Auch die Business Solutions sollen von der Verzahnung mit Windows profitieren

Microsoft macht ERP zum Massenprodukt

23.07.2004
Microsoft bemüht sich, den Bereich "Business Solutions" stärker mit den anderen Softwaresparten des Hauses zu verzahnen. Neben Windows und der Datenbank spielt dabei verstärkt Office eine Rolle. Die Redmonder haben sich zum Ziel gesetzt, auch den weltweiten Business-Software-Markt für kleine und mittelständische Unternehmen zu beherrschen.CW-Bericht, Frank Niemann

Den Schwerpunkt der diesjährigen "Worldwide Partner Conference" legte Microsoft auf die Geschäftseinheit "Business Solutions". Sie umfasst die in den letzten Jahren erworbenen ERP-Produkte von Navision, Great Plains und Solomons sowie die eigene CRM-Software. Hatte die Sparte bisher nahezu ein Eigenleben geführt, versucht Microsoft sie nun sowohl technisch als auch organisatorisch in die übrigen Geschäftsbereiche einzubinden. Innerhalb der Konzernhierarchie ist die gemessen am Umsatz vergleichsweise kleine Abteilung "Microsoft Business Solutions" (MBS) seit der vor wenigen Wochen vollzogenen Umstrukturierung nunmehr gleichgestellt mit der Office- oder Windows-Sparte. Die technische Harmonisierung sieht als Fernziel ein einheitliches Programmiermodell sowohl für die "klassischen" Microsoft-Produkte, gemeint sind SQL Server, Windows und Office, als auch für die Business-Applikationen vor. Als erste Ansätze in diese Richtung bezeichnete Microsoft-Chef Steve Ballmer die Integration von Office in die ERP-Lösung Great Plains, deren Version 8.0 unlängst auf den Markt kam. Zur Gänze wird dieser Schritt jedoch erst mit der Freigabe von Longhorn sowie dem "Microsoft Business Framework" vollzogen sein. Bei dem "Rahmen" handelt es sich um eine Ablauf- und Entwicklungsplattform für betriebswirtschaftliche Lösungen auf der Grundlage von .NET. Auf ihm soll das künftige ERP-System (Codename: "Project Green") aufsetzen.

Ballmer verlangt vertikale ERP-Lösungen

Die Angleichung der Business-Software an die übrigen Microsoft-Produkte spiegelt sich auch im Partnerprogramm wider. So gibt es nicht mehr wie früher ein spezielles Partnermodell für MBS, sondern ein vereinheitlichtes Programm mit elf unterschiedlichen Kompetenzen. Die Partner können dem Kunden im Sinne des Cross- beziehungsweise Upselling sowohl ERP- als auch alle anderen Produkte verkaufen. Jeder Käufer einer Business-Software benötigt schließlich auch Datenbanken und Betriebssysteme, so das Kalkül der Redmonder. Und wer schon über das E-Mail-Programm "Exchange Server" mit seinen Kunden kommuniziert, interessiert sich möglicherweise auch für "Microsoft CRM".

Wie alle anderen Produkte vertreibt der Hersteller auch seine betriebswirtschaftlichen Lösungen ausschließlich über Partner und nutzte die Partnerkonferenz in Toronto dazu, den indirekten Vertriebskanal auf die Geschäftsstrategie einzuschwören. Ballmer rät den Partnern, sich ein Beispiel an Dänemark zu nehmen. Im ERP-Segment sollte sich sein Unternehmen in drei Jahren so entwickeln wie in Dänemark: "Das wäre ein Wachstum um den Faktor zehn." Im Navision-Stammland nutze ein Großteil der Unternehmen Business-Software von Microsoft. Zudem böten dort Microsoft-Partner bereits 250 vertikale Lösungen an. "Das ist mehr, als alle amerikanischen Partner zusammen bisher realisiert haben", so Ballmer herausfordernd. Microsoft zufolge gibt es in Deutschland derzeit etwa 70 Partnerlösungen.

Partner verunsichert

Doch die nach Toronto gereisten Vertriebspartner wollten sich nicht nur von den Zukunftsplänen der Redmonder berieseln lassen, sondern verlangten klare Aussagen zu den kurz vor Konferenzbeginn kursierenden Berichten über Microsofts Absicht, SAP zu kaufen, sowie die Ungereimtheiten in Sachen Project Green. So fragten sich viele Partner, wie Microsofts Kaufabsichten mit dem Image des Lieferanten von Mittelstandssoftware vereinbar sein sollen. "Wir wollten mit SAP nicht ins Highend-ERP einsteigen, sondern den SAP-Kunden einen eleganteren Zugriff auf die Funktionen und Daten von R/3 sowie Mysap mit Windows und Office ermöglichen", versuchte Doug Burgum, Leiter der ERP-Sparte, das Bild zurechtzurücken. Da die Mehrheit der SAP-Anwender PCs und damit auch Microsofts Desktop-Produkte nutzt, hätten sich hier Synergien ergeben. Eine von Burgum unerwähnt gelassene, aber durchaus logische Folge einer Übernahme wäre natürlich auch Microsoft Einfluss auf die Infrastruktur der SAP-Anwender gewesen. Gemeint sind die Komponenten zum Betrieb sowie für den Zugang zu Backend-Funktionen wie Betriebssysteme, Applikations-Server, Datenbanken, Portale und Integrationstechnik. Der weltweite ERP-Marktführer SAP setzt zum Leidwesen von Microsoft auf die Java-Plattform und gewährt über Schnittstellen allenfalls eine Koexistenz mit .NET. Zudem laufen die meisten Installationen auf der Datenbank des Erzrivalen Oracle. Da sich beide Seiten dann doch nicht handelseinig wurden, vertiefte man die technische Zusammenarbeit. Details nannte SAP im Mai auf der Anwenderkonferenz "Sapphire" in New Orleans (siehe Kasten ".NET goes Mysap").

Longhorn verhagelt ERP-Roadmap

Recht zugeknöpft wirkte Burgum beim Thema Project Green. Wenige Tage vor Beginn der Partnerveranstaltung gab Microsoft bekannt, dass sich das völlig neue ERP-Produkt verspäten wird. Als Grund nannte der Konzern die Verzögerungen bei der Entwicklung des Windows-XP-Nachfolgers "Longhorn", auf dessen Funktionen das zukünftige System angewiesen ist. "Zwei Jahre nach Freigabe von Longhorn kommen wir mit Project Green auf den Markt", so der ERP-Spartenchef. Nach letzten Prognosen aus der Firmenzentrale erscheint Longhorn frühestens 2006. Wegen der Planverschiebung hatte Burgum die Entwicklermannschaft von Project Green von 200 auf 70 Köpfe verkleinert und die frei werdenden Spezialisten in die Softwareteams der bestehenden Produktlinien versetzt. Einen Zusammenhang der Umstrukturierung mit den Verlusten, die Microsofts ERP-Bereich im vergangen Fiskaljahr einfuhr (Ende Juni 2004), bestritt Burgum auf Anfrage vehement. Ebenso wenig sei dadurch das ERP-Entwicklungsprojekt an sich in Frage gestellt. "Die 130 Entwickler werden zu gegebener Zeit wieder in das Project-Green-Team zurückkehren."

"Redet nicht über Project Green"

Manchen Partnern ist die Verzögerung des .NET-ERP-Systems nur recht, da sie die skizzierte Produktstrategie Microsofts - die bestehenden ERP-Linien im Jahr 2013 durch Project Green abzulösen - gegenüber Kunden in Erklärungsnöte bringt. Ein Vertreter eines Partnerunternehmens machte seinem Unmut Luft und verlangte von Burgum: "Hören Sie auf, von Project Green zu reden." Der ERP-Chef entgegnete, sein Unternehmen stehe zu den vier existierenden ERP-Produkten und werde diese nicht nur warten, sondern weiterentwickeln. Zudem gebe es nur wenige Hersteller, die ihren Kunden eine ERP-Software der nächsten Generation in Aussicht stellen könnten. "Hätten wir uns einer inkrementellen Weiterentwicklung der bestehenden ERP-Linien verschrieben, würde man uns vorwerfen, wir seien nicht für die Zukunft gerüstet."

Doch nicht für alle Partner stellt Project Green ein Problem dar: Wenig Sorgen macht sich beispielsweise die international tätige Watermark Innovation B.V. mit Sitz im niederländischen Veenendaal, die bei Kunden Navision und Axapta einführt. "Ich glaube, Microsoft wird Project Green als ERP-System für kleine Firmen positionieren, und zwar in den USA und vor allem in Asien", so Aad de Jonge, Vice President Product Marketing. Während Microsoft im asiatischen Markt noch Nachholbedarf habe, sei der Anbieter in Europa mit Navision und Axapta gut aufgestellt. Hier erfolgreiche Produkte durch ein neues, nicht ausgereiftes System ersetzen zu wollen ergebe wenig Sinn.

850 Millionen für MBS-Ausbau

In die ERP-Sparte will Microsoft in diesem Fiskaljahr ungefähr 850 Millionen Dollar investieren, und zwar in Entwicklung, Kundenansprache und Partnerpflege. Im vergangenen Jahr lagen die Aufwendungen zwischen 600 und 700 Millionen Dollar. Genauere Zahlen wollten die Manager mit Verweis auf die Schweigepflicht vor Bekanntgabe der Geschäftszahlen nicht mitteilen. Konkreter wurde da schon Orlando Ayala, Chief Operating Officer der Microsoft Business Solutions, in Bezug auf seine Erwartungen für das laufende Fiskaljahr. Er hat sich für diesen Geschäftsbereich Einnahmen in Höhe von 787 Millionen Dollar und 15300 Neukunden für das bereits angebrochene Geschäftsjahr zum Ziel gesetzt und forderte die Microsoft-Partner unmissverständlich auf, nun auszuschwärmen und bei jeder Gelegenheit die Konkurrenz auszustechen. Dass dies auch bei SAP-Kunden gelingt, sollte das Beispiel der Firma Great Lakes Power belegen, deren jährliche IT-Kosten von 700000 auf 300000 Dollar sanken, nachdem sie von R/3 auf ein ERP-System aus Redmond migriert hatte.

Gegen die Walldorfer will Microsoft zumindest offiziell jedoch nur im Mittelstand antreten, nicht aber im Highend. "Wir haben weder die Produkte noch die Consulting-Mannschaft, um internationale Konzerne zu bedienen", so ERP-Chef Burgum. Zudem erfordere das Großkundengeschäft Lösungen, die unterschiedliche Datenbanken und verschiedene Betriebssystem-Plattformen unterstützen, was ebenfalls nicht in die Strategie des Softwarekonzerns passe. Ebenso wenig zählten Lösungen dazu, die ein hohes Maß an kundenindividueller Konfiguration erforderten. "Außerdem sind unsere Produkte nicht teuer genug für das Highend", fügt Burgum scherzhaft hinzu. Ob Microsoft Großkunden bedienen wolle, wurde Burgum auch im Prozess zwischen US-Justizministerium und Oracle gefragt.

Offenbar ist Microsoft an ERP-Produkten interessiert, die sich massenhaft und über den indirekten Vertriebskanal an den Mann bringen lassen. Bedient werden sollen damit kleine und mittelständische Firmen sowie Niederlassungen oder Geschäftsbereiche großer Firmen. "Wir werden wohl nicht die Zentrale von BMW als Kunden an uns binden können, möglicherweise aber ein einzelnes Werk", so Mark Jensen, General Manager Axapta. So habe man beispielsweise Renault Europe in Frankreich als Axapta-Kunden gewonnen.

Axapta soll im Gegensatz zu den anderen ERP-Produkten international verkauft werden. Great Plains und Solomons decken vor allem den amerikanischen Markt ab, während Navision in Europa vertrieben wird. Das für das zweite Quartal 2005 angekündigte Release 4.0 ist Unicode-fähig und verarbeitet somit auch asiatische Schriftzeichen. Die Unicode-Eigenschaft kommt Kunden entgegen, die eine ERP-Software in verschiedenen Standorten der Welt installieren möchten. Als einziges ERP-Produkt von Microsoft lässt sich Axapta mit einer Oracle-Datenbank betreiben. Dabei wird es laut MBS-Leiter Burgum auch bleiben. Die Oracle-Anpassung stamme aus einer Zeit, als der hauseigene "SQL Server" noch nicht über geeignete Funktionen für den ERP-Betrieb über mehrere Standorte hinweg verfügte.

Geradezu gebetsmühlenhaft predigte die anwesende Führungsriege von Microsoft, wie wichtig es sei, die Office-Programme mit den ERP-Systemen zu koppeln. Hatten die Anwendungen bisher ihre eigene Benutzerschnittstelle, erhalten die nächsten Releases die "Outlook"-Oberfläche. Über "Short-Cuts", die der Anwender selbst festlegen kann, gelangt er zu den einzelnen Funktionsbausteinen. Damit soll es ihm ermöglicht werden, die Software prozess- und nicht mehr wie bisher modulorientiert zu bedienen. Ferner sollen die "Smart Tags" das Navigieren in Datensätzen erleichtern. Öffnet der Benutzer in Outlook eine E-Mail, in der eine Kundennummer hinterlegt ist, erlaubt ihm ein automatisch eingeblendetes Smart Tag, den korrespondierenden Datensatz des ERP-Systems aufzurufen, ohne dabei die Office-Umgebung verlassen zu müssen.

Die Office-Integration erleichtern soll außerdem das "Information Bridge Framework" (IBF), das Microsoft bereits auf der Entwicklerkonferenz TechEd im Mai vorgestellt hatte. IBF realisiert eine auf dem Web-Services-Standard Simple Object Access Protocol (Soap) aufsetzende Verbindung zwischen einem Office-Programm wie Excel und den Datenfeldern einer ERP-Software. Partner beziehungsweise Anwender sollen damit in der Lage sein, eigene ERP-Frontends aufzubauen. Nach den Vorstellungen von Microsoft könnten Sachbearbeiter dann alle ihre Aufgaben innerhalb der Office-Umgebung erledigen. Dazu zählen interaktive Abfragemasken in Excel. Der Einsatz des IBF ist nicht auf Microsofts ERP-Angebot beschränkt, sondern lässt sich an jedes System anpassen. "Office soll das Standard-Frontend für Business-Applikationen werden", formuliert es Allison Watson, Leiterin des weltweiten Partnervertriebs. Gelingt dies, hätte Microsoft einmal mehr seine Trümpfe am Desktop ausgespielt, und konkurrierende ERP-Anbieter wären für ihre Kunden am Frontend nicht mehr sichtbar.

Anwender zögern mit Upgrades

Features wie Information Bridge Framework lassen sich allerdings nur nutzen, wenn die Anwender die aktuellen Versionen von Office und Windows installieren. Doch die Kunden zögern bei Upgrades. So laufen laut Firmenangaben noch immer 2,1 Millionen Server auf Windows NT, und in manchen Unternehmen sind auf den Desktops noch immer die Betriebssysteme Windows 95/98 sowie ältere Office-Versionen zu finden. Die Abneigung gegen Upgrades könnte für die Produktstrategie des Konzerns zum Problem werden. "Unsere größten Konkurrenten sind IBM, Open-Source-Produkte und die Trägheit der installierten Basis", so Watson.

fniemann@computerwoche.de

ERP-Fahrplan der Microsoft Business Solutions

- Alle Anwendungen (Great Plains, Solomons, Navision und Axapta) erhalten künftig eine Outlook-Oberfläche. Vorgesehen ist eine enge Kopplung mit dem "Office System".

- Über den "Sharepoint Portal Server" können Anwender in naher Zukunft ihre ERP-Umgebung per Web-Browser bedienen.

- Das selbst entwickelte "Microsoft CRM" soll in Zukunft in die ERP-Systeme integriert werden. Gleichwohl werden die CRM-Bausteine der vier Business-Applikationen weiter unterstützt.

- Microsoft CRM wird auch weiterhin sowohl über Partner als auch als Volumenlizenz vertrieben, so dass Firmen das Produkt auch ohne Partnerbeteiligung erwerben können. Auf diese Weise will man kleine Unternehmen als Kunden gewinnen, die zwar CRM-Funktionen gebrauchen können, aber keinen Bedarf an einer ERP-Lösung haben. Außerdem soll die Software verstärkt über OEM-Partner verkauft werden.

- Ins Hosting-Geschäft will Microsoft selbst nicht einsteigen. Das Application-Service-Providing (ASP) von ERP- und CRM-Programmen sollen die Partner übernehmen.

- Microsoft fordert von seinen Partnern, in großem Stil vertikale ERP-Lösungen zu bauen. Der Hersteller konzentriert sich darauf, Kernfunktionen zu liefern.

.NET goes Mysap

- Entwicklungswerkzeug im SAP-Portal für .NET ("Enterprise Portal SDK for .NET"), mit dem Firmen Web-Interfaces für R/3- und Mysap-Anwendungen unter ASP.NET schreiben können.

- SAP tritt dem "Visual Studio Industry Partner Program" bei. Damit sollen Programmierer in der Lage sein, mit Visual Studio .NET direkt auf SAP-Funktionen zuzugreifen.

- Künftige Versionen von SAPs Ablauf- und Integrationsplattform "Netweaver" werden Verbindungen in .NET-Umgebungen besser als bisher unterstützen. Dazu zählt auch der Datenaustausch mit Microsofts "Biztalk Server".

- SAP liefert Beispielapplikationen für den Anwendungszugriff über Microsofts "Office System" und "Visual Studio 2005". Diese können Kunden als Vorlage für eigene Entwicklungen dienen.

- Die Knowledge-Management-Funktionen von Netweaver werden in die "Windows Sharepoint Services" und "Exchange Server" eingebunden.