Neuer Vertrag mit Sonderkonditionen kann Linux-Gespenst nicht vertreiben

Microsoft gibt Behördendruck nach

18.04.2003
MÜNCHEN (CW) - Bundesinnenminister Otto Schily und Jürgen Gallmann, Deutschland-Chef von Microsoft, haben einen neuen Lizenzrahmenvertrag geschlossen, wonach die öffentliche Hand Microsoft-Produkte künftig zu günstigeren Konditionen bekommen soll. So werden Behörden im Rahmen eines Enterprise Agreements die Software in Zukunft kaufen oder mieten können.

"Durch diese Vereinbarung sparen Bund, Länder und Gemeinden viel Geld", lautet Schilys Fazit zu den neuen Verträgen mit Microsoft. Wie hoch das Einsparvolumen ausfallen wird und welche Sonderkonditionen festgeklopft wurden, darüber vereinbarten beide Parteien Stillschweigen. Die neuen Lizenzrahmenverträge erlauben den Behörden, zwischen verschiedenen Bezugsalternativen wie Kauf, Miete, Voll- oder Teilstandardisierung zu wählen, verlautete von Seiten der deutschen Microsoft-Niederlassung. Darüber hinaus erhalte die öffentliche Hand durch stabile Preise über mehrere Jahre hinweg ein hohes Maß an Planungssicherheit. Microsoft wiederum verpflichte sich dazu, Schnittstellen und Datenformate offen zu legen sowie die Nutzung offener Standards in Microsoft-Produkten voranzutreiben, heißt es in einer Mitteilung des Ministeriums.

Mit der Unterschrift unter die neuen Verträge endet eine Phase langwieriger und zäher Verhandlungen. Nachdem Microsoft im vergangenen Jahr mit "Licence 6.0" sein neues Lizenzierungsmodell eingeführt hatte, erhob sich aus Behörden und Kommunen lautstarker Protest. Die neue Lizenzpolitik bedeute für die öffentliche Verwaltung in Deutschland eine deutliche Verschlechterung, beklagte Schily damals. Zuvor hatte auch der bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser vor Mehrkosten in Millionenhöhe gewarnt.

Lizenzmodell verärgert Ämter

Die Strategie vieler Behörden und Ministerien sei es, nur jeden zweiten Release-Wechsel mitzumachen. Diese Möglichkeit werde durch die Software Assurance beseitigt, da nur diejenigen in den Genuss günstiger Konditionen kämen, die sich verpflichteten, jeden Versionswechsel nachzuvollziehen. Nachdem Microsoft die Einführung des neuen Lizenzmodells, auch wegen des Drucks der Behörden, mehrfach verschoben hatte, trat es Mitte letzten Jahres endgültig in Kraft.

Daraufhin starteten viele Behörden auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene Evaluierungsprojekte in Sachen Open Source. Bundesinnenminister Schily unterzeichnete im Sommer 2002 einen Kooperationsvertrag mit dem damaligen IBM-Chef Deutschland, Erwin Staudt, über die Förderung offener Betriebssysteme und Software in der öffentlichen Verwaltung. Arbeitsgruppen sollten Projekte definieren, um die Anwendung von Open-Source-Produkten in der Praxis vorzubereiten. Damit solle laut Schily verhindert werden, dass eine Monopolmacht Preise und Bedingungen diktiert. Parallel gaben einzelne Kommunen wie zum Beispiel die Stadtverwaltung München Studien über einen möglichen Linux-Einsatz in Auftrag.

Der wachsende Widerstand sowie das immer demonstrativere Kokettieren der öffentlichen Hand mit Linux zwangen nach Einschätzung von Experten Microsoft zum Einlenken. Zusätzlichen Druck dürften die Linux-Initiativen einzelner Kommunen ausgeübt haben. So beschloss die Stadtverwaltung von Schwäbisch Hall, sämtliche Server und Clients auf Open-Source-Produkte umzustellen (siehe CW 11/03, Seite 38). Nachdem zuletzt in München erste Ergebnisse einer Studie durchsickerten, wonach Linux unter dem Kostenaspekt empfehlenswerter als eine Migration auf Windows XP sei, schrillten bei den Microsoft-Verantwortlichen sämtliche Alarmglocken (siehe CW 15/03, Seite 10). CEO Steve Ballmer unterbrach sogar seinen Schiurlaub in den Schweizer Alpen, um persönlich mit dem Münchner Oberbürgermeister Christian Ude zu verhandeln.

Inwieweit Microsoft den Kommunen in dem jetzt vereinbarten Rahmenvertrag entgegenkommt und ob dieser mehr als Übergangscharakter besitzt, ist angesichts der dürftigen Informationen nicht klar. Jedenfalls scheinen die Bedingungen des seit Oktober 2001 gültigen und bis Ende Mai 2004 befristeten früheren Rahmenvertrags nach wie vor zu gelten. Die neuen Lizenzvereinbarungen würden ergänzend zu den älteren angeboten, heißt es offiziell von Microsoft. Letztere sähen flexible und kostengünstige Übergangsregelungen vor, die den Erfordernissen der öffentlichen Hand in Deutschland Rechnung trügen, kommentierten Vertreter des Innenminsteriums.

Unbekannt ist auch, wie lange die jetzt vereinbarten Rahmenbedingungen gelten. Beide Seiten wollen sich bislang nicht zu Fristen äußern. Neben dem neuen Lizenzvertrag unterzeichneten die Geschäftspartner eine Absichtserklärung über eine Kooperation. Ziel dieser künftigen Partnerschaft sei es, die Sicherheit, Interoperabilität und Offenheit von IT-Systemen in der öffentlichen Verwaltung zu verbessern. Insider bezeichnen diesen Passus als reine Marketing-Blase. Microsoft sei gezwungen, Lippenbekenntnisse zu offenen Systemen abzugeben, weil der Markt dies fordere. Inwieweit sich der Konzern wirklich öffne, müsse man abwarten.

Linux bleibt im Spiel

Das Linux-Gespenst können die Microsoft-Verantwortlichen allerdings nicht vertreiben. "Die Verträge geben allen Behörden die Chance, Microsoft-Produkte kostengünstig einzusetzen, ohne verpflichtet zu sein, ausschließlich Microsoft-Produkte zu verwenden", erklärte Schily anlässlich der Unterzeichnung. Dennoch hoffen die Microsoft-Verantwortlichen, die Wogen vorerst geglättet zu haben. Mit dem Vertrag setze man weltweit einen Standard für den Umgang mit dem öffentlichen Sektor, so Deutschland-Chef Gallmann. Die Fäden halte Experten zufolge jedoch eindeutig die US-Zentrale in der Hand. (ba)