Hersteller schiebt Project Green auf die lange Bank

Microsoft schraubt ERP-Ambitionen zurück

02.07.2004
MÜNCHEN (fn) - Microsoft hat das Entwicklerteam für das .NET-basierende ERP-System (Codename: "Project Green") drastisch verkleinert. Das ERP-Produkt, dessen Freigabe an die Marktreife des Betriebssystems "Longhorn" gekoppelt ist, wird auf keinen Fall vor 2008 auf den Markt kommen. Entgegen bisherigen Planungen entwickelt der Konzern die bestehenden ERP-Produkte Navision und Axapta nun voraussichtlich über 2012 hinaus weiter.

Bisher waren 200 Softwarespezialisten auf das Project Green angesetzt. Nun hat der für die Business-Software-Sparte verantwortliche Douglas Burgum das Team auf 70 Entwickler reduziert. Die frei werdenden Spezialisten sollen sich wieder verstärkt um die vier existierenden ERP-Linien des Konzerns kümmern. Dazu zählen die auch hierzulande vermarkteten Pakete "Navision" und "Axapta", während in den USA die Systeme von Great Plains und Solomon stärker zur Geltung kommen.

Das neue ERP-Produkt wird nicht vor 2008 auf den Markt gelangen. Die Freigabe ist an das Betriebssystem Longhorn gekoppelt, auf dessen Funktionen die ERP-Plattform angewiesen ist. Nach den derzeitigen Plänen soll die Desktop-Variante von Longhorn 2006 und die Server-Version 2007 zur Verfügung stehen. Ursprünglich hatte der Konzern vor, gegen Ende dieses Jahres erste Funktionen des Green-Projekts auszuliefern.

Doch davon ist die Entwicklermannschaft weit entfernt. Vorgesehen war sogar, dass ab Mitte 2004 zwei Drittel der insgesamt 1200 ERP-Spezialisten am .NET-ERP-Produkt arbeiten.

Die in Aussicht gestellte ERP-Technik sollte dem Konzept der Web-Services folgen und auf das noch zu entwickelnde "Microsoft Business Framework" aufsetzen, eine Variante der Infrastrukturplattform .NET speziell für Business-Applikationen. Das neue System war dafür vorgesehen, ab 2012 die Client-Server-Produkte Navision und Axapta abzulösen. Dieser Plan scheint nicht mehr zu gelten: Wie Frank Hassler, Product Manager bei Microsoft Business Solutions in Hamburg, der COMPUTERWOCHE mitteilte, werden die beiden ERP-Systeme aller Voraussicht nach über 2012 hinaus weiterentwickelt. "Die bisher in Project Green gewonnenen Erfahrungen sollen in die bestehenden Produktlinien einfließen", erläutert Hassler. In den USA nenne Microsoft bereits das Jahr 2013 als Ablauffrist der beiden Softwarepakete, doch selbst dabei müsse es nicht bleiben. Solche Fristverlängerungen sind im ERP-Markt nichts Ungewöhnliches: Auch SAP hatte auf Kundendruck immer wieder die Wartungszeiträume von R/3-Releases ausgedehnt.

Aussage im Oracle-Prozess

Microsofts ERP-Spartenchef Burgum kündigte die Veränderungen in der Produktentwicklung im Rahmen seiner Zeugenaussage vor Gericht im Prozess zwischen dem US-Verteidigungsministerium und Oracle an. Gegenstand des Verfahrens ist die geplante feindliche Übernahme von Peoplesoft durch den Datenbankspezialisten, die das Ministerium aus Wettbewerbsgründen verhindern will.

Burgums Ausführungen zufolge soll das erste Release von Project Green eine Untermenge der Funktionen von Microsofts ERP-Linien enthalten und sich an mittelständische Firmen mit maximal 500 Mitarbeitern richten. Eine später folgende Version soll jedoch für Unternehmen mit bis zu 5000 Angestellten geeignet sein und sämtliche ERP-Funktionen der heute von Microsoft Business Solutions angebotenen Programme umfassen.

Einmal mehr sorgt so der Oracle-Prozess für eine Überraschung. Unlängst war durchgesickert, dass Microsoft vergangenes Jahr Übernahmeverhandlungen mit SAP begonnen, diese aber erfolglos abgebrochen hatte. Auch dies werten Experten als Indiz, dass die Redmonder sich in Sachen ERP auf Dauer nicht mit dem Mittelstand abfinden wollen.

Microsofts ERP-Sparte "Business Solutions" untersteht mittlerweile direkt dem Firmenchef Steve Ballmer. Der Konzern erwartet vom Geschäft mit betriebswirtschaftlicher Standardsoftware langfristig mehr Wachstum als vom Verkauf der Office-Produkte. Während Microsoft den Markt für Bürosoftware beherrscht, konkurriert der Hersteller im ERP-Segment gegen internationale Player wie Sage, SAP, Oracle und Peoplesoft sowie zahlreiche lokale Anbieter. Laut Burgums Gerichtsaussage strebt sein Unternehmen bis 2011 einen Umsatzanteil am weltweiten ERP-Geschäft von 30 Prozent an, derzeit liegt er bei knapp fünf Prozent.