Neue Kartellbeschwerde

Microsoft vs. europäische Cloud-Anbieter

09.11.2022
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Microsoft benachteilige mit Software-Bundles und seiner Preispolitik die Konkurrenz in der Cloud, so der Vorwurf des Branchenverbands CISPE, der offiziell Beschwerde bei den europäischen Kartellwächtern eingelegt hat.
Europäische Cloud-Anbieter werfen Microsoft unlautere Geschäftspraktiken vor und rufen die Kartellbehörden an.
Europäische Cloud-Anbieter werfen Microsoft unlautere Geschäftspraktiken vor und rufen die Kartellbehörden an.
Foto: Brazhyk - shutterstock.com

Microsoft sieht sich mit einer weiteren Kartellklage in Europa konfrontiert. Der Industrieverband Cloud Infrastructure Service Providers in Europe (CISPE) hat am 9. November eine formelle Wettbewerbsbeschwerde gegen den US-amerikanischen Softwarekonzern bei der Europäischen Kommission eingereicht. Damit unterstütze man die Verbandsmitglieder OVHcloud und Aruba, die bereits eine separate Beschwerde gegen Microsoft eingereicht hätten, hieß es in einer Mitteilung des CISPE.

Die Fronten zwischen Microsoft und kleineren europäischen Cloud-Konkurrenten scheinen verhärtet. Die Vorwürfe konzentrieren sich auf die Art und Weise, wie Microsoft seine Produkte wie zum Beispiel Microsoft 365 und Windows immer tiefer mit seinen anderen Software- und Serviceprodukten integriert. Beispielsweise sei OneDrive durch Voreinstellungen überall dort gesetzt, wo Nutzer Daten speichern müssten, und das Videokonferenssystem Teams sei mittlerweile ein Standardbestandteil von Windows 11. "Das macht es fast unmöglich, mit eigenen SaaS-Diensten dagegenzuhalten", werfen die Wettbewerber Microsoft vor.

Vorwurf: Microsoft untergräbt fairen Wettbewerb

Microsoft könne seine eigenen Softwareprodukte in der Azure-Cloud zudem immer günstiger anbieten als die Cloud-Wettbewerber, lautet ein weiterer Vorwurf. Außerdem würde Microsofts Software in den Clouds anderer Anbieter nicht so gut funktionieren, was den Wettbewerb zusätzlich behindere. Durch den Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung untergrabe der Softwaregigant den fairen Wettbewerb und schränke die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher auf dem Markt für Cloud-Dienste ein, klagen die Konkurrenten.

Microsoft hatte bereits im Mai 2022 Fehler zugegeben und angekündigt, die Beschwerden der Cloud-Konkurrenz ernst zu nehmen und künftig besser zu kooperieren. Die Verantwortlichen des Softwarekonzerns räumten ein, dass ihre Softwarelizenzierungs-Praktiken kleinere Cloud-Anbieter in Europa benachteiligen könnten und gelobten Besserung. "Als großer Technologieanbieter sind wir uns unserer Verantwortung bewusst", schrieb Brad Smith, President und Vice Chair von Microsoft, in einem Blog-Beitrag.

Als großer Technologieanbieter sind wir uns unserer Verantwortung bewusst", sagt Brad Smith, President und Vice Chair von Microsoft.
Als großer Technologieanbieter sind wir uns unserer Verantwortung bewusst", sagt Brad Smith, President und Vice Chair von Microsoft.

Microsoft hatte versprochen, enger mit den europäischen Cloud-Anbietern zusammenzuarbeiten. Diese sollen künftig leichter Microsoft-Produkte in ihren eigenen Cloud-Infrastrukturen hosten können. Dadurch werde die Cloud-Konkurrenz wettbewerbsfähiger, hieß es von Seiten des US-Softwareherstellers.

Keine Anzeichen für Ende der wettbewerbswidrigen Liezenzierungspraktiken

Doch das reicht aus Sicht des CISPE nicht aus. Es gebe keine Anzeichen, dass Microsoft wirklich beabsichtige, seine wettbewerbswidrigen Lizenzierungspraktiken schnell zu beenden. Im Gegenteil: "Die neuen Vertragsbedingungen, die Microsoft seinen Kunden am 1. Oktober 2022 einseitig auferlegt hat, fügen der langen Liste weitere unfaire Praktiken hinzu", heißt es in der Mitteilung des Verbands. Microsofts Verhalten schade dem europäischen Cloud-Ökosystem unwiederbringlich und nehme den Kunden die Wahlmöglichkeiten bei ihren Cloud-Implementierungen. Daher sehe sich CISPE gezwungen, eine formelle Beschwerde einzureichen und die Europäische Kommission zum Handeln aufzufordern.

Der Verband, dem auch Amazon Web Services (AWS) angehört, forderte die Europäische Kommission auf, unverzüglich eine formelle Untersuchung gegen Microsoft einzuleiten. CISPE schlägt vor, die 2021 gemeinsam mit dem französischen Digitalverband Cigref entwickelten "Zehn Grundsätze für eine faire Softwarelizenzierung" als künftigen Kontrollrahmen zu verwenden. Diese Prinzipien würden von zahlreichen Anbieter- und Kundenverbänden in ganz Europa und darüber hinaus unterstützt. Sie bildeten faire Best Practices um sicherzustellen, dass die Softwarelizenzen eines marktbeherrschenden Softwareanbieters Kunden nicht an dessen Cloud-Ökosystem binden könnten, so die CISPE-Verantwortlichen. Außerdem soll eine unabhängige europäische Beobachtungsstelle eingerichtet werden, die regelmäßig die Softwarelizenzbedingungen der marktbeherrschenden Softwareunternehmen prüfen soll.

Microsoft kann sich keinen Streit mit den Kartellbehörden erlauben

Für Microsoft, das die neuen Vorwürfe bislang nicht kommentiert hat, kommt die erneute Beschwerde zur Unzeit. Streit mit den Kartellbehörden kann der Softwarekonzern aktuell gar nicht gebrauchen. Microsoft will für 75 Milliarden Dollar den Spieleanbieter Activision Blizzard übernehmen. Diesen Deal prüfen derzeit Wettbewerbshüter weltweit. Nachdem bereits mehrere Abgeordnete des US-Kongresses Bedenken gegenüber der Federal Trade Commission (FTC) geäußert hatten, zog kürzlich die britische Competition and Markets Authority (CMA) nach. Man habe eine Untersuchung eingeleitet und werde prüfen, ob Kunden am Ende höhere Preise zahlen müssten - bei möglicherweise geringerer Auswahl und schlechterer Qualität, kündigten die Kartellwächter auf der Insel an.

"Das DMA wird die digitale Landschaft grundlegend verändern", sagt EU-Wettbewerbskomsissarin Margrethe Vestageräußert sich Vestager in einer Pressemitteilung der EU-Kommission. "Eine kleine Anzahl großer Unternehmen hat eine erhebliche Marktmacht in ihren Händen. Gatekeeper, die eine starke Position auf den digitalen Märkten innehaben, müssen nachweisen, dass sie fairen Wettbewerb betreiben."
"Das DMA wird die digitale Landschaft grundlegend verändern", sagt EU-Wettbewerbskomsissarin Margrethe Vestageräußert sich Vestager in einer Pressemitteilung der EU-Kommission. "Eine kleine Anzahl großer Unternehmen hat eine erhebliche Marktmacht in ihren Händen. Gatekeeper, die eine starke Position auf den digitalen Märkten innehaben, müssen nachweisen, dass sie fairen Wettbewerb betreiben."
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In der EU ist am 1. November 2022 eine neue Verordnung in Kraft getreten, die mehr digitalen Wettbewerb garantieren soll. Mit dem bereits im März 2022 beschlossenen Digital Markets Act (DMA) will die EU-Kommission "unfairen Praktiken" sogenannter Gatekeeper in den digitalen Märkten zu Leibe rücken - also den Betreibern zentraler Plattformdienste wie Google, Meta, Microsoft oder Apple. Diese Unternehmen hätten die Macht, eigenständig Regeln festzulegen und den Marktzugang zu kanalisieren, was zu Wettbewerbsproblemen führen und auf Kosten der Verbraucher gehen könne, argumentiert Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Nach einer halbjährigen Umsetzungsphase tritt die Verordnung Anfang Mai 2023 endgültig in Kraft.