Management-Fehler im Softwarekonzern

Microsofts verlorenes Jahrzehnt

06.07.2012
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Joachim Hackmann ist Principal Consultant bei PAC – a teknowlogy Group company in München. Vorher war er viele Jahre lang als leitender Redakteur und Chefreporter bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Interne E-Mails und Interviews mit ehemaligen Angestellte belegen: Microsoft hat aufgrund falscher Management-Entscheidungen bedeutende Trends verschlafen.
Microsoft hat in den vergangenen Jahren wichtige Trends verpasst, deswegen steht nicht zuletzt Microsoft-CEO Steve Ballmer in der Kritik.
Microsoft hat in den vergangenen Jahren wichtige Trends verpasst, deswegen steht nicht zuletzt Microsoft-CEO Steve Ballmer in der Kritik.
Foto: Steve Ballmer

Fehleinschätzungen, schlechte Mitarbeiterführung und dürftige Innovationskultur hätten bei Microsoft dazu geführt, dass neue Entwicklungen im Internet und Mobile Computing sowie in sozialen Netzen verpasst worden seien. Das zumindest behauptet der US-Journalist Kurt Eichenwald in seinem Artikel "Microsofts Lost Decade" für die "Vanity Fair", der vorab in Auszüge auf der Online-Seite des Magazins veröffentlicht wurde. Darin analysiert der Journalist die vergangenen zehn Jahre des Softwarekonzerns unter der Regentschaft von Steve Ballmer. Basis seiner Bewertung sind zahlreiche Interviews mit aktuellen und ehemaligen Microsoft-Mitarbeitern und -Managern sowie interne Dokumente, darunter auch E-Mails von Top-Managern. Es habe in den letzten Jahren "erstaunlich törichte Management-Entscheidungen" gegeben, die an Wirtschaftsschulen als Fallbeispiel für unternehmerische Fehler gelehrt werden sollten, schreibt der Autor.

Eichenwald ist nicht irgendein Journalist. Er hat jahrelang als Wall-Street-Reporter für die New York Times gearbeitet, renommierte Preise gewonnen und diverse Bücher über Wirtschaftsskandale veröffentlicht. Eines diente Regisseur Steven Soderbergh als Vorlage für den Kinofilm "Der Informant!" mit Matt Damon in der Hauptrolle. Um das Ausmaß des Miss-Managements bei Microsoft zu veranschaulichen, lenkt der Autor den Blick auf Apple: Mit einem einzelnen Produkt (iPhone) nehme Apple heute mehr ein, als Microsoft mit der gesamten Produktpalette.

Gegeneinander statt gegen Wettbewerber

Ein Grundübel im Konzern ist demnach das interne Bewertungssystem für Mitarbeiter namens "Stack Ranking". Es sieht vor, dass ein bestimmter Prozentsatz der Mitarbeiter vom Vorgesetzten als überdurchschnittlich, gut, durchschnittlich und schlecht eingestuft wird. "Jeder - und wirklich jeder - aktuelle und ehemalige Mitarbeiter, mit dem ich gesprochen habe, betonte, dass das Stack Ranking der destruktivste Prozess innerhalb von Microsoft ist", schreibt Eichenwald. In einem Team mit zehn Leuten sei von Beginn an jedem klar, dass unabhängig von der Qualität jedes Einzelnen, zwei Kollegen eine hervorragende, sieben eine mittelmäßige und einer eine schreckliche Beurteilung bekommen werde. Das führe dazu, dass Mitarbeiter sich vor allem auf den Konkurrenzkampf untereinander und weniger auf den Wettbewerb mit anderen Unternehmen konzentrierten. "Wichtig war nicht, wie ich zu einem besseren Ingenieur werden könnte, sondern wie ich mich besser unter allen anderen Managern darstellen kann", schilderte etwa Brian Cody, ein früherer Microsoft-Angestellter. Die Folgen sind zum Teil verheerend, berichtete Ed McCahill, der 16 Jahre lang bei Microsoft als Marketing Manager beschäftigt war: "Sehen Sie sich Windows Phone an: Man kann sich nur darüber wundern, wie es Microsoft geschafft hat, den Vorsprung einfach zu verschleudern, den man sich mit Windows-CE-Geräten schon erarbeitet hatte. Wir waren der Konkurrenz schon Jahre enteilt und haben es nur wegen der Bürokratie total vermasselt."

1998 gab es laut Eichenwald beispielsweise einen Prototypen für einen E-Reader. Doch als die verantwortliche Technology Group das Gerät Bill Gates präsentierte, senkte der den Daumen. "Ihm gefiel das User-Interface nicht, weil es nicht nach Windows aussah", erinnerte sich ein Programmierer. Durchgefallen sei das Produkt letztlich wegen des Touch-Screens: "Office war für die Eingabe mit einer Tastatur und nicht mit Stift oder Finger gestaltet", fügte ein weiteres ehemalige Projektmitglied hinzu. Durch die Windows- und Office-Ergebenheit verpasse es das Unternehmen immer wieder, auf neu entstehende Technologietrends aufzuspringen. "Ideen zum Mobile Computing mit einer klar besseren Nutzerfreundlichkeit als die am PC wurden von wenigen, aber mächtigen Managern als unbedeutend eingestuft", beklagte Steve Stone, einer der Gründer der Technology Group.

Die Gruppe wurde schließlich der Office-Sparte zugeordnet. Ihr Status wurde verändert, so dass sie sich nicht mehr auf das Entwickeln neuer Ideen konzentrieren konnte, sondern Gewinne erwirtschaften musste. Der Zeitplan wurde um drei bis vier Jahre gestrafft: Zum Schluss stand nur noch eine zentrale Frage im Raum: "Wie können wir damit Geld verdienen?", berichtete Stone.

Kurznachrichten? Interessiert junge Leute nicht

Ein weiteres Beispiel ist der MSN Messenger: Ein junger Entwickler beobachtete, dass viele Schüler AOLs Instant Messanger (AIM) dafür nutzten, ihren Freunden Status-Updates zu übermitteln. Er erkannte schnell, woran es beim Microsoft-Produkt haperte. "Das war zu einer Zeit, als der Facebook-Trend allmählich losging. Die Leute haben eine einfache Möglichkeit gesucht, ihre Gedanken irgendwo in einem kontinuierlichen Strom zu posten", schilderte er gegenüber Eichenwald. Als der Entwickler mit der Idee eines Kurznachrichten-Services zu seinem Vorgesetzen kam, winkt der ab. Er sah keinen Nutzen darin, warum junge Leute sich dafür begeistern sollten, ein paar Worte abzusondern. "Er hat es nicht verstanden", sagte der Entwickler. "Und weil er weder wusste noch glauben wollte, wie junge Menschen die Messenger-Programme nutzten, taten wir gar nichts." Microsoft sei einfach nicht mehr cool, findet ein weiterer Ex-Mitarbeiter. "Früher haben sie auf IBM gezeigt und sich kaputtgelacht", erinnerte sich der ehemalige Microsoft-Manager Bill Hill. "Heute sind sie zu dem geworden, was sie früher verachtet haben." (jha)