Microsoft fühlt sich politisch verfolgt

04.04.2006
Die Chefjustitiarin von Microsoft Deutschland, Dorothee Belz, kritisiert, das EU-Kartellrechtsverfahren sei zu einem "politischen Verfahren" geworden.

Anlässlich eines Interviews mit der computerwoche nahm Belz, die auch Mitglied der Geschäftsleitung ist, Stellung zu Äußerungen von EU-Kartellrechtskommissarin Neelie Kroes. Diese hatte in einem Brief an Microsoft-Chef Steve Balmer gedroht, das nächste Windows-Betriebssystem nicht für den europäischen Markt zuzulassen. Kroes deutete in dem Schreiben an, die EU-Kartellbehörde werde die Vermarktung von "Vista in Europa verbieten, sollten in diesem Betriebssystem bestimmte Features integriert sein".

"Wir erwarten, dass Microsoft Vista in einer Weise entwirft, die den Bestimmungen des europäischen Wettbewerbsrechts entspricht", sagte Kroes. "Es wäre ziemlich dumm, etwas zu entwickeln, dass diesen Bestimmungen nicht entspricht", so ihre unverhohlene Drohung.

Microsoft-Sprecher Tom Brookes hatte in einer ersten Stellungnahme gesagt, seinem Unternehmen liege der Brief der EU-Kommission noch nicht vor. Deshalb könne Microsoft keinen Kommentar dazu abgeben. Belz schloss sich dieser Aussage an, kritisierte aber dennoch EU-Kommissarin Kroes: "Wenn sich eine Wettbewerbskommissarin tatsächlich zu solch einer Bemerkung verleiten lässt, dann muss ich mir schon überlegen, ob sie mit der nötigen Objektivität an dieses Verfahren herangeht." Belz frage sich, "ob Kroes vielleicht eine persönliche Erfolgsgeschichte daraus machen möchte, Microsoft etwas zu beweisen".

Die Justitiarin fuhr fort, auch Microsoft habe Anspruch auf ein ordnungsgemäßes und objektives Verfahren. Mit Verweis darauf, dass sie früher selbst Staatsanwältin gewesen sei, deutete die Juristin mögliche Folgen der in dem Brief an Microsoft formulierten Drohung an: "Wenn diese Aussage tatsächlich so gemacht wurde, dann würde ich - hätte ein Richter solch eine Stellungnahme abgegeben - einen Antrag auf Befangenheit stellen." Auf Basis der bisherigen Faktenlage sei es jedenfalls "vorschnell, zu solchen Ergebnissen zu kommen".

Auf die Frage, ob sie den Eindruck habe, es gehe in dem Verfahren gegen Microsoft inzwischen möglicherweise nicht mehr um sachlich begründete Argumente, antwortete Belz: "Wenn man sich anschaut, wie momentan alles abläuft, wie das ganze Setting ist, dann muss ich sagen, das ist zu einem politischen Kartellverfahren geworden." Zur Erklärung fügte die Microsoft-Managerin an, die Handlungsweise der Kommission sei sehr gezielt: "Diese Ankündigungen jetzt im Vorfeld des Gerichtsverfahrens finden vom Timing her zu einem sehr guten Zeitpunkt statt. Die Kommission hat in anderen Verfahren ja auch schon sehr ähnlich und erfolgreich agiert."

Jonathan Todd, Sprecher von Kroes, erklärte, im Zuge der bisherigen Kartellrechtsuntersuchungen beobachte die EU besonders genau, welche Features Microsoft in Vista integriere. Hierbei verfolge die Kartellbehörde etwa, welche Software für die Internet-Suche Microsoft in Vista einbaue. Fortsetzung auf Seite 4

Google und andere Anbieter von Suchalgorithmen hatten in diesem Zusammenhang Bedenken geäußert, Microsoft könne seinen Browser "Internet Explorer 7" dazu missbrauchen, Nutzer vornehmlich auf seinen eigenen Suchdienst zu lotsen. Microsoft entkräftete die Befürchtungen mit dem Hinweis, es werde den Browser so gestalten, dass sich auch Software konkurrierender Anbieter als Standarddienst einstellen lasse.

EU-Regulierer hätten Microsoft zudem davor gewarnt, bestimmte Sicherheitsfunktionen in das Betriebssystem zu integrieren, sagte Todd weiter. So befürchtet beispielsweise Symantec, Microsoft könnte Vista mit einem Virenscanner bestücken und so das eigene Geschäft angreifen. Auch hierzu hatte sich Microsoft bereits ausgelassen. Vista wird demnach ohne Virenschutz ausgeliefert. Allerdings soll die kommende Windows-Version mit dem Anti-Spyware-Tool "Windows Defender" bestückt sein.

Belz betonte noch einmal, dass Microsoft sämtliche Auflagen der EU-Kommission erfüllt habe. Dies habe man durch Experten prüfen lassen. So liege unter anderem ein Gutachten von Manfred Broy, Leiter des Instituts für Software und Systems Engineering an der TU München, vor. Broy bestätigte, dass in seinem Gutachten die Bemühungen von Microsoft positiv eingeschätzt werden. Er gab zu bedenken, dass es bei der extremen Komplexität von Betriebssystemen fast nicht mehr machbar sei, diese grundsätzlich in allen Aspekten zu beschreiben. "Bei einer Dokumentation von 12 000 Seiten mit Abermillionen Zeilen Code kommt man an die Grenzen der Machbarkeit."

Gefragt, ob das Kartellrechtsverfahren mittlerweile politisch gefärbt sei, sagte Broy: "Das ist vielleicht etwas zu drastisch ausgedrückt." Er müsse sich als Gutachter mit Kommentaren zurückhalten. Klar aber sei, "dass hier unterschiedliche Interessen der Beteiligten zu konstatieren sind". (jm)