Microsofts NT noch nicht reif für Enterprise-DV

Microsofts NT noch nicht reif für Enterprise-DV Server-Betriebssysteme: Studie sieht AIX vorne

08.01.1999
MÜNCHEN (CW) - Microsoft drängt eigenen Marketing-Aussagen zufolge mit Windows NT in den Markt der Enterprise-Server- Betriebssysteme. Daß das Gates-Produkt dort mit den Unix- Platzhirschen aber noch nicht mithalten kann, unterstreicht ein Plattformvergleich des amerikanischen Beratungshauses D. H. Brown Associates (DHBA). Doch auch die einzelnen Unix-Derivate haben ihre Schwächen. Am besten absolvierte IBMs AIX den Parcours.

Unix ist nicht gleich Unix, und Windows NT präsentiert sich als die schlechteste Alternative im Feld der High-end-Server- Betriebssysteme. So lautet das Fazit der New Yorker Experten, die ihre Studie im Jahresrhythmus veröffentlichen. Fünf Unix-Varianten und das Microsoft-OS traten in den jeweils aktuellen Versionen gegeneinander an. Dabei ging es nicht um eine Eignung der Betriebssysteme für die Praxis, sondern lediglich um integrierte Funktionen. Kriterien wie der Service oder die Anzahl der verfügbaren Anwendungen blieben außen vor.

Die Betriebssysteme mußten ihre Kräfte in sechs Kategorien unter Beweis stellen. Darunter fielen der Inter- und Intranet-Support ebenso wie Skalierbarkeit, Systemverwaltung, unternehmensweit verteilte Dienste sowie die Unterstützung von PC-Clients. Als sechste Rubrik schließlich faßte DHBA die Kriterien Verläßlichkeit, Verfügbarkeit und Wartbarkeit (Reliability, Availability und Serviceability = RAS) zusammen.

Im Feld der Kontrahenten trafen die Unix-Vertreter AIX, Digital Unix, HP-UX, Irix und Solaris auf den vermeintlichen Shooting Star, Windows NT Server 4.0 in der Enterprise Edition. Die Untersuchung zeigt, daß Microsoft entgegen vielen Werbeslogans noch kein für den unternehmensweiten Einsatz taugliches Betriebssystem bietet. Tatsächlich konkurriert NT eher mit den ebenfalls Intel-basierten Unix-Derivaten, etwa von SCO (Unixware) oder dem Open-Source-Unix Linux, um den Markt der Abteilungs- Server. Weit erstaunlicher als die Disqualifikation von NT in diesem Feld der Profis ist jedoch, daß HP-UX nur geringfügig besser abschneidet.

Vier der fünf Unix-Derivate erhielten die Gesamtnote "Gut", während sich HP-UX und Windows NT mit einem "Befriedigend" begnügen mußten. In diesem ungleichen Kampf landete der Microsoft- Vertreter in fast allen Bereichen abgeschlagen hinter dem Unix- Feld. Lediglich beim PC-Client-Support konnte NT hinter Compaqs Digital Unix einen zweiten Platz erzielen, was am schlechten Gesamtergebnis aber nichts mehr änderte.

Als Sieger ging das IBM-Betriebssystem AIX 4.3.2 aus dem Wettbewerb hervor. In der Rubrik System-Management belegte das Derivat mit weitem Abstand den ersten Platz. Untersucht wurde die Statuskontrolle von Soft- und Hardware, beispielsweise das Treiber-Handling oder Administrations-Tools. Ferner testete DHBA die Verwaltung der Speicherperipherie sowie Möglichkeiten zur Fernwartung.

In der Inter- und Intranet-Fähigkeit lag AIX ebenfalls an der Spitze. Die Software verfügt laut DHBA über einen großen Fundus an TCP/IP-Technologien. Dies umfaßt die Unterstützung von IPv6 und der Sicherheitsspezifikation Ipsec sowie Lösungen für virtuelle private Netze und den elektronischen Handel. Nach Aussage von DHBA hat IBM unter den bedeutenden Betriebssystem-Entwicklern die "aktivste Rolle eingenommen", was die Bereitstellung von Lösungen für den E-Commerce betrifft.

Diese Aussagen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen. So besteht die Gefahr, daß sich die Marktbeobachter von der umfangreichen E- Business-Kampagne Big Blues haben einfangen lassen - zumal DHBA generell eine IBM-freundliche Haltung nachgesagt wird. Gegen das Argument der Befangenheit spricht allerdings, daß die Analysten ihre Wertung an konkreten und nachprüfbaren Produkteigenschaften und nicht an Versprechungen oder Prognosen festmachen. So hat AIX in den übrigen Bereichen auch nur durchschnittlich abgeschnitten.

Digital Unix 4.0e segelte unter der Flagge Compaqs auf den zweiten Platz. Die Stärken der Software sind laut DHBA im PC-Client- Support und den unternehmensweit verteilten Diensten zu finden. File- und Print-Sharing-Dienste über das Server-Message-Block- (SMB-) und IPX/ SPX-Protokoll wurden hier ebenso abgefragt wie die Paßwort-Synchronisation bei Logons via Network Information System (NIS). Ferner konnten sich die Unix-Derivate bei Verzeichnisdiensten (LDAP, NDS, NTDS), der Netzsicherheit sowie der Java-Unterstützung und dem Network File System (NFS) auszeichnen.

In puncto System-Management offenbart das Digital-Betriebssystem - verglichen mit den übrigen Unix-Vertretern - allerdings noch Nachholbedarf. Bemängelt hat DHBA auch die Skalierbarkeit des ersten 64-Bit-Derivats der Branche. Hierbei spielt eine Rolle, daß Digital Unix im Compaq-Konzern von Unixware und NT am unteren und Open VMS sowie Tandems Nonstop Kernel (NSK) am oberen Leistungsende eingerahmt wird.

Solaris 7 von Sun konnte sich innerhalb eines Jahres vom seinerzeit letzten auf den dritten Platz unter den Unix-Systemen verbessern. Die Umstellung zu einer 64-Bit-Software habe dem Derivat laut DHBA gutgetan, was sich in den ersten Plätzen der Rubriken Skalierbarkeit und RAS niederschlug. Als Vorteile von Solaris 7 zählen die Marktforscher eine sehr gute Ausfallsicherheit, starke softwarebasierte Raid-Speicherfunktionen und ein umfassendes Lösungsspektrum für die Wartbarkeit des Systems auf. Das gute Ergebnis wird lediglich durch den vorletzten Platz in der Sparte PC-Client-Support getrübt. Hier rächt sich der langjährige Anti-Microsoft-Kurs von Sun.

Irix 6.5 von Silicon Graphics schnitt hinter Solaris bei den Testkriterien Skalierbarkeit und RAS an zweiter Stelle ab. In die Wertung kamen Features wie die Cluster-Erweiterung, Kernel-Thread- Architektur sowie die SMP- und Numa-Leistungsfähigkeit (Numa = Non Uniform Memory Access). Darüber hinaus konnten die Derivate Punkte in den Bereichen Fehlertoleranz, Ressourcenverwaltung, Hochverfügbarkeit oder Jahr-2000-Sicherheit sammeln. Zwar reichte es Irix in den Disziplinen nicht für einen ersten Platz, im Gesamteindruck habe das System aber laut DHBA zulegen können.

Damit unterscheidet sich der SGI-Vertreter von Hewlett-Packards HP-UX 11.0, das hinter den Erwartungen der Tester zurückblieb. Während die HP-Software bei unternehmensweit verteilten Diensten noch den Anschluß an das Feld halten konnte, war ihr Rückstand in der Rubrik PC-Client-Unterstützung gravierend. Hier soll jedoch die 64-Bit-Allianz mit Intel sowie eine enge Zusammenarbeit mit Microsoft für Abhilfe sorgen.

Das Schlußlicht im Gesamtvergleich bildet Windows NT 4.0. Zwar habe Microsoft nach Meinung der DHBA-Analysten Fortschritte bei der Integration neuer Features in den Betriebssystem-Kern gemacht. Dennoch sei NT in den meisten Belangen keine ernsthafte Konkurrenz für die Unix-Vertreter des oberen Leistungsspektrums. Sollte Microsoft allerdings einen Großteil der für das neue Release NT 2000 (ehemals NT 5.0) angekündigten Funktionen umsetzen, würden die Karten neu gemischt.

Daß die Untersuchungsergebnisse nicht alle praxisrelevanten Punkte abdecken, räumt auch DHBA ein. Damit Anwender ein komplettes Profil der Betriebssysteme erkennen können, so das Beratungshaus, müßten sie weitere Faktoren in die Berechnungen aufnehmen. Dazu zählten das Portfolio an verfügbaren Anwendungen sowie die Qualität, Supportleistung und Erfahrung des Anbieters. Nicht zu vergessen sei letztlich der Kostenaspekt, der bei DHBA außer acht gelassen wurde. Darüber hinaus, so die Analysten, habe die IT- Industrie mehrfach bewiesen, daß die beste Technologie nicht automatisch den ersten Platz im Markt einnehme.