Warum der Softwaregigant trotz guter Zahlen von immer mehr Beobachtern kritisch gesehen wird

Microsoft: Viel Cash und wenig Innovationen

30.04.2004
MÜNCHEN (CW) - Mit gewohnt soliden Ergebnissen hat Microsoft sein drittes Quartal abgeschlossen. Zwar ging der Nettogewinn aufgrund von Sonderbelastungen für den juristischen Vergleich mit Sun Microsystems sowie Kartellstrafen gegenüber dem Vorjahr deutlich zurück, beim Umsatz konnte der Konzern jedoch überdurchschnittlich zulegen. Branchenkenner machen sich dennoch immer mehr Gedanken um die Zukunft der Company. Kritisiert werden vor allem die bis dato unzureichende Diversifikation in neue Märkte und die Verzögerungen beim Windows-XP-Nachfolger "Longhorn".

Auf den ersten Blick dürfte bei Microsoft einmal mehr eitel Sonnenschein herrschen. Betrachtet man jedenfalls die jüngste Bilanz des Redmonder Softwareriesen, stellt sich die gewohnte Routine ein: So weist Microsoft für die am 30. März beendete Berichtsperiode einen Nettogewinn von 1,32 Milliarden Dollar oder zwölf Cent je Aktie aus. Das sind zwar knapp 40 Prozent weniger als die 2,14 Milliarden Dollar oder 20 Cent je Anteilschein aus dem Vorjahresquartal, aber das Ergebnis enthält Sonderbelastungen nach Steuern in Höhe von 1,89 Milliarden Dollar für den vor wenigen Wochen abgeschlossenen Vergleich mit Sun Microsystems und die von der Brüsseler EU-Kommission verhängte Kartellstrafe sowie Kosten von 501 Millionen Dollar für die Ausgabe neuer Mitarbeiteraktien. Es muss also kein großer Rechenaufwand betrieben werden um festzustellen, dass der Gewinn, den die Gates-Company nach Abzug der Einmaleffekte erwirtschaftete, deutlich über den Erwartungen der Analysten von 29 Cent je Aktie liegt.

Auch mit seinen Einnahmen von 9,18 Milliarden Dollar im Vergleich zu 7,84 Milliarden Dollar in der Vergleichsperiode des Vorjahres übertraf Microsoft die Umsatzprognose der Wallstreet von 8,66 Milliarden Dollar erheblich. "Alle Geschäftsbereiche haben unsere Erwartungen mehr als erfüllt", erklärte Chief Financial Officer (CFO) John Connors auf einer Telefonkonferenz. Ausschlaggebend für die erfreuliche Quartalsbilanz seien vor allem die unverhofft guten Verkäufe von PCs und Server gewesen, von denen die Kernprodukte Windows und Office profitierten.

Entsprechend optimistisch war der Ausblick des CFO: "Wir erwarten, dass die in diesem Quartal zu beobachtende Steigerung für den Rest des Geschäftsjahres anhält." So geht Microsoft für das gesamte Fiskaljahr 2004, das am 30. Juni endet, von Einnahmen zwischen 36,4 und 36,5 Milliarden Dollar aus. Das wären 13 bis 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Umsatz im vierten Quartal soll 8,9 bis 9,0 Milliarden Dollar erreichen und unter dem Strich einen Nettogewinn von 23 Cent pro Aktie bringen.

Nachfrage nach PC- und Server-Programmen

Die Analysten zeigten sich von den Zahlen beeindruckt. "Das Wachstum bei PC- und Server-Programmen war phänomenal", meinte etwa Clark Chang von der US-amerikanischen Investmentbank Fulcrum Global Partners. Was nicht weiter verwundert, denn die Microsoft-Sparte Client, verantwortlich vor allem für Desktop-Betriebssysteme, setzte mit rund 2,9 Milliarden Dollar 16 Prozent mehr um als vor Jahresfrist, die Business Unit Server and Tools legte um 19 Prozent auf 2,17 Milliarden Dollar zu, und die für die Office-Familie zuständige Division Information Worker steigerte ihre Einnahmen im Vorjahresvergleich um 18 Prozent auf 2,73 Milliarden Dollar. Dass die genannten Bereiche operativ wie immer hochprofitabel waren, versteht sich von selbst (siehe Grafik ".Microsoft im dritten Quartal ..."). Lediglich der Server and Tools Group bescherte die Einigung mit Sun einen bilanziellen Verlust von 635 Millionen Dollar nach 305 Millionen Dollar Gewinn im Vorjahreszeitraum.

Kursverlauf der Aktie eher enttäuschend

Ungeachtet der vielen Erfolgsmeldungen werden die Investoren an der Wallstreet allmählich unruhig und fragen nach der längerfristigen Perspektive. Schließlich hat die Microsoft-Aktie derzeit in etwa den gleichen Wert wie schon im Sommer 1998, dümpelt - vom Hype Ende 2000 einmal abgesehen - seit Jahren mehr unter als über der 30-Dollar-Marke. Dass die Gates-Company mit einem Börsenwert von gut 290 Milliarden Dollar immer noch das nach General Electric zweitteuerste Unternehmen der Welt und unverändert der mit Abstand profitabelste IT-Anbieter ist, scheint die Finanzmärkte nicht (mehr) sonderlich zu beeindrucken.

Vielmehr rächt es sich nun offenbar, dass Microsoft die Anleger über zwei Jahrzehnte lang mit Wachstumsraten von teilweise 30 Prozent und mehr verwöhnt hat, jetzt aber dieses Tempo nicht mehr halten kann. Um durchschnittlich lediglich 13 Prozent konnte die Gates-Company in den vergangenen drei Jahren jeweils zulegen. Das sei zwar angesichts der Krise in der IT-Industrie "respektabel" gewesen, heißt es in den Analysen vieler Investmentbanker, doch in Zukunft traut man an der Wallstreet den Redmondern noch weniger zu. Die Rede ist von durchschnittlich acht Prozent, in einem "Best-Case-Szenario" allenfalls elf Prozent Wachstum, das man von Microsoft bis Ende 2006 erwartet. Damit würden sich Bill Gates & Co. im Prinzip auf das Wachstumsniveau begeben, das Gartner im gleichen Zeitraum für die gesamte Softwareindustrie prognostiziert. Nicht umsonst stellte daher das US-amerikanische Wirtschaftsmagazin "Business Week" vor kurzem die kritische Frage: "Wird Microsoft wie IBM in den 80er Jahren? Ein zahnloser Gigant, profitabel, aber gleichzeitig fett und unbeweglich!"

Viel investiert - wenig bekommen?

Stein des Anstoßes ist vor allem die Tatsache, dass Microsoft seit 1990 knapp 33 Milliarden Dollar in Forschung und Entwicklung investiert hat. Das sind weitaus mehr Mittel, als in der gleichen Zeit die fünf größten Softwareanbieter nach Microsoft zusammen ausgegeben haben. Auf Weisung von Bill Gates seien Milliardenbeträge in neue Projekte und Geschäftsideen geflossen - mit dem Ergebnis, dass, wie das Wirtschaftsblatt ausführt, das Unternehmen "nur die Position in seinen Kernmärkten gestärkt" habe. Nach wie vor verdiene der Konzern sein Geld im Wesentlichen mit Windows und der Office-Familie. So sei der Online-Dienst MSN immer noch weit von den ursprünglichen Business-Plänen entfernt und kämpfe - wie viele Internet-Provider - mit einer erodierenden Kundenbasis. Im Bereich Handy-Betriebssysteme gelte Microsoft drei Jahre nach dem Markteintritt immer noch als Anbieter unter ferner liefen; Taktgeber seien hier unverändert Branchenprimus Nokia und das Symbian-Konsortium. In der Mobilfunk-Branche mache schon das geflügelte Wort von "ABM - Anybody but Microsoft" die Runde, so "Business Week".

An alledem ist was dran. Zumindest bestätigt dies der Blick auf die aktuelle Microsoft-Bilanz, in der neben MSN und der Business Unit Mobile and Embedded Devices auch die für die "Xbox"-Konsole zuständige Division Home and Entertainment alles andere als die großen Umsatz- und Gewinnbringer sind. Gleiches gilt für den Bereich Microsoft Business Solutions, wo die Lösungen der zugekauften ERP-Anbieter Navision und Great Plains vermarktet werden. Summa summarum sei der von Bill Gates forcierten Diversifikation in neue Märkte bisher kein bahnbrechender Erfolg beschieden, heißt es weiter. Trotz enormer Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie hoher Marketing-Aufwendungen habe der Konzern außer gelegentlichen Updates seiner Kernprodukte kaum echte Innovationen aufzuweisen.

Doch auch in den Kerngeschäftsfeldern ist bei der Gates-Company längst nicht mehr alles Gold, was glänzt. So wird der seit langem angekündigte Windows-XP-Nachfolger Longhorn in Fachkreisen inzwischen ironisch als "Longwait" bezeichnet. Der Auslieferungstermin der ersten Betaversion wurde auf das Frühjahr 2005 verschoben. Eine endgültige Version wird wohl nicht vor Ende 2006 verfügbar sein, einige Beobachter gehen inzwischen sogar von Frühjahr 2007 aus.

Kapazitätsprobleme bei Longhorn

Firmennahen Quellen zufolge mussten Entwicklungskapazitäten vom Longhorn-Projekt abgezogen werden, um ein ebenfalls seit längerem angekündigtes Security-Service-Pack für Windows XP fertig zu stellen. Gleichzeitig wurden offenbar zumindest für die erste Longhorn-Vollversion allzu ehrgeizige technische Features wie das aufwändige User Interface sowie File-, Print- und Document-Services deutlich abgespeckt. Veränderungen gab und gibt es auch bei der strategischen Ausrichtung. So sollte Longhorn ursprünglich nur Windows XP ablösen, als Nachfolger für den Windows Server 2003 war für das Jahr 2006 eigentlich die neue Software "Blackcomb" vorgesehen. Später hatte Microsoft angekündigt, mit Longhorn seine Server- und Desktop-Betriebssysteme wieder auf einer einheitlichen Plattform zusammenführen zu wollen - von der mit Windows 2000 begonnenen Trennung beider Produktlinien ist seither keine Rede mehr. Zunächst kein Thema mehr ist dem Vernehmen nach auch der für viele Anwender höchst unerfreuliche Plan, die kommende Version von "Office" nur mehr für Longhorn freizugeben, mit dem neuen Büropaket also ältere Windows-Plattformen nicht mehr zu unterstützen.

Viele Microsoft-Kunden dürften sich, so Kritiker, angesichts des neuen Software-Abo-Modells ohnehin allmählich gelackmeiert vorkommen. Sie zahlen für regelmäßige Updates eine feste Pauschale - so es denn welche gibt. Auch an der Wallstreet fragt man sich hinter den Kulissen zunehmend, was denn wohl passiert, wenn Microsoft seine wichtigsten Produktneuerungen nicht rechtzeitig aus der Tür bekommt. Zudem habe die Gates-Company unverkennbare strategische Defizite. Microsoft habe bis heute keine überzeugende Antwort auf den Open-Source-Trend und damit auf die jetzt gegebenen Wahlmöglichkeiten vieler seiner Kunden gefunden, heißt es. Und der Softwaregigant verkenne offenbar nach wie vor die Tatsache, dass der Desktop-Rechner künftig sein Monopol als alleinige Informationszentrale der User zugunsten von Multimedia-Handys, Notebooks und PDAs bis hin zum Fernseher einbüßen werde.

Microsoft-CEO Steve Ballmer übrigens stand der "Business Week" bei ihrer Recherche höchstpersönlich als Gesprächspartner zur Verfügung und gab sich dabei gewohnt kämpferisch. Immer wieder werde etwa der PC-Direktanbieter Dell als die Wachstums-Company schlechthin von den Medien hofiert, dabei konnte Microsoft stets mit größeren Zuwächsen glänzen, beschwerte sich Ballmer. Im Übrigen sei sein Unternehmen nach knapp 30-jähriger Geschichte nun einfach "erwachsen" geworden. Deshalb gelte auch das Prinzip, dass es allemal einfacher sei, eine "verrückte Idee" zu haben und damit in den Markt zu gehen, als die bereits existierenden Kunden zu bedienen. Die installierte Basis sei für Microsoft "die größte Herausforderung und der ernst zu nehmendste Wettbewerber zugleich".

Bleibt abzuwarten, ob sich die Investoren auf Dauer damit abfinden werden. Neben der strategischen Ausrichtung steht dort zunehmend auch der hohe Barmittelbestand des Konzerns von inzwischen über 56 Milliarden Dollar im Mittelpunkt des Interesses. Microsoft dürfte mittelfristig einen Teil des Geldes verwenden, um im großen Stil eigene Aktien zurückzukaufen und so den Kurs zu stützen, wird unter Finanzanalysten spekuliert. Gleichzeitig könnte der Softwareriese auch versucht sein, durch Zukäufe seine Position in Geschäftsfeldern zu stärken, wo er jetzt noch deutliche Schwächen hat - etwa in den Bereichen Security, mobile Anwendungen und Spielesoftware.

Gleichzeitig geht man an der Wallstreet davon aus, dass Microsoft seine bis dato sehr bescheidene Dividende für die Anteilseigner pünktlich zur kommenden Hauptversammlung im Juli aufstocken wird. Die Gates-Company hatte dies bisher stets mit Verweis auf die zahlreichen juristischen Streitigkeiten abgelehnt. Finanzchef Connors sprach nun aber von "guten Fortschritten in einer Reihe von Rechtsfällen"; in Analystenkreisen redet man vom "reinen Tisch", den Gates und Ballmer offensichtlich machen wollen. (gh)

Microsoft in Zahlen

Der Umsatz erhöhte sich im dritten Quartal 2004 (Ende: 31. März) gegenüber der Vergleichsperiode des Vorjahres um 17 Prozent von 7,84 auf 9,18 Milliarden Dollar.

Das Nettoergebnis ging - bedingt durch Einmaleffekte - von 2,74 auf 1,32 Milliarden Dollar zurück.

Der Aktienkurs kletterte nach Bekanntwerden der jüngsten Zahlen im nachbörslichen Handel auf 27,20 Dollar.

Die Marktkapitalisierung beträgt aktuell rund 297 Milliarden Dollar.

Der Ausblick war positiv. Laut Finanzchef John Connors erwartet Microsoft im vierten Quartal ähnlich gute Ergebnisse. Für das Fiskaljahr 2004 sei mit Einnahmen zwischen 36,4 und 36,5 Milliarden Dollar zu rechnen. Das wären 13 bis 14 Prozent mehr als im Vorjahr.

Abb: Microsoft im dritten Quartal: Windows war und ist die Cashcow

Klare Präferenzen: Nach dem Desktop, dem Server und Büropaket Office tut sich bei den Microsoft-Umsätzen lange nichts. Quelle: Microsoft