.NET mal schwammig, mal konkret

Microsoft lässt Betas von E-Commerce- und .NET-Tools vom Stapel

24.11.2000
MÜNCHEN (CW) - Das Kürzel .NET muss bei Microsoft derzeit als Etikett für allerlei neue und weniger neue Produkte herhalten. Während die soeben freigegebenen Entwicklungswerkzeuge ".NET Framework" und "Visual Studio .NET" die Basis für zukünftige verteilte Anwendungen darstellen, scheinen die drei Buchstaben im Zusammenhang mit neuen E-Commerce-Produkten eher ein Marketing-Gag zu sein.

Mit .NET will sich Microsoft neu erfinden, um den Anforderungen des Internet-Zeitalters gerecht zu werden. Während in der Öffentlichkeit Verwirrung über das Zukunftsprogramm herrscht, kommt manchem Marketier des Softwareriesen das Hype-Wort gerade recht, um auch konventionellere Neuheiten ins Rampenlicht der Fachpresse zu schieben.

Um solche eine eher nebulöse .NET-Neuheit handelt es sich etwa bei der soeben vereinbarten Allianz der Redmonder mit dem US-Hoster Usinternetworking Inc. (USI). Microsoft hat 50 Millionen Dollar in das Unternehmen investiert, um einen Partner für die Entwicklung von Windows-basierten Lösungen im Application-Service-Bereich zu gewinnen. Ab Dezember 2000 will USI nach eigenen Angaben die ersten .NET-Anwendungen anbieten, 2001 sollen weitere Services folgen. Um welche Anwendungen es sich handeln soll, wurde nicht bekannt gegeben.

E-Business-Acceleration für MarktplätzeDen Ausführungen von USI zufolge dürfte es sich aber um konventionelle Mail- und Groupware-Dienste auf Exchange-2000-Basis handeln. Außerdem werden Business-Anwendungen von Siebel, Peoplesoft und Ariba sowie Infrastruktur-Dienste auf SQL-Server-Basis angeboten.

Eher um Aufsehen zu erregen, dürfte das Drei-Buchstaben-Kürzel auch mit der neuen E-Commerce-Initiative "E-Business-Acceleration" in Verbindung gebracht worden sein. B-to-B-Anbieter sollen damit zukünftig in die Lage versetzt werden, mit unterschiedlichen Plattformen zu kommunizieren. Vier Marktplatzanbieter werden in der derzeitigen Testphase von E-Business-Acceleration unterstützt: Ariba, Clarus, Commerce One und Verticalnet. Der Softwareriese nutzt die Kooperationen auch, um seine Serverprodukte zu promoten. Nach Aussage von Microsoft-Manager Robert Hylton sollen B-to-B-Anbieter, die die Produkte "SQL Server", "Commerce Server" und "Biztalk Server" in Verbindung mit Verticalnet einsetzten, auf allen 57 Marktplätzen von Verticalnet publizieren können.

Auch Hardwarehersteller wie Compaq und Dell will die Gates-Company in das Programm einbeziehen. Dell beispielsweise wird über "Supplier Advantage" komplette Pakete mit Hardware, Software sowie Consulting anbieten und verspricht, Kunden innerhalb von 30 Tagen an einen Marktplatz anzubinden.

Mit der Anpassung der Supply-Chain-Anforderungen werden Andersen Consulting, KPMG sowie Cap Gemini Ernst & Young betraut. Microsoft testet derzeit das Acceleration-Programm. Ein endgültiger Fertigstellungstermin konnte bisher nicht genannt werden, wobei einiges von dem verzögerten und für Ende des Jahres angekündigten Biztalk Server 2000 abhängen wird.

Von drei zukünftigen Produkten hat Microsoft Betaversionen veröffentlicht. Darunter befinden sich zwei Kernprodukte der .NET-Initiative, die Voraussetzung für den Aufbau von .NET-Services sind: Die Entwicklungsumgebung "Visual Studio .NET" und das ".NET Framework".

.NET Framework vereinfacht EntwicklungMit dem .NET Framework vereinheitlicht Microsoft verschiedene Programmiermodelle auf eine gemeinsame Basis, so dass die APIs und Befehle in verschiedenen Umgebungen in unterschiedlichen Programmiersprachen zur Verfügung stehen. Die Common Language Runtime (CLR) und die Klassenbibliotheken unterliegen jeder Komponente oder Anwendung auf dieser Plattform. Entwickler müssen also nicht mehr die zeitaufwändigen Prozeduren wie das Registrieren von Komponenten in der Registry oder das Reference Counting durchlaufen. Durch die Integration von Standards wie HTML, XML und Simpe Object Access Protocol (Soap) sind .NET-Anwendungen von Haus aus Internet-fähig und können als Web-Services eingesetzt werden. Mit Hilfe von Soap ist es möglich, Remote Procedure Calls an Firewalls vorbei zu lotsen und Services über das gesamte Internet anzubieten.

Nach Vorstellung von Microsoft machen solche Dienste das Web programmierbar. Anstatt verschiedene Websites wie etwa News- oder Börsendienste anzusurfen, könnten .NET-Anwendungen per Mausklick verschiedene, verteilte Web-Services selbsttätig aufrufen und dem Surfer die verarbeiteten Ergebnisse präsentieren. Wie die Programmiersprache C# wollen die Redmonder auch die Common Language Runtime bei der Ecma zur Standardisierung vorlegen. Die CLR ermöglicht ähnlich wie eine Java Virtual Machine (JVM) die plattformunabhängige Verarbeitung von Bytecode, der von verschiedenen .NET-Kompilern erzeugt wurde. Offen ist derzeit, wie weit Microsoft mit einer tatsächlichen Plattformunabhängigkeit ernst macht.

Eine weitere Testversion wurde aus der Reihe der .NET-Enterprise-Server an Tester verschickt: der Release Candidate 2 des "Internet Security and Acceleration Server 2000" (ISA). Das Produkt fungiert sowohl als Firewall als auch als Web-Cache zur Beschleunigung von Internet-Zugriffen. Der Server soll Anfang nächsten Jahres erscheinen.