Microsoft unterwandert Standardgremien

06.09.2007
Bei den nationalen Entscheidungen im ISO-Verfahren über Office Open XML kam es in vielen Ländern zu Ungereimtheiten und Manipulationen.

Von CW-Redakteur Ludger Schmitz

Das ISO-Procedere

Im Gremium SC 34 der ISO fällt die Entscheidung darüber, ob Microsofts OOXML internationaler Standard wird. Das Verfahren durchläuft mehrere, teilweise gleichzeitige Etappen. Voll stimmberechtigt sind "P"-Mitglieder.

Zunächst müssen 50 Prozent der P-Mitglieder ihr Votum abgegeben haben. Nach Abzug der Enthaltungen müssen zwei Drittel dieser Abstimmungsberechtigten einer Resolution zustimmen. Wenn aber zusammen mindestens 25 Prozent der P- und der "O"-Stimmen (von Ländern mit Beobachterstatus) auf Nein entfallen, ist ein Antrag gescheitert. Ein zustimmendes Ergebnis wird mit möglichen "Comments" (hier sind Änderungswünsche zum Antrag möglich) der ECMA und dem Antragsteller (hier Microsoft) übermittelt. Ein "Editor" von Microsoft hat dann Gelegenheit, diese Änderungswünsche bis zum 14. Januar 2008 in den Standardvorschlag einzuarbeiten. Das SC 34 diskutiert den neuen Vorschlag, nimmt ihn an oder entscheidet, die Meinungsunterschiede seien nicht auszuräumen. In letzterem Fall würde einen Monat später in Genf ein "Ballot Resolution Meeting" (BRM) stattfinden, das die endgültige Entscheidung fällt. Auch ein anfängliches Nein können dabei die P-Mitglieder nach Änderungen am Vorschlag wieder in ein Mehrheits-Ja umvotieren. Microsoft hat also trotz der ersten Niederlage nicht verloren.

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wo Microsoft-Partner Standardisierungsgremien unterwanderten; wie die Abstimmungsverfahren manipuliert wurden; welche Reaktionen es daraufhin gab; was die ISO nun unternehmen wird.

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www.computerwoche.de/ 522537: Manipulationen in den USA, Schweden, Italien und Portugal; 523498: Weitere Unregelmäßigkeiten bei OOXML-Standardisierung; 592945: Microsofts XML-Variante; 575774: Der ISO-Standard ODF.

Unter der Spezifikationsnummer "ISO/IEC DIS 25 900" läuft bei der Internationalen Organization for Standardization (ISO) der Antrag von Microsoft, das Format Office Open XML (OOXML) als weltweiten Standard für Dokumente anzuerkennen. Trotz einer mehr als 6000 Seiten umfassenden Spezifikation soll das Verfahren die Institutionen im Eildurchgang passieren. Bei Erfolg wäre Microsofts proprietäres Format der zweite Standard für Office-Dokumente nach dem Open Document Format (ODF), das unter anderem "OpenOffice" und "StarOffice" zugrunde liegt, dem Microsoft aber nicht folgen möchte.

Doch vor dem Segen auf internationaler Ebene muss das Ja nationaler Standardisierungsbehörden stehen, die in der ISO Sitz und Stimme haben. Dabei ereignete sich eine Reihe skandalöser Vorgänge. Der erste Fall kam Mitte Juli in den USA ans Licht. Hier tauchten in einem Gremium des International Committee for Information Technology Standards (Incits) aus dem Nichts 19 neue, Microsoft nahestehende Mitglieder auf.

Allerdings gelang der Coup zunächst nicht, zwei Stimmen fehlten zur Zweidrittel-Mehrheit. Wochenlange Auseinandersetzungen mündeten in einem "Ja mit Kommentaren". Microsoft mochte sich damals gegenüber der computerwoche nicht zu den merkwürdigen Vorgängen äußern.

Zu einem großen Eklat kam es in der letzten August-Woche bei der Entscheidung der schwedischen Standardisierungsbehörde SIS. Statt des allseits erwarteten Nein endete die Abstimmung mit einem Ja. Doch dann wurde bekannt, dass auch hier neue stimmberechtigte Mitglieder aufgetaucht waren. Es waren 23 Microsoft-Partner, die zuvor vom Softwaregiganten E-Mails mit der Aufforderung erhalten hatten, SIS-Mitglied zu werden und an der entscheidenden Sitzung des Gremiums am 27. August teilzunehmen, "um mit Ja für Office Open XML zu stimmen". Die Firmen möchten bitte auch bei weiteren SIS-Sitzungen anwesend sein, um "ernst gemeinte Teilnahme" zu beweisen. Sie müssten allerdings die Mitgliedsgebühr selbst bezahlen. Doch zum Ausgleich werde Microsoft "Marketing-Beiträge" und "Sonderunterstützung in Form von Microsoft-Ressourcen" gewähren wenn die Partner mit Ja stimmten. Microsoft musste den Manipulationsversuch öffentlich einräumen. Das SIS änderte daraufhin sein Votum in Enthaltung.

Methode "Committee Stuffing"

Die Methode des "Committee Stuffing" funktionierte anscheinend auch in anderen Ländern. In der Schweiz wurden in den letzten zwei Wochen vor der Entscheidung 20 Geschäftspartner von Microsoft Mitglied im Normierungsverein SVN. Matthias Stürmer, dort Repräsentant der Gruppe /ch/open, erklärte: "Dieser ganze Prozess hat seinen technischen Wert absolut verloren und ist ein nur noch ein politischer Vorstoß zugunsten von Microsoft."

In Italien endete das nationale Verfahren in einem absurden Theater. Die Zahl der Mitglieder im zuständigen Subkomitee des italienischen Standardisierungsamts Ente Nazionale Italiano di Unificazione wuchs seit Januar 2007 von vier auf 85. Als sich auch hier die Microsoft-Gefolgschaft sammelte, griffen ODF-Anhänger zum selben Mittel. Die Pattsituation führte dazu, dass sich Italien vor der ISO enthalten wird.

Andere Länder, andere Sitten: Das portugiesische Normierungsamt ließ neue Mitglieder zur Beschlussfassung über Microsofts Standardisierungsantrag zu. Die Anträge von IBM und Sun wurden aber abgelehnt, weil das Gremium schon zu viele Mitglieder habe. Die Abstimmung endete dann zugunsten Microsofts. Der Gremiumsvorsitzende, Microsoft-Manager Miguel Sales Diaz, erklärte, er habe die Sitzung geleitet wie immer.

In Deutschland stand ein positives Votum längst fest, trotzdem tauchten in der Arbeitsgruppe NIA 34 zwei stimmberechtigte Microsoft-Partner auf, die sich an der inhaltlichen Diskussion nicht beteiligten, wohl aber an der Abstimmung. Das Ergebnis lautete 13 zu vier für Microsoft. Aber nicht so sehr das "Stimmvieh" sorgte hier bei Beteiligten für Unmut, "das Verfahren war formal korrekt", berichtet ein Beteiligter der computerwoche. Er ist vielmehr empört, weil Microsoft eine alte ungeschriebene Regel im Deutschen Institut für Normung (DIN) verletzte, Beschlüsse nur einstimmig zu fassen. Microsoft habe seine Position durchgepaukt. Das schade letztlich dem Ansehen des DIN. Bei solchen Praktiken sei zu überlegen, ob die Normierungsverfahren überhaupt noch angemessen seien.

Selbst höchste staatliche Institutionen wurden in die Kette bizarrer Vorgänge involviert. In Spanien verbreitete Microsoft ein Dokument, das den Eindruck erweckte, die als Open-Source-freundlich bekannte Regierung der Provinz Andalusien unterstütze OOXML. Daraufhin beschwerte sich die Regionalregierung schriftlich bei der nationalen Standardisierungsbehörde und betonte, sie sei für offene Standards und insbesondere für ODF.

In Ungarn ordnete Wirtschaftsminister György Pónyai eine Wiederholung der Abstimmung in der Standardisierungsinstitution HSI an. Beim ersten Votum waren kurzerhand interne Verfahrensvorschriften außer Kraft gesetzt worden. In Dänemark kam es zu einer parlamentarischen Anfrage an die Regierung, ob sie das Normierungsverfahren vor der Institution Dansk Standard beeinflusst habe.

Es ist unklar, welche Auswirkungen die merkwürdigen Ereignisse für das Endergebnis in der ISO haben werden (siehe Kasten "Das ISO-Procedere"). Am 2. September mussten die Mitglieder ihre Stimme abgeben; es gab 18 Ja-Stimmen, 15 Nein und 8 Enthaltungen. Doch auch im zuständigen Komitee SC 34 der ISO ist eine wundersame Stimmvermehrung bekannt geworden: Seit Januar 2007 ist die Zahl der voll stimmberechtigten "P"-Mitglieder (Participants) von 30 auf 41 gewachsen.