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Microsoft Great Plains drängt nach Europa

19.06.2001
Auf der ersten europäischen Partner- und Anwenderkonferenz gab Microsoft Great Plains Business Solutions preis, was die Redmonder unter Applikationsgeschäft verstehen.

Von CW-Redakteur Bernd Seidel

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Auf der ersten europäischen Partner- und Anwenderkonferenz gab Microsoft Great Plains Business Solutions preis, was die Redmonder unter Applikationsgeschäft verstehen: Lösungen über Partner implementieren, Web-Services und Application-Service-Providing sind die Eckpfeiler.

"Für mich hat sich mit der Übernahme durch Microsoft am meisten geändert: Ich habe nun seit 18 Jahren das erste Mal wieder einen Chef", eröffnete Douglas Burgum die Kunden- und Partnerveranstaltung in Paris. Er steht seit 1984 an der Spitze der in Fargo, North Dakota, ansässigen Great Plains Corp. und ist seit der Übernahme durch die Redmonder nun President of Microsoft Great Plains Business Solutions, einer eigenständigen Division von Microsoft. Damit gehört er zur engeren Führungsmannschaft um Steve Ballmer, Chief Executive Officer (CEO) von Microsoft.

Ballmer hatte Geschäftsanwendungen als eines von sechs Feldern bezeichnet, auf denen sich Microsoft verstärkt tummeln werde. Nach Meinung von Branchenkenner Jean-Christian Jung, Analyst bei Pierre Audoin Conseil, bleibt den Redmondern auch nichts anderes übrig: Da das Geschäft mit Office-Programmen nur noch langsam wachse, müssten neue Wachstumsträger her.

Laut Burgum sei der Softwareriese bereits Ende 2000 an sein Unternehmen herangetreten, um über eine mögliche engere Zusammenarbeit zu sprechen. Nach ersten Gesprächen habe er erkannt: "Oh mein Gott, die wollen uns ja kaufen." Von einer feindlichen Übernahme könne allerdings keine Rede sein. Burgum und seine Strategen hätten minuziös geprüft, ob es Microsoft mit dem Einstieg ins Applikationsgeschäft tatsächlich ernst sei, und erst dann habe man der Ehe zugestimmt.

90 Prozent der Umsätze in den USA

Doch als Anwendungsanbieter zu überzeugen - speziell außerhalb der USA - dürfte nicht leicht fallen: "Great Plains hat zwar auf dem amerikanischen Markt einen Namen, aber in Europa und Deutschland kaum Erfolge vorzuweisen", erklärt Analyst Jung. Dafür spricht auch der Umsatz, den die Company eigenen Angaben zufolge zu rund 90 Prozent in Nordamerika erzielt. Zudem habe Microsoft selbst kaum Erfahrungen im ERP- (Enterprise Resource Planning) und CRM-Geschäft (Customer Relationship Management).

Dass die Konkurrenzsituation auf dem Kontinent eine völlig andere ist als im Heimatland, hat Lorne Borgal, President Microsoft Great Plains Europe, anscheinend erkannt. "Unternehmen wie Navision, Agresso und die vielen nationalen Anbieter machen uns den Eintritt nicht leicht.“ Darüber hinaus dürfte es schwierig sein, kompetente Lösungspartner zu finden, denn die genannten Mitbewerber, die ebenfalls den Vertrieb sowie die Implementierung über Dritte realisieren, sind bereits seit vielen Jahren etabliert und in puncto Partnerwahl voraus. In Deutschland kooperiert Great Plains bisher mit rund 40 Beratungshäusern, acht davon für das Produkt "E-Enterprise" und der Rest für das von BTK übernommene "Apertum".

Pläne: "Next Generation" und .NET

Neben dem Ausbau des Händlernetzes verfolgt Great Plains einen Konsolidierungskurs sowie die Abstimmung der eigenen Produkte auf die .NET-Strategie von Microsoft, ergänzt Darren Laybourn, Executive Vice President Products and Services bei Great Plains. Das Unternehmen hat durch die Käufe der letzten Jahre vier unterschiedliche Anwendungen mit ähnlichem Funktionsspektrum für ERP, CRM und SCM (Supply Chain Management) im Portfolio. Dazu gehören "Dynamics", das nur in Nordamerika verkauft wird, ebenso wie "Solomon", welches für kleinste Unternehmen gedacht ist. Mit "E-Enterprise" ist eine ERP- und SCM-Lösung im Angebot, die weltweit vertrieben wird: "50 deutsche Kunden haben dieses System derzeit im Einsatz", erklärt Great Plains‘ Channel Manager Jon Gugisberg. In Deutschland ist das Unternehmen durch den Kauf von BTK zudem im Besitz von "Apertum", das rund 1200 mal installiert ist. Weltweit haben insgesamt rund 150.000 Kunden mit 650.000 Anwendern Great-Plains-Software in Betrieb. Darüber hinaus steht mit "Great Plains Siebel Front Office" eine abgespeckte CRM-Lösung auf Basis von Siebel-Produkten für den Mittelstand zur Verfügung, die mit E-Enterprise integriert ist.

Langfristiges Ziel ist es, diesen Bauchladen zu einer "Next-Generation"-Lösung unter .NET zusammenzuführen. Dazu seien zunächst eine Reihe von Application Programming Interfaces (APIs) neu zu schreiben und gleichzeitig ein .NET-Framework zu gestalten. In Phase eins, die Anfang nächsten Jahres abgeschlossen sein soll, ist ferner geplant, alle Great-Plains-Applikationen webfähig zu machen. Bis Juni 2002 entstehe in Phase zwei ein Portal für die Interaktion zwischen Great-Plains-, Microsoft- und Fremdprodukten.

Apertum-Anwender bekommen eine Galgenfrist

Zwischen den Zeilen ist klar zu erkennen, dass Microsoft mit den Great-Plains-Produkten zweigleisig verfahren wird. Zunächst ist geplant, mittels Vertriebspartnern das Implementierungsgeschäft direkt bei Endkunden anzukurbeln. Doch die konsequente Ausrichtung auf .NET spricht dafür, dass einzelne Funktionen aus dem Portfolio künftig über Microsofts Mittelstandsservice-Portal "bCentral" zu beziehen sein werden oder Application Service Provider (ASPs) entsprechende Bausteine vorhalten.

Nicht ausschließen wollten die Great-Plains-Manager auch die Möglichkeit, Softwarebausteine - etwa Buchhaltung, Warenwirtschaft oder Personal-Management - als Web-Services im Internet anzubieten. Außerdem besteht die Option, Teile des Great-Plains-Angebots als zusätzliche Funktionen der "Office"-Suite feilzubieten. Dabei fungiere Office als ein Art Unternehmensportal, aus dem sich die Anwendungsbausteine dann aufrufen lassen. Diese Strategie liegt nahe, da Office sowieso auf fast jedem Desktop installiert ist, erklärt Laybourn.

Zum Bedauern für die Anwender gab die Company keinen exakten Fahrplan für die Konsolidierung der gesamten Produktpalette hin zu einem "Great Plains Next Generation" bekannt, das zum großen Teil mit Microsofts C# (sprich: See sharp) programmiert werden soll. Auch ein Migrationspfad für hiesige Apertum-Anwender wurde auf Nachfrage der COMPUTERWOCHE nicht genannt: "Wir werden Apertum so lange unterstützen, bis wir das neue Release fertig haben", so die lapidare Feststellung von Europachef Borgal. Sein US-Kollege Laybourn dürfte die Nerven der Apertum-Anwender allerdings etwas beruhigen. So geht er davon aus, dass mindestens noch drei Jahre vergehen, bis ein vollständig neues Produkt entstanden ist, so lange werde die Applikation weiter gepflegt.