durch Designschwächen in der Eile des hastigen Entwurfs immer schwieriger und teurer werden.

- Durch die Erweiterungen entsteht ein System, das mit höheren Kosten als ursprünglich geplant, realisiert wurde. Dadurch fällt es vielleicht schwer, am Ende der geplanten Lebensdauer eine völlig neue Lösung zu entwickeln.

- Nichts ist so dauerhaft wie ein Provisorium: Um das System wirklich abzulösen müssen nach drei Jahren auch die finanziellen und personellen Ressourcen zur Verfügung stehen, die dann wahrscheinlich eher benötigt werden, um die vielen Wegwerflösungen zu warten oder den berühmten Anwendungsstau abzubauen. Die Wegwerflösung hat damit die besten Aussichten, selbst Teil des Anwendungsstaus zu werden.

- Schnell entsteht der Wunsch, die in der Wegwerflösung erzeugten Daten in andere Verfahren einfließen zu lassen. "Schmutzige" Daten können aber leicht die Integrität dieser Verfahren gefährden und damit unerwartete Betriebsstörungen hervorrufen.

- Wegwerflösungen können schlicht als Vorwand für schlampiges Vorgehen benutzt werden, also dafür, ohne ausreichende Analyse mit dem Programmieren anzufangen. Ohne einen übersteigerten Perfektionismus zu propagieren: Das System wird dadurch teurer und schlechter.

Diese Argumente greifen natürlich nicht in allen denkbaren Fällen. Es gibt viele Situationen, in denen es sich nicht lohnt, das gesamte Arsenal der professionellen Softwareentwicklung aufzubieten und in denen der Benutzer durchaus mit einer schnellen Lösung zufriedengestellt werden kann: Bei isolierten, begrenzten Problemen, bei denen allein die Eigenschaften des Personal Computer genutzt werden ohne komplexe Daten- und Verarbeitungsstrukturen und ohne Datenaustausch mit anderen Rechnern.