Auf dem Weg zur Open-Source-Company?

Microsoft lässt sich GitHub 7,5 Milliarden Dollar kosten

05.06.2018
Von  und
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Die Gerüchte haben sich bestätigt: Microsoft kauft die Code-Sharing-Site GitHub für stolze 7,5 Milliarden Dollar. Dabei verspricht der Softwareriese, die Plattform weiterhin offen zu halten.

Microsoft-CEO Satya Nadella hatte für die Öffentlichkeit eine klare Botschaft: "Zuerst waren wir eine Company mit eigenen Entwickler-Tools, jetzt setzen wir voll auf Open Source. Das ist es, was uns wirklich mit GitHub zusammenbringt", so der Chef des weltgrößten Softwarehauses gegenüber "CNBC". GitHub ist derzeit nicht profitabel, die Bewertung aufgrund der letzten Finanzierungsrunde durch Investoren im Jahr 2015 lag bei rund zwei Milliarden Dollar.

Microsoft-CEO Satya Nadella kauft mit GitHub die zentrale Plattform für die wichtigsten Open-Source-Projekte.
Microsoft-CEO Satya Nadella kauft mit GitHub die zentrale Plattform für die wichtigsten Open-Source-Projekte.
Foto: Microsoft

GitHub ist wohl das, was man als Plattform im besten Sinne bezeichnen kann: Auf der Seite werden Quelltext-Datenbanken (Repositories) für Open-Source-Softwareprojekte aller Art gepflegt - darunter auch von etlichen, die von Microsoft-Rivalen, darunter Apple und Oracle, gesponsert werden. Durch das Hosting privater Repositories und eine On-premise-Version namens "GitHub Enterprise" kommt das Unternehmen dennoch auf Einnahmen von zirka 110 Millionen Dollar jährlich.

85 Millionen Code-Repositories

Derzeit nutzt gut die Hälfte der 50 weltweit größten Unternehmen eine Business-Variante von GitHub, die mit 21 Dollar pro User und Monat zu Buche schlägt. Google und auch Microsoft selbst gehören zu den Unternehmen, die GitHubs Dominanz verstärkt haben, indem sie ihren Open-Source-Code auf der Plattform vorhalten. Mehr als 28 Millionen Developer rund um den Globus verwenden GitHub, auf der Plattform sollen 85 Millionen Code-Repositories liegen. 1,8 Millionen Unternehmen und Organsationen nutzen die Entwicklungsplattform. Umso wichtiger war es Microsoft zu betonen, dass man ein "Steward der GitHub-Community" sein wolle und ein "Developer-first-Ethos" garantiere.

Der Noch-GitHub-Chef Chris Wanstrath, Microsoft-CEO Satya Nadella und Xamarin-Gründer und neuer GitHub-CEO Nat Friedman (v.li.n.re.) blicken zuversichtlich in die Zukunft der Entwicklerplattform.
Der Noch-GitHub-Chef Chris Wanstrath, Microsoft-CEO Satya Nadella und Xamarin-Gründer und neuer GitHub-CEO Nat Friedman (v.li.n.re.) blicken zuversichtlich in die Zukunft der Entwicklerplattform.

Microsoft zahlt den hohen Kaufpreis von 7,5 Milliarden Dollar in eigenen Aktien. Neuer CEO soll Nat Friedman werden, Gründer des von Microsoft übernommenen Tool-Anbieters Xamarin. Der bisherige GitHub-Chef und -Mitgründer Chris Wanstrath hatte bereits im letzten Jahr seinen Rücktritt angekündigt. Er soll ein "Technical Fellow" bei Microsoft werden. Nadella beteuerte, Github werde auch nach der Übernahme durch Microsoft unabhängig operieren und eine offene Plattform bleiben. Entwickler könnten auch in Zukunft die Sprachen, Tools und Betriebssysteme ihrer Wahl nutzen. Genauso dürfe der Programmcode für jedes Operating System, jede Cloud und jedes beliebige Endgerät geschrieben werden.

Microsoft-CEO Satya Nadella (Mitte) bevorzugt offenbar das Triumvirat. Schon bei der Übernahme des Business Netzwerks LinkedIn vor zwei Jahren ließ er sich in einer Dreierkonstellation mit LinkedIn-CEO Jeff Weiner (links) und LinkedIn-Chairman Reid Hoffman ablichten.
Microsoft-CEO Satya Nadella (Mitte) bevorzugt offenbar das Triumvirat. Schon bei der Übernahme des Business Netzwerks LinkedIn vor zwei Jahren ließ er sich in einer Dreierkonstellation mit LinkedIn-CEO Jeff Weiner (links) und LinkedIn-Chairman Reid Hoffman ablichten.
Foto: Microsoft

Entwickler bleiben skeptisch

Doch es gibt Zweifel. Für Microsoft wird es jetzt in erster Linie darum gehen, die Entwickler bei der Stange zu halten. Gerade in Open-Source-Kreisen herrscht nach wie vor große Skepsis darüber, inwieweit es der weltgrößte Softwarehersteller, der in der Vergangenheit als Inbegriff für Closed Software stand, wirklich ernst meint mit der Idee quelloffener Software. Tatsächlich stieß die Ankündigung der Übernahme teilweise auf heftige Kritik. Man sei nicht gefragt worden, beklagten etliche Entwickler und verwiesen darauf, dass schließlich ihr Code und ihre Beiträge die Plattform erst groß gemacht hätten.

Darüber hinaus wurden Befürchtungen laut, Microsoft könnte versuchen, die Kontrolle über sämtliche Entwicklungen auf GitHub an sich zu reißen. Es drohten massive Lock-in-Effekte. Bereits als die ersten Übernahmegerüchte auftauchten, kam es offenbar zu Abwanderungen. Viele Entwickler zogen ihre Projekte von Github auf andere Entwicklungsplattformen um. Noch ist nicht abzusehen, ob sich dieser Trend weiter fortsetzt.

Microsoft eine Open-Source-Chance geben

Analysten bewerten den Deal aus Microsoft-Sicht als einen geschickten Schachzug. Der wirkliche Vorteil der Übernahme liege allerdings nicht auf der finanziellen Seite, betont Ben Thompson von Stratechery. "Das sind Peanuts." Vielmehr sei es der Zugang zu einer riesigen Entwicklergemeinde, den Microsoft mit dem Kauf von GitHub öffne. Thompson appellierte an die Open-Source-Gemeinde, Microsoft eine Chance zu geben. Sicher gehe es dem Konzern auch um die eigene Plattform, allerdings habe sich der einstige Software-Monopolist dem Community-Gedanken gegenüber zuletzt mehr geöffnet als so manch anderer potenzielle Käufer.

Der Deal zeige, dass sich Microsoft gegenüber Open-Source-Ideen zunehmend öffne, sagt auch Rick Lane, Analyst und Senior Vice President von Moody's. Dem Konzern gehe es vor allem darum, sein Entwickler-Ökosystem auszubauen. Die Microsoft-Verantwortlichen hätten erkannt, dass sich heute alles um offene Plattformen und Ökosysteme drehe.

Lesen Sie hier, wie CEO Satya Nadella den Konzern umgebaut hat:

Redmonk-Analyst Stephen O'Grady verweist zudem darauf, dass Microsoft mit GitHub einen gewaltigen Fundus an Informationen über Entwickler und deren Projekte besitze. In Kombination mit dem Business-Netzwerk LinkedIn, das Microsoft vor zwei Jahren für über 20 Milliarden Dollar gekauft hatte, biete sich an dieser Stelle großes Potenzial, Recruiter und Unternehmen, die händeringend IT-Fachlaute suchen, mit den Entwicklern zusammenzubringen.

Gartner-Analyst Ed Anderson schreibt in einem Blog-Beitrag, Microsoft bekenne sich zwar zur Open-Source-Idee und setze mit Net Friedman auch einen ausgewiesenen Experten und Unterstützer vieler Projekte an die Spitze von GitHub. Auch spreche für den Deal, dass Microsoft eine "Developer-DNA" habe und immer "ein Unternehmen für Entwickler" gewesen sei. Andererseits liege es aber nahe, dass der Konzern die Developer-Gemeinde stärker an seine Azure-Plattform heranführen wolle. Das habe der Softwarriese im Zuge der Ankündigung auch angedeutet.

Achim Weiss, Geschäftsführer des deutschen IaaS-Experten Profitbricks, sieht das ähnlich: Microsoft habe viel Code zu GitHub beigesteuert und sei konzeptionell und organisatorisch in der Lage, die Plattform zu stützen. Aber es gebe natürlich die Sorge, "dass Microsoft die GitHub-Entwickler dazu drängen könnte, direkt in die Azure Cloud zu deployen". Weiss bleibt hier aber eher gelassen. "Mit dem Holzhammer kommt man Softwareentwicklern sicher nicht bei. Zu hoch ist deren Arbeitsethos, zu stark ihre Individualität - das weiß man auch in Redmond."

Alles dreht sich um die Entwickler

Es dürfte spannend werden zu beobachten, wie Microsoft GitHub in seinen Software- und Cloud-Kosmos einbinden wird. Genau hier liegt für den Konzern die Chance, die Marktbasis der eigenen Produkte zu erweitern. Der Schlüssel dazu, sind die Entwickler beziehungsweise die Communities. Das hat Nadella bereits seit einiger Zeit erkannt. Der Microsoft-Chef hatte in den zurückliegenden Jahren wiederholt betont, wie wichtig Entwickler und ihr Code für Microsoft seien. Nadella ließ keine Gelegenheit aus, um die Gunst der weltweiten Developer-Gemeinden zu werben. Eigenen Plattformen und von Microsoft initiierten Ökosystemen war allerdings wenig Erfolg beschieden. Das war wohl auch mit ein Grund dafür, das man in Redmond das Geld für die GitHub-Übernahme locker machte.

Die Gunst der Developer dürfte in Zukunft noch wichtiger werden, zumal die Grenzen zwischen Softwareentwickler und Softwareanwendern zunehmend verschwimmen. Immer mehr Anwenderunternehmen bauen im Zuge der Digitalisierung ihres Geschäfts eigene Entwicklerressourcen auf. Die brauchen eine Plattform beziehungswiese wollen sich mit Kollegen vernetzen. Mit GitHub verfügt Microsoft nun über eine solche Plattform und kann dort auch seine eigenen Softwareentwicklungen positionieren.

Bespielsweise baut der Konzern derzeit an Tools für Künstliche Intelligenz und Machine Learning, die auch über die eigene Cloud-Plattform Azure angeboten werden. Gelingt es Microsoft, Entwickler dazu zu bewegen, deren eigene Lösungen mit diesen Microsoft-Tools zu verknüpfen, verbreitert der Konzern gleichzeitig seinen Footprint im Markt. Dabei ist allerdings Fingerspitzengefühl gefragt. Die Entwickler mit Holzhammermethoden dazu zu drängen, Microsoft-Technik zu nutzen, wird nicht funktionieren. Der Konzern muss sein Open-Source-Image weiter pflegen und nicht nur die eigenen Interessen, sondern auch die der Entwickler im Blick behalten.