Ist die Gates-Company ein verlässlicher Partner für Business-Software-Anwender?

Microsoft steht ERP-Feuerprobe noch bevor

05.12.2003
Microsoft versucht, das ERP-Geschäft in den Griff zu bekommen, und verfolgt dabei eine zweigleisige Strategie: Einerseits gelobt der Hersteller, die gekauften Produkte "Navision" und "Axapta" weiterzuentwickeln, andererseits arbeitet er mit Hochdruck am nicht kompatiblen Nachfolger ".NET ERP.CW-Bericht, Frank Niemann

"Microsoft will ein berechenbarer Partner für seine Kunden sein", behauptete Jürgen Baier, Managing Director von Microsoft Business Solutions, im September 2003 - ausgerechnet, als sein Unternehmen ankündigte, die ERP-Software "Apertum" einzustellen. Die Applikation passte nicht mehr ins Konzept des Softwareriesen, da sie mit dem Produkt Navision (vormals "Attain") konkurrierte. Der Konzern hatte die praktisch nur im deutschsprachigen Raum verbreitete Apertum-Software mit der Übernahme des ERP-Spezialisten Great Plains erworben, bevor er sich das dänische Softwarehaus Navision einverleibte.

Maßnahmen wie der Stopp der Apertum-Linie sind Wasser auf die Mühlen derer, die Microsoft die für einen ERP-Anbieter unerlässliche Zuverlässigkeit absprechen. Doch auch beim Windows-Konzern weiß man, dass der konservative ERP-Markt rasche Richtungswechsel nicht verträgt, und verspricht Kontinuität. So bekräftigte der Hersteller nach der Apertum-Ausmusterung seine Garantie an die Navision- und Axapta-Kunden, ihre Systeme würden bis mindestens 2012 weiterentwickelt. Damit sollen Bestandskunden beruhigt und Neukunden Planungssicherheit geboten werden. Trotzdem fühlen sich manche Anwender schon wieder auf dem Abstellgleis, denn die Softwaresupermacht arbeitet emsig an einer neuen Business-Software, die auf einer komplett anderen Architektur aufsetzt als die jetzt angebotenen Systeme. Mit einer Betaversion von "Project Green", auch .NET ERP genannt, möchte Microsoft schon im nächsten Jahr aufwarten. Spätestens dann stellt sich für die Navision- und Axapta-Kunden die Frage, mit wie viel Enthusiasmus ihr ERP-Lieferant die alten Produktlinien weiterpflegt.

"Wir können es uns nicht leisten, Kunden zu vergraulen", beteuert Baier. Microsoft habe erkannt, dass der ERP-Markt anders funktioniert als beispielsweise das Geschäft mit Desktop-Software. "Für Anwender liegt die Lebensdauer einer Business-Software bei sieben bis zehn Jahren, da muss man in anderen Kategorien denken." Microsoft verfüge über die Finanzkraft und sei auch gewillt, die bestehenden Produkte weiterzuführen.

Riesenbudget für Business-Software

In der Tat scheint es, als wolle das Unternehmen mit aller Gewalt den Markt für professionelle Business-Software erobern: Die Gates-Company hat vor, in den nächsten fünf Jahren etwa acht Milliarden Dollar in betriebswirtschaftliche Standardsoftware zu investieren - und wenn das nicht reicht, kein Problem: Mit Bargeldreserven von über 50 Milliarden Dollar dürften die Mittel so schnell nicht ausgehen.

Fortbestehen sollen Baier zufolge nicht nur die Produktlinien, sondern auch die Entwicklungsstandorte der übernommenen Firmen. Microsoft lässt seine ERP-Systeme von Softwareteams in Kopenhagen, Fargo, dem Sitz von Great Plains im Bundesstaat North Dakota, sowie im Redmonder Hauptquartier schreiben. Die für den Konzern untypische Aufteilung der Kompetenzen in Regionen sei schon deshalb sinnvoll, weil Produkte am besten dort entwickelt werden, wo die Kunden sind. Die Lösungen von Great Plains nutzen fast ausschließlich amerikanische Firmen, während die Navision- und Axapta-Anwender vorwiegend in Europa beheimatet sind.

Zugeständnisse musste Microsoft auch in puncto Datenbanken und Plattformen machen: So läuft eine Navision-Version auf IBMs Midrange-Linie "I-Series", und Axapta unterstützt unter anderem die Datenbank von Oracle. Navision habe diese Plattformoption bereits vor der Übernahme realisiert, und nun könne der neue Eigentümer die Kunden nicht so einfach vor den Kopf stoßen. Ausnahmen wie diese sind für Microsoft ungewöhnlich, denn sonst macht die Firma nur Angebote auf eignen Systemen.

Eine Codebasis für den Weltmarkt

Spätestens mit dem künftigen .NET ERP dürfte die Zeit der Kompromisse vorbei sein: Mit dieser Software plant die Gates-Company, nur mit einer Codebasis den Weltmarkt zu bedienen - ein ERP-System für alle Regionen. Die Lösung soll auf Microsofts Infrastruktur abgestimmt sein, sprich Windows, SQL Server und .NET. Auch Integrationsfunktionen und Business Intelligence kommen aus Redmond. Ergänzt wird die neue Standardsoftware durch die unlängst in Deutschland eingeführte Kunden-Management-Software ".NET CRM".

Die Pflege verschiedener Codebasen will sich der Softwareriese auf Dauer nicht leisten. Zurzeit umfasst das ERP-Profolio eine Reihe von unterschiedlichen Produkten: Neben Navision und Axapta sind dies "XAL" (ein Produkt der übernommenen Firma Navision) sowie "E-Enterprise" und "Solomon" (beide Great Plains). Daher vermuten Analysten von Gartner, Microsoft werde seine Entwicklungsinvestitionen für die Altprogramme zurückfahren und die Anwender zu Upgrades "ermuntern". "Kunden oder solche, die es werden wollen, sollten sich auf Veränderungen beim Support einstellen", schlussfolgern die Analysten. Auch Marketing-technisch käme dem Konzern ein einziges ERP-System sehr entgegen: "Microsoft setzt auf Branding, doch dies ist bei der Vielfalt an Produkten kaum möglich", bemerkt Anita Liess, Senior Consultant bei der Meta Group in München. Ähnlich wie ihre Kollegen von Gartner glaubt sie nicht an eine kontinuierliche Produktpflege, sobald .NET ERP Marktreife erlangt hat. Microsoft werde seinen Wartungsverpflichtungen sicher nachkommen, aber ob es auch Neuentwicklungen geben wird, sei fraglich.

Keine Bedenken hat diesbezüglich Robert Ondrus, IT-Leiter beim Navision-Kunden Osi International Foods aus Günzburg. Er hält es für unwahrscheinlich, dass Microsoft seine Kunden beispielsweise durch schlechtere Supportbedingungen zu einem Upgrade zwingen könnte.

Funktionen wichtiger als Plattform

Der Fleischfabrikant beliefert hauptsächlich die Fast-Food-Kette McDonalds und bereitet gerade den Umstieg von Navision 3.10 auf 3.70 vor. "Microsoft hat sich, was den Mittelstand anbetrifft, gewandelt", ist Ondrus überzeugt. Von den .NET-ERP-Plänen des Konzerns hat der IT-Manager zwar gehört, doch kann er sich nicht so recht dafür begeistern. "Für mich sind Funktionen wichtiger als Programmierumgebungen oder Plattformen."

Für Microsoft ist jedoch nicht nur die Stimmung unter den Kunden, sondern auch die der Vertriebspartner maßgeblich. Sie installieren die Business-Software, passen sie an und entwickeln darauf aufsetzende Branchenlösungen. Diese Partner müssen auf Dauer die neue ERP-Lösung verkaufen, was neben der Bereitschaft, sich auf das neue .NET-Terrain zu begeben, auch Investitionen in Schulung und Qualifizierung der Mitarbeiter voraussetzt. Geht Microsoft hier nicht behutsam vor, könnten Kunden wie Partner den Generationswechsel dazu nutzen, sich bei der Konkurrenz umzuschauen. Wie schwer es ist, beim Kunden eingeführte Software abzulösen, zeigt Windows NT 4.0: Manche Kunden sehen es nicht ein, auf ein neues Betriebssystem zu migrieren, nur weil der Hersteller dies so vorschreibt und den Support aufkündigt. Zudem scheuen sie die Kosten und den Aufwand, da eine NT-Ablösung auch bedeutet, neue Versionen von Anwendungen wie "Exchange Server" einzuspielen. Und bekanntlich liebäugeln nicht wenige Microsoft-Nutzer wegen der restriktiven Lizenzbestimmungen mit der Open-Source-Alternative Linux.

Für Microsoft ist die Eroberung des stark fragmentierten, mittelständischen ERP-Marktes Neuland. Das Portfolio wurde zusammengekauft, das Know-how in Sachen Business-Software noch nicht unter Beweis gestellt. Die Bewährungsprobe beginnt, wenn der Softwareriese mit .NET ERP ein selbst entwickeltes System ins Rennen schickt, um die mittlerweile technisch veraltete Navision-Software abzulösen.

Business Framework

Grundlage des .NET-ERP-Systems wird das "Microsoft Business Framework" (MBF) sein, eine Entwicklungsplattform speziell für betriebswirtschaftliche Lösungen. Über vorgefertigte Funktionsbausteine lassen sich damit beispielsweise Finanzbuchhaltungssysteme entwickeln. Während Navision noch mit Hilfe einer proprietären Programmiersprache geschrieben wurde, soll es MBF erlauben, mit der Sprache C# offene, mit Web-Services-Schnittstellen ausgestattete Business-Systeme zu bauen. Mit MBF will der Konzern das Konzept der "Model Driven Architecture" (MDA) für Geschäftsapplikationen etablieren. Dabei entwirft der Entwickler zunächst das Modell der Anwendung, ohne sich bereits auf Details der Implementierung festlegen zu müssen. Das soll die Pflege von Software erleichtern. An dem Framework beziehungsweise dem daraus abgeleiteten Business-System arbeiten Spezialisten von Great Plains, Navision und Microsoft. Das Team agiert eigenständig, gehört jedoch zu der Division, die auch für das Entwicklungswerkzeug "Visual Studio .NET" verantwortlich zeichnet. Die nächste Version dieses Tools (Codename "Whidbey") soll das MBF enthalten und wird voraussichtlich 2004 erscheinen. Den vollen Funktionsumfang des Frameworks nebst Business-Process- und Workflow-Management dürfte Microsoft erst mit dem auf Whidbey folgenden "Orcas" liefern können. Orcas soll 2006 und damit zeitgleich mit dem neuen Betriebssystem "Longhorn" verfügbar sein. Microsoft will erreichen, dass auch Partner sowie unabhängige Softwarehäuser geschäftskritische Applikationen auf der Grundlage des Frameworks schreiben.

Da die Navision- und Axapta-Lösungen völlig anders aufgebaut sind als das künftige .NET ERP, wird es keine sanfte Migration geben. Die Kunden müssen ihre Altsysteme ausmustern. Das bestätigt auch Severin Canisius, IT-Manager beim Outdoor-Spezialisten Jack Wolfskin aus Idstein im Taunus. Die Firma nutzt schon lange die Navision-Software und hat sich bereits eingehend mit dem künftigen .NET ERP befasst. Nach Einschätzung von Canisius wird Microsoft nicht vor 2008 ein brauchbares ERP-Produkt liefern können. Eine Migration der IT-Umgebung der Bekleidungsfirma bedeute viel Handarbeit, denn der DV-Verantwortliche und sein Team haben viele Erweiterungen für die Navision-Software geschrieben, die dann neu programmiert werden müssten. Jedoch räumt der IT-Experte ein, dass Modifikationen einen Release-Wechsel immer erschweren. Somit werde auch das Upgrade auf das künftige "Navision 4.0" ein aufwändiges Unterfangen.