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Microsoft: Das Urteil ist gefällt

08.06.2000
Fakten und Stimmen zum Kartellverfahren

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Der im Antitrust-Prozess gegen Microsoft vorsitzende Richter Thomas Jackson hat gestern um 16.30 Uhr Ostküstenzeit (22.30 Uhr MEZ) und damit eine halbe Stunde nach Börsenschluss sein Urteil gesprochen. Wie nicht anders zu erwarten, sieht der Spruch eine Zweiteilung des Softwarekonzerns in eine Betriebssystem- und eine Anwendungs-Company vor. Jackson folgt damit weitgehend den Forderungen der US-Regierung, genauer: des Justizministeriums und 17 von ursprünglich 19 einzelnen US-Bundesstaaten. Gleichzeitig verhängte er das schärfste Kartellurteil seit der Zerschlagung von AT&T vor 18 Jahren. Den eigentlichen Schuldspruch wegen des Verstoßes gegen den Sherman Antitrust Act hatte der Richter bereits im April verkündet.

Die geforderte Teilung von Microsoft würde für zehn Jahre gelten. Die Teilunternehmen dürften in diesem Zeitraum keine Joint Ventures gründen, sich nicht gegenseitig bei Entwicklung, Lizenzierung oder Vertrieb von Produkten unter die Arme greifen oder untereinander bevorzugen. Weitere Eingriffe in Microsofts Geschäftsgebaren (s.u.) würden in 90 Tagen wirksam werden, falls sie nicht von einem Berufungsgericht außer Kraft gesetzt werden. Binnen vier Monaten müsste der Konzern einen Plan vorlegen, wie er das Urteil umzusetzen gedenkt.

In einem separat veröffentlichten Memorandum ging Richter Jackson einmal mehr hart mit Microsoft ins Gericht. Wörtlich bezeichnete er den Konzern als "nicht vertrauenswürdig". Weiter schrieb der Richter, Microsoft sei "mit seiner derzeitigen Organisation und Führung zu keinem Zeitpunkt bereit gewesen, seinen nachweislichen Gesetzesverstoß zuzugeben". Eine strukturelle Bestrafung sei deshalb zwingend erforderlich.

DIE DETAILS

Das Urteil sieht eine Aufteilung Microsofts in zwei unabhängige Unternehmen vor:

Betriebssystem-Company: Betriebssysteme für PCs, Server, Handhelds, Handys, Settop-Boxen usw., mit einem Wort: Windows.

Anwendungs-Company: Office, Back Office, SQL Server, SNA Server, Internet-Software (Internet/Mobile Explorer, Outlook (Express)), Internet Information Server (IIS), Java Virtual Machines, Frontpage, Windows Media, XML-Server und -Parser sowie "alle Investitionen in Partnerschaften oder Joint Ventures" und die Internet-Aktivitäten von MSN, MSNBC, Slate und Expedia.

Daneben fordert Richter Jackson eine Reihe struktureller Beschränkungen für den Konzern. Diese greifen in drei Monaten, wenn sie nicht vom Berufungsgericht ausgesetzt werden. Microsoft

darf keine "Knebelverträge" mit PC-Herstellern schließen,

darf Konkurrenten nicht durch Verweigerung von Lizenzbedingungen, technischem oder Vertriebs-Support unter Druck setzen,

muss allen PC-Herstellern die gleichen Lizenzbedingungen einräumen, und

kann Windows-Lizenznehmer nicht zur Abnahme weiterer Microsoft-Produkte verpflichten.

Eine Reihe zusätzlicher Beschränkungen würde erst im Falle einer Teilung des Konzerns zum Tragen kommen:

Keine der beiden "Baby Bills" dürfte Anbietern von Konkurrenzprodukten Lizenzen oder Support verweigern,

die Betriebssystem-Company müsste alle wichtigen APIs (Programmierschnittstellen) von Windows offen legen und

den Browser Internet Explorer von der Anwendungs-Company in Lizenz nehmen, und schließlich müsste

die Betriebssystem-Company allen Hard- und Softwareanbietern identische Konditionen für Lizenzen, Preise und Zugang zu technischen Hintergrundinfos gewähren.

Das Verfahren ist damit aber noch nicht beendet, denn Microsoft geht wie angekündigt in die Berufung. "Ich fühle mich an das Sprichwort erinnert: ´Heute ist der erste Tag vom Rest Ihres Lebens´. Tja, heute ist der erste Tag vom Rest dieses Falles", erklärte Microsoft-Gründer Bill Gates in einer ersten Stellungnahme. Für die Berufung gab er sich optimistisch. "Das Urteil steht im Widerspruch zu früheren Entscheidungen von Berufungsgerichten und Supreme Court, die stets die Verbesserung von Produkten wollten. Es ist unangemessen, Microsoft zu teilen und die Softwareentwicklung zu reglementieren, und es widerspricht der Realität, die Verbraucher jeden Tag sehen", so Gates weiter. Er kündigte aber bereits an, Microsoft werde sich selbstverständlich jedem endgültigen Urteil fügen.

Es wird erwartet, dass Richter Jackson den Fall direkt an den Supreme Court weiterleitet, das höchste Gericht der Vereinigten Staaten. Sollte sich dieser der Sache annehmen (was keineswegs als sicher gilt), ohne noch weitere Instanzen zwischenzuschalten, dürfte wenigstens ein weiteres Jahr vergehen, bevor endgültig ein Urteil gesprochen wird. Sollte der Supreme Court den Fall zunächst an das Berufungsgericht des Staates Washington zurückgeben, drohen sogar jahrelange Verhandlungen.

Nach Meinung von Rob Enderle von der Giga Group dürfte dies zumindest mittelfristig Unsicherheiten bei Entwicklern und Anwendern mit sich bringen. Er erwartet, dass alternative Betriebssysteme wie Solaris und AIX/Monterey und möglicherweise sogar Novell Netware davon profitieren werden. Microsoft selbst sieht sich allerdings weiterhin voll auf Kurs Richtung "Next Generation Windows Services" (NGWS). Bill Gates erklärte, die Entwicklung des ambitionierten Projekts laufe weiterhin "mit Volldampf".

STIMMEN ZUM URTEIL

"Die heutige Entscheidung stellt einen unbefugte und ungerechtfertigten Eingriff in den Markt der Softwareindustrie dar. Für Leute, die geistiges Eigentum schaffen, sagt es: Die Regierung kann Dir wegnehmen, was Du kreiert hast, wenn es sich als zu populär herausstellt."

Bill Gates, Microsoft-Gründer

"Die Teilung ist das richtige und essentielle Mittel, um mit Microsofts wiederholtem Missbrauch seines Monopols fertig zu werden. Wir sollten uns für die Dauer des Prozesses stets vor Augen halten, dass Vorsicht eine gute Sache ist; und für Microsoft gilt: Je mehr Vorsicht, desto besser."

Scott McNealy, CEO Sun Microsystems

"Aus unserer Sicht stellt die Trennung von Betriebssystem- und Anwendungsgeschäft für jedes unabhängige Unternehmen einen Anreiz zum gesunden, aber fairen Wettbewerb dar."

Carl Yankowski, CEO Palm

"Wir fühlen uns bestätigt. Ich freue mich über die Chance für neue Innovationen in unserer Industrie."

Jim Barkesdale, Ex-CEO Netscape

"Compaq ist gegen Versuche, Microsoft zu zerschlagen. Wir haben eine Menge Probleme mit dem Vorschlag der Regierung gehabt, und die sehen wir auch weiterhin."

Alan Hodel, Compaq-Sprecher

"Die Definition von Erfolg lautet: Microsoft portiert Office auf Linux. Mit der Teilung kommen wir diesem Ziel einen Schritt näher."

Bob Young, CEO Red Hat Software

"Dies könnte eine signifikante Veränderung unserer Industrie bedeuten. Wir sind aber zuversichtlich, dass die Branche damit klar kommt, so wie sie es auch in der Vergangenheit geschafft hat - wenn es überhaupt dazu kommen sollte."

Chuck Malloy, Intel-Sprecher

"Solange nicht klar ist, was wirklich bei der Sache herauskommt, überlassen wir die Spekulationen darüber, was passieren könnte und wann, den anderen."

T.R. Reid, Dell-Sprecher

"Ich halte die Entscheidung für unklug. Im PC-Bereich haben Microsoft und Windows längst gesiegt. Auch in zwei Jahren werden die Verbraucher noch Microsoft-Produkte benutzen wollen. Niemand will, dass uns die Regierung vorschreibt, wie man Software schreiben sollte. Eine Teilung von Microsoft birgt eine ´Turmbau-zu-Babel´-Gefahr - und zum Schluss hat man dann zwei Monopole."

Tim Bajarin, Creative Strategies Inc.

"Die Verbraucher haben gewonnen. Die Justiz hat gewonnen. Microsoft hat verloren. Konsumenten werden künftig mehr Auswahl bei Anwendungssoftware haben, und die Produkte werden billiger."

Ken Wasch, SIIA (Software and Information Industry Association)

"Es glaubt wohl niemand mehr daran, dass Microsoft auch die nächste Welle des Computing dominieren wird. Der große Vorsprung, den Microsoft noch vor ein paar Jahren hatte, verschwindet zunehmend."

Ron Palmeri, Parachute (früher Novell)

"Eine Travestie der Justiz - die Verlierer sind die IT-Industrie und die Verbraucher. Das Ergebnis werden weniger Wahlmöglichkeiten, weniger Innovation und höhere Preise sein."

Jonathan Zuck, ACT (Association for Competitive Technology)

"Das Urteil ist ausgewogen. Die strukturellen Maßnahmen werden den Wettbewerb befördern und eine nachhaltige Wirkung auf diese wichtige Industrie haben."

Janet Reno, US-Justizministerin

"Microsoft ist selbst Schuld. Seine wiederholten Rechtsbrüche sind das Ergebnis von Entscheidungen, die über einen langen Zeitraum hinweg auf höchster Unternehmensebene getroffen wurden."

Joel Klein, Oberster US-Kartellanwalt

"Microsoft hat eindeutig zuviel Macht erlangt und so den Wettbewerb behindert. Das gilt auch für die Bundesrepublik."

Daniel Riek, ID-Pro AG

"Das ist ja keine wirkliche Nachricht - das Urteil steht eigentlich schon seit Dezember fest. Ich bin froh, dass nun ein Schlusspunkt gesetzt wurde. Jetzt können wir uns ganz auf die zweite Instanz konzentrieren"

Rudolf Gallist, Geschäftsführer Microsoft Deutschland