Server-Hersteller erwartet Verluste und kündigt weitere Entlassungen an

Microsoft erkauft sich Frieden mit Sun

09.04.2004
MÜNCHEN (CW) - Microsoft wird fast zwei Milliarden Dollar an Sun Microsystems zahlen, um die seit Jahren schwelenden Streitigkeiten rund um Kartellverfahren und Patentkonflikte aus der Welt zu schaffen. Dem Server-Spezialisten kommt die Finanzspritze nicht ungelegen. So erwarten die Sun-Verantwortlichen für das gerade zu Ende gegangene Quartal ein Minus von bis zu 800 Millionen Dollar.

"Diese Vereinbarung begründet ein neues Verhältnis zwischen Sun und Microsoft", gab Sun-CEO Scott McNealy am 2. April in San Francisco bekannt. Der Server-Hersteller erhält von Microsoft 700 Millionen Dollar für die Beilegung der anhängigen Kartellverfahren sowie weitere 900 Millionen Dollar für das Beenden der Patentstreitigkeiten zwischen beiden Firmen. Außerdem verpflichtete sich der Softwarekonzern, im Rahmen eines Technologieaustausches im Voraus etwa 350 Millionen Dollar an die McNealy-Company zu überweisen.

Ziel: Bessere Interoperabilität

Der auf zehn Jahre befristete technische Kooperationsvertrag zwischen Sun und Microsoft hat in erster Linie eine verbesserte Interoperabilität zwischen den Produkten beider Unternehmen zum Ziel. So will man beispielsweise im Bereich der Server-Software enger zusammenarbeiten, um Windows-basierende Clients effektiver in Suns Server-Umgebungen einbinden zu können. Außerdem soll es künftig Brücken zwischen Microsofts Active Directory und Suns Identity Server geben. Auch die Zusammenarbeit zwischen Microsofts .NET- Plattform und Suns Java-Architektur wollen die ehemaligen Kontrahenten verbessern. Sun wird ferner die Kommunikationsprotokolle des Desktop-Windows in Lizenz nehmen und seine mit Intels Xeon-Prozessoren bestückten Server für Windows zertifizieren lassen.

Kooperation war lange geplant

"Wir brauchten ein Gerüst für unsere Zusammenarbeit", erläuterte Microsoft-CEO Steve Ballmer anlässlich einer gemeinsamen Pressekonferenz. Vertreter beider Unternehmen hätten bereits seit einem Jahr über die Details einer Kooperation diskutiert. "Davon werden letztendlich die Kunden beider Unternehmen profitieren", versprach Ballmer. "Allerdings werden wir weiter in einem harten Wettbewerb stehen."

Für die meisten Branchenbeobachter kam die Einigung zwischen Sun und Microsoft überraschend. McNealy hatte in den vergangenen Jahren immer wieder durch kritische Kommentare und verbale Attacken gegen den Konkurrenten auf sich aufmerksam gemacht. So hatte der Sun-Chef in der Vergangenheit Microsoft als das "Biest aus Redmond" und das "Reich des Bösen" beschimpft. Er werde daran arbeiten, sich zu bessern, versprach der Sun-Chef.

Branchenbeobachter sind sich über die Auswirkungen noch uneins. Mit dem Abkommen hat Microsoft Sun den Rücken gestärkt, bilanziert Frank Gillett, Analyst von Forrester Research. Der Server-Spezialist könne sich nun stärker als Plattformanbieter und Alternative zu IBM im Markt präsentieren.

"Sun hat gegenüber Microsoft kapituliert", kritisiert dagegen Jeremy Allison, Co-Autor von Samba, einem Open-Source-Programm zum Datenaustausch zwischen Linux- und Unix-Systemen. Es sei mehr als zweifelhaft, ob Sun die von Microsoft in Lizenz genommenen Kommunikationsprotokolle in seinen Linux-basierenden Servern verwenden könne. Auch die Zukunft von Suns Java Desktop System, einem auf Open-Source-Produkten aufbauenden Softwarepaket für Desktop-Systeme, sei ungewiß.

Inwieweit sich die Einigung auf das EU-Kartellrechtsverfahren auswirkt, bleibt abzuwarten. Mit Sun verliert EU-Kommissar Mario Monti jedoch einen seiner wichtigsten Mitstreiter.

Sun erwartet schlechtes Quartal

Der Server-Hersteller hatte das Verfahren 1998 mit einer Beschwerde ins Rollen gebracht. "Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge", warnt jedoch Ballmer vor zu frühen Hoffnungen auf eine Beilegung des Verfahrens. Rechtsexperten gehen allerdings davon aus, dass Microsoft mit der jetzt erzielten Einigung vor dem Europäischen Gerichtshof punkten kann.

Ob Sun seine Probleme ebenso schnell in den Griff bekommt, ist dagegen fraglich. Der seit Jahren in der Krise steckende Server-Hersteller hat mit seinen vorläufigen Zahlen für das dritte Quartal des laufenden Geschäftsjahres 2004 enttäuscht. Der Umsatz, der ersten Informationen zufolge etwa 2,65 Milliarden Dollar betragen wird, liegt deutlich unter den Erwartungen der Analysten, die mit Einnahmen von über 2,8 Milliarden Dollar gerechnet hatten. Unter dem Strich erwartet Sun für das dritte Quartal ein Minus zwischen 750 und 810 Millionen Dollar. Darin enthalten sind jedoch Sondereffekte in Höhe von 550 Millionen Dollar.

Trotz der schlechten Zahlen versuchen die Sun-Verantwortlichen, weiter Optimismus zu verbreiten. Operativ sei das Geschäft im abgelaufenen Quartal passabel verlaufen. Man erwarte einen positiven Cashflow in Höhe von mehr als 300 Millionen Dollar, berichtete Finanzchef Steve McGowan. Außerdem pocht der Chief Financial Officer (CFO) auf Barreserven von rund 5,5 Milliarden Dollar.

"Trotzdem freuen wir uns natürlich über die Milliarden", räumt der deutsche Sun-Chef Helmut Wilke ein. Über die Geschäftsentwicklung in Deutschland könne er vor der offiziellen Bekanntgabe der Quartalszahlen Mitte April keine Angaben machen. Allerdings rechnet Wilke mit keinen größeren Auswirkungen der angekündigten Entlassungswelle in Deutschland.

3300 Stellen gehen verloren

Laut einer Ankündigung von McNealy sollen weltweit rund 3300 Sun-Mitarbeiter ihren Job verlieren. Das entspricht etwa neun Prozent der gesamten Belegschaft, die derzeit zirka 35000 Köpfe zählt. "Wir verkleinern das Unternehmen, um unsere Kostenstruktur besser anzupassen", erläuterte der Sun-Chef die Maßnahme. Der Server-Hersteller hatte bereits in den vergangenen Jahren rund 8500 Stellen abgebaut, um seine Kosten zu drosseln.

Dennoch geht Wilke für die Zukunft von besseren Geschäften und größerer Wettbewerbsfähigkeit aus. "Die Kooperation ist erst einmal ein Punkt für uns. An IBMs Stelle wäre ich sicher nicht erfreut über diese Nachrichten." In diesem Zusammenhang setzt der Sun-Manager vor allem auf Software- und Infrastrukturprojekte. Ein Beleg dafür, dass Sun diesen Bereich künftig offenbar stärker betonen will, ist auch die Berufung von Jonathan Schwartz zum Chief Operating Officer und President des Unternehmens. Der 38-jährige Manager verantwortete davor Suns Softwaregeschäfte und war maßgeblich an der Entwicklung der im vergangenen Jahr vorgestellten Java-Systeme beteiligt.

Experten rechnen jedoch damit, dass konkrete Ergebnisse der neuen Kooperation auf sich warten lassen. "Es wird eine Evolution sein", dämpft auch McNealy vorschnelle Erwartungen. Charles DiBona, Analyst von Sanford Bernstein, warnt ebenfalls: "Wir haben in der Vergangenheit schon zu oft nette Worte gehört." (ba)

Scotty - beam you up

Steve Ballmer und Scott McNealy saßen wie zwei alte Schulfreunde lachend nebeneinander und schlugen sich freundschaftlich auf die Schultern. Krönung der Versöhnungsfeierlichkeiten war der Austausch von Eishockey-Trikots der jeweiligen Lieblings-Teams.

Woher kommt der plötzliche Sinneswandel, fragten sich augenreibend Journalisten und andere Branchenbeobachter. Sun steckt in der tiefsten Krise seiner Geschichte. Die Zahlen werden seit Jahren von Quartal zu Quartal schlechter, und bislang hat keine der Gegenmaßnahmen von der Massenentlassung bis hin zur neuen Java-Software-Strategie gegriffen. Vor diesem Hintergrund große Töne zu spucken und die Konkurrenz mit Verbalattacken zu schmähen käme nicht mehr gut an.

Angesichts des radikalen Kurswechsels wird man sich fragen müssen, wie lange McNealy das Ruder noch in Hand halten kann. Der Sockel des autokratischen Firmenlenkers alter Schule ist jedenfalls angeknackst, seine Glaubwürdigkeit steht in Frage. Seinem Anspruch, alle Fäden in der Hand zu halten, kann der Sun-CEO nicht mehr gerecht werden. So muss McNealy seinen Posten als President an Jonathan Schwartz abtreten. Der 38-jährige Aufsteiger wird seinem Boss außerdem als Chief Operating Officer das Tagesgeschäft abnehmen. Wetten über den Zeitpunkt von McNealys Abgang dürften Konjunktur haben. (ba)