Nashville soll die Wende bringen

Microsoft will Netscape mit dem Explorer

19.07.1996

"Okay, wir haben die erste Internet-Runde verpaßt. Aber jetzt sind wir alarmiert", bereitet Cornelius Willis, Microsofts Product-Manager für Internet-Tools, die Branche in einem Artikel der "Business Week" auf die Microsoft-Offensive vor. Der Manager weiß dabei sämtliche Vorteile eines Großunternehmens auf seiner Seite. Mit dem Internet Explorer 3 wurde alles unternommen, um technisch zum Stand des Hauptkonkurrenten Netscape aufzuschließen. Allerdings fehlen noch die Java-Unterstüztung sowie Usenet- und Mail-Features.

Nun bewerben die Microsoft-Marketiers das Windows-95-Update "Nashville". Erst dieses Produkt soll, so hofft Gates, den Konkurrenten vom Markt fegen, denn dann wird die Windows-Shell (auch von NT) alle Browser-Eigenschaften erhalten. Die Integration betrifft vor allem das lokale Dateisystem. So kann man in der Browser-Umgebung auf die Ordner und Dateien der eigenen Festplatte zugreifen. Der Benutzer muß den neuen Browser auch nicht verlassen, wenn das Anklicken eines Dokuments via OLE die Textverarbeitung aufruft. Ebenfalls aus der Web-Technik entlehnt ist der neue Menüpunkt "Smart Favorites", hinter dem sich die wohlbekannten Bookmarks verbergen, die man nun auch für "Adressen" auf der eigenen Festplatte verwenden kann.

Laut Microsoft ist der Internet-Explorer 4.0 darüber hinaus die designierte Benutzerumgebung für alle Windows-Betriebssysteme - die, so der Plan, jedoch häufig erneuert werden soll. Doch das ist Zukunftsmusik, denn Nashville wird es nicht vor Anfang 1997 geben. So erreicht der Internet Explorer frühestens im Dezember dieses Jahres das Betateststadium.

Falls Nashville nicht das unrühmliche Schicksal von "Cairo" teilt, dessen Auslieferung immer wieder verschoben und das vor einigen Wochen nun ohne die lange versprochenen objektorientierten Funktionen angekündigt wurde, bedeutet die Software eine große Herausforderung für Netscape. Die Windows-User werden ungern einen integrierten Browser, der zudem kostenlos mit dem Rechner oder dem Betriebssystem geliefert wird, gegen ein Extraprodukt eintauschen wollen.

Netscape schlägt daher den entgegengesetzten Weg ein und versucht, der Branche seinen Browser als vollwertigen Betriebssystem-Ersatz anzudienen. Diese Strategie kann jedoch nur aufgehen, wenn genügend Applets, sprich: Anwendungen, dafür entstehen. Eine Schlüsselrolle spielt dabei auch der Erfolg neuer Hardware wie des Internet-PCs oder der Set-top-Boxen für Fernseher, die Netscape unterstützen will.

Generell stellt sich die Frage, ob der Browser-Markt auf die Dauer überhaupt noch eigenständig bleiben kann, denn auch Apple will Internet-Features in sein kommendes Betriebssystem "Copland" integrieren. So sollen die Anwender künftig mit einem Suchmechanismus in der Art von DECs "Altavista" arbeiten können. Auch bei der Integration des Browsers ist Apple mit dem "Cyberdog" ähnlich weit gegangen wie von Microsoft für das eigene Produkt geplant.