Kolumne

"Microsofts Sorgen"

23.05.2003
Heinrich Vaske Chefredakteur CW

Für Anwender ist es eine gute Nachricht: Microsoft ist in seinem Hauptgeschäft erstmals echtem Wettbewerb ausgesetzt. Weil Linux und Open-Source-Anwendungen auf dem Vormarsch sind, muss die Gates-Company ihren Kunden gegenüber beträchtliche Zugeständnisse machen, um ihren Marktanteil halten zu können. Wie das in der Praxis aussieht, berichtet der "International Herald Tribune" unter Berufung auf Microsoft-interne E-Mails: Verkäufer dürfen die Software deutlich billiger anbieten, falls der Kunde mit einem Linux-Einsatz liebäugelt.

Die Nachricht überrascht nicht. Als Microsofts CEO Steve Ballmer vor wenigen Wochen seinen Skiurlaub in der Schweiz unterbrach, um nach München zu fliegen und zu verhindern, dass die Isar-Metropole ins Linux-Lager umschwenkt, war wohl jedem klar, dass er nicht mit leeren Händen kommen würde.

Auch die Tatsache, dass Linux-Berater zurzeit weniger große Projekte betreuen, sondern vor allem "Machbarkeitsstudien" anfertigen, ist ein Indiz für den Stimmungswandel: Unternehmen möchten etwas in der Hand halten, wenn sie mit Microsoft verhandeln. Dass dies trotz Licence 6 möglich ist, bestätigen unter der Hand viele Anwender.

Microsoft wird den Kunden jedoch nur so lange Rabatt einräumen, wie sie dem Softwareriesen aus der Hand zu gleiten drohen. Das wird insbesondere bei Unternehmenskunden vermutlich nicht mehr lange der Fall sein. Politik des Unternehmens ist es, die auf Server-Ebene bereits vollzogene Verflechtung der hauseigenen Produkte stärker auf den Client auszuweiten.

Während bisherige Office-Pakete vor allem der Anfertigung und Gestaltung von Dokumenten dienten, kann Office 11 - nicht zuletzt dank XML - mehr. Es handelt sich um einen Werkzeugkasten, mit dem sich Informationen zusammenführen, verarbeiten und innerhalb von Teams verbreiten lassen. Funktionen wie die Verarbeitung von Backend-Informationen, Content-Management-Eigenschaften und nicht zuletzt Collaboration-Funktionen verlagern das Aufgabenspektrum der Software. Es wird zu einer Art Universal-Frontend für Unternehmensanwender.

Microsofts neues Office wird aber aus Kundensicht nur dann seine volle Wirkung entfalten, wenn möglichst alle Mitglieder der kooperierenden Teams die Anwendung nutzen. Noch besser wäre es, wenn auch die Geschäftspartner mit der Software arbeiteten - und damit gar nichts mehr schief gehen kann, sollten alle auf einem einheitlichen und aktuellen Office- und Windows-Versionsstand sein.

Mit der Akzeptanz der kommenden XML-fähigen Office-Varianten von Microsoft entscheidet sich, ob der Konzern den Angriff der Open-Source-Konkurrenz abwehren und ein neues Kapitel in Sachen Anwenderbindung aufschlagen kann. Die große installierte Basis lässt eigentlich kaum Zweifel daran zu.