Von der Kunst, die Spreu vom Weizen zu trennen:

Methodische Werkzeuge zur Planung neuer Bürotechniken

24.06.1988

Die facettenreiche Problematik der Planung von Bürounterstützungssystemen ist durch einen weiteren Aspekt ergänzt worden Die Planung der Planung oder die Auswahl von methodischen Werkzeugen zur Planung und Einführung von Bürotechniken Ist selbst zu einer anspruchsvollen Aufgabe geworden Peter Simonis zeigt Möglichkeiten auf, wie die e Planung am wirkungsvollsten durchgeführt werden kann.

Wer sich heute im Dickicht von mehr als 30 am Markt verfügbaren methodischen Paketen und Ansätzen zielsicher zurechtfinden will, benötigt neben einem sicheren Gespür für die Problemlage im eigenen Unternehmen und viel Erfahrung (die in der Regel durch Lehrgeld, sprich "in den Sand gesetzte" oder "steckengebliebene" Bürokommunikationsprojekte erworben wurde) Orientierungshilfen im unüberschaubaren Dienstleistungsmarkt. Eine Auswahl t der am Markt verfügbaren Methodenpakete zeigt die Tabelle auf Seite 29, unten.

Die Berater und Methodenentwickler des Instituts für Organisationsforschung und Technologieanwendung in München (IOT) fassen ihre Praxiserfahrungen aus Bürokommunikationsprojekten und Marktbeobachtungen zum Thema Planungs- und Einführungsverfahren" mit folgenden Argumenten und Thesen zusammen:

- Die Verbesserung der Bürokommunikation ist heute oftmals ein entscheidender Hebel zur vollen Ausschöpfung von Erfolgspotentialen, die sich in Unternehmen und Behörden finden. Die offenliegenden Rationalisierungspotentiale wurden vielfach bereits im "Tagebau" durch die Einführung traditioneller DV-Infrastruktur abgeschöpft. Heute stehen wir vor einem diffizileren Problem: Das enorme Potential moderner Bürokommunikation läßt sich nicht einfach abschöpfen, indem "homogene, stationäre Benutzergruppen" einheitlich mit moderner Technik ausgestattet werden. Bürokommunikation ist keine lokale Veranstaltung, sondern der bewegliche Kitt, der unterschiedlichste Nutzergruppen (oftmals "naive"- oder Gelegenheitsnutzer moderner Bürotechniken) aus diversen Unternehmensbereichen verbindet.

Berater decken Schwachstellen auf

In einem soeben abgeschlossenen Projekt konnten beispielsweise Rationalisierungsnischen erheblichen Ausmaßes aufgespürt werden, indem die Berater die Kommunikation zwischen Vertrieb und einem Werkstattbüro unter neuen Voraussetzungen organisierten und technisch unterstützten.

Verbesserungspotentiale, Strategien zur Beseitigung von Schwachstellen und Leidensdrücke liegen bei dem stark erweiterten Blickwinkel der für die Bürokommunikation gewählt werden muß, nicht als leicht "abbaubare" Reserven vor, sondern in der Regel als "tektonische Verwerfungen", die mit professionellen und bürospezifischen Hilfsmitteln aufgespürt werden müssen.

Das Zufallsprinzip kann teure Folgen haben

Im Zuge von Bürokommunikationsprojekten treten nach Erfahrung der IOT-Berater beim beteiligten Management regelmäßig Überraschungseffekte auf, wenn das Analyseteam durch gezielten Methodeneinsatz eine nicht erwartete Goldader freilegt. Abgesicherte Erfahrungswerte zur methodischen Planung und Einführung von Bürounterstützungssystemen belegen, daß

- methodisch gestütztes Vorgehen die Investitionen in organisatorische Reformen und technische Infrastruktur um die Hälfte reduzieren kann,

- das Nutzenpotential einer Bürokommunikationslösung bei Einsatz der geeigneten Methodik um den Faktor 2 gesteigert werden kann.

Welche Zusammenhänge lassen sich mit Hilfe methodischer Planung in den Griff bekommen? An welchen Stellschrauben sollten Planungs- und Analyseansätze drehen? Zu den allgemeinen Aufgaben gehört sicherlich die strategische oder "Explorerfunktion" von Planungsansätzen. Sie spürt die Felder auf, auf denen nach erfolgreichen Quellen zur Verbesserung der Bürokommunikation gesucht werden soll. Das Zufallsprinzip kann hier zu einem teuren Fehler auswachsen. Neue Bürokommunikationstechnik muß zu den strategischen Unternehmenszielen kompatibel sein und diese aktiv unterstützen. Methodische Ansätze sollten die strategischen Unternehmensziele erfassen oder gegebenenfalls aufspüren. Letztlich muß sich jede Bürokommunikationslösung an den kritischen Erfolgsfaktoren eines Unternehmens und am Marktniveau, in dem das Unternehmen operiert, messen lassen. Je deutlicher diese Bedingungen herausgearbeitet werden, desto größer ist das Erfolgspotential einer Lösung.

Erst nach der vollständigen konzeptionellen Erfassung von Rahmenbedingungen und Vorstellungen der Beteiligten setzt der taktische Teil des Planungsansatzes an, der insbesondere die folgenden Fragestellungen angeht:

- Welche aussichtsreichen organisatorischen und technischen Möglichkeiten lassen sich erkennen?

- Wie kann die schnelle und situationsgerechte Nutzung der Technik sichergestellt werden?

Ein erfolgreiches Angehen dieser Fragen gelingt nur in einer Know-how-Synthese von organisatorischen Fähigkeiten, technischem Wissen und arbeitswissenschaftlicher Kompetenz. Die Planung und Einführung von Bürokommunikationstechnik stellt sich aus diesem Blickwinkel vor allem als Versuch dar, das technisch Mögliche sinnvoll und organisch in organisatorische Zusammenhänge einzubetten. Methodische Planung sollte dabei sowohl die technische Konfigurierung, als auch die organisatorischen Maßnahmen unterstützen.

Das Innovationspotential moderner Bürokommunikationstechnik wird verspielt, wenn organisatorische, technische und arbeitswissenschaftliche Fragen nicht gleichrangig behandelt werden. So banal diese Erkenntnis auch klingen mag: Es gibt kaum einen Beratungsauftrag in einem technisch gut ausgestatteten Unternehmen, der nicht bereits nach kurzer Zeit eindrucksvoll belegen kann, daß die vorhandene Infrastruktur wegen Verstöße gegen arbeitswissenschaftliche oder organisatorische Gebote teilweise, unzureichend oder gar nicht ausgenutzt wird.

These 1

Verfahren zur Planung und Einführung von Bürokommunikationstechnik, die nicht von den strategischen Zielsetzungen der Unternehmen ausgehen und deutlich dokumentieren, daß technische Maßnahmen untrennbar verknüpft sind mit organisatorischen und arbeitswissenschaftlichen Gesichtspunkten, haben die Zeichen der Zeit verpaßt und werden ihre Anwender ohne erhebliche Zusatzaufwendungen nie auf einen grünen Zweig kommen lassen.

Planung und Einführung von Bürokommunikation ist eine konzertierte Aktion im wahrsten Sinne des Wortes. Es gibt kaum einen Unternehmensbereich, kaum eine Position in der Mitarbeiterhierarchie, die von neuen Bürokommunikationslösungen nicht betroffen sein könnte. Nicht zuletzt deshalb sollten Planungsprojekte im Bereich Bürokommunikation sicherstellen, daß die Abteilungen Datenverarbeitung, Organisation und Nachrichtentechnik an einem Strang ziehen können. Dies gelingt jedoch nur, wenn die Ansätze auch wirklich im oben beschriebenen Sinne aus der "Tagebau-Mentalität" ausbrechen und die komplexen Probleme mit einem umfassenden, ganzheitlichen Ansatz angehen.

Wann kann ein Ansatz als umfassend und damit als sinnvolle Unterstützung bezeichnet werden? Aus den Projekterfahrungen des IOT lassen sich zwei Gruppen von Kriterien ableiten, die dem Anwender Hilfestellungen bei der Auswahl und Überprüfung der Qualität von Ansätzen zur Planung und Einführung von Bürokommunikationstechnik leisten. In die Gruppe eins fallen Kriterien, die sich unmittelbar auf die Methodik selbst beziehen:

- Transparenz: Der Aufbau von Bürokommunikationssystemen ist keine geschlossene Veranstaltung. Gerade in Bereichen, die von aktiver Akzeptanz der betroffenen Mitarbeiter hochgradig abhängig sind-und dies ist bei Bürokommunikationsprojekten der Fall-müssen Planungsprozesse durchschaubar, nachvollziehbar sein und vor allem den Beteiligten Partizipationsmöglichkeiten anbieten können. Das Gebot der Transparenz verpflichtet vor allem zur Offenlegung von Hilfsmitteln wie Checklisten, Leitfäden, Programme, Beispielszenarien, Formulare, Pflichtenhefte etc.

- Know-how-Transfer: Die Annahme, Bürokommunikationslösungen ließen sich nach einer Moment-Ist-Aufnahme realisieren, ist falsch. Die Planung und Einführung von Bürokommunikationslösungen ist eine Daueraufgabe und ständige Herausforderung, die regelmäßiger methodischer Unterstützung bedarf. Methodische Ansätze sollten demnach die systematische Schulung von Mitarbeitern der Anwenderorganisation sicherstellen. Ferner sollte die permanente Aktualisierung der Methodik garantiert werden können.

- Projekt-Controlling: Bürokommunikationsprojekte sind häufig zeitaufwendig und entfalten eine große Breitenwirkung im Unternehmen. Gerade deshalb müssen erfolgversprechende Planungsansätze auch Hilfsmittel und Werkzeuge enthalten, die den Projektfortschritt und die Planung der Planung unterstützen. Schlechtes Projektmanagement hat schon manche erfolgreiche Bürokommunikationsstrategie diskreditiert.

- Bestimmung von Kosten und Leistungen: Die These, Bürokommunikationsprojekte ließen sich wirtschaftlich nicht rechnen, ist ein alter und falscher Hut. Längst gibt es methodische Ansatzpunkte, die nicht nur Hard-, Soft- und Orgwarekosten erfassen, sondern auch Nutzen und Leistungen nachweisbar machen. Kosten und Leistungen sind die Meßlatten, mit denen betriebliche Investitionen beurteilt werden. Dies gilt heute mehr denn je: Methodische Werkzeuge, die hier nicht eindeutig Farbe bekennen, sind unbrauchbar.

- Ganzheitliche und vollständige Betrachtungsweise: Bürokommunikationsprojekte tangieren technische und organisatorische Subsysteme gleichermaßen. Hinzu kommen arbeitswissenschaftliche Fragen. Planungsansätze sollten deshalb Module enthalten, die auf die genannten drei Bereiche vollständig Bezug nehmen, ohne die nun hinlänglich bekannten Standardfehler zu begehen. Einer dieser Standardfehler besteht beispielsweise darin, den Ist-Zustand lückenlos und zeitaufwendig zu rekonstruieren (und möglichst mit zahlreichen Kuchendiagrammen zu illustrieren), das Design der technischen Lösung aber letztlich intuitiv - also ohne systematische Ableitung aus dem Datenmaterial-zu bestimmen. Beim Design von Bürokommunikationslösungen liegt heute noch vieles im argen.

These 2

Die Auswahl einer Methodik zur Planung und Einführung von Bürokommunikationstechnik ist eine individuelle Entscheidung. Allerdings sollte die Entscheidung für ein Verfahren sich auf den aktuellen "State of the Art" gründen, der eine Vorauswahl ermöglicht. Viele Verfahren genügen diesen Basiskriterien nicht.

Die oben dargestellte Kriteriengruppe ließe sich noch weiter aufgliedern. Es soll jedoch noch eine zweite Gruppe erwähnt werden, die in ihrer Bedeutung regelmäßig unterschätzt wird: Bei der Erarbeitung von Bürokommunikationslösungen ist das persönliche Geschick des Beraters und seine Akzeptanz im Unternehmen von herausragender Bedeutung. Mancher Bericht, mit nobelpreisverdächtigen Methoden erstellt, verstaubt ungelesen in den Schubladen der Organisatoren, weil er systematisch an den praktischen Problemen im Betrieb vorbeigeschrieben wurde. Aus der zweiten Gruppe sollen lediglich drei Kriterien herausgehoben werden:

- Praxisbewährung der Methode: Nicht alles, was theoretisch schlüssig erscheint, laßt sich im betrieblichen Alltag umsetzen. Ein Ansatz, der nicht in einigen Projekten getestet wurde, ist in der Regel weniger treffsicher als Produkte, die zumindest ein oder zwei erfolgreiche Referenzprojekte aufweisen können.

- Herkunft des Methodenanbieters: Mit dem Methodenanbieter kauft sich der Anwender in der Regel bestimmte typische Sichtweisen ein: Deutliche Unterschiede liegen beispielsweise zwischen den Dienstleistungsangeboten von Anbietern von Kommunikationstechnik und neutralen Beratungshäusern.

- Persönlichkeit des Beraters: Die Möglichkeiten einer harmonischen Zusammenarbeit mit den Beratern sollte vom Anwenderunternehmen intensiv geprüft werden. Häufig werden methodische Ansätze professionell präsentiert, während bei der Durchführung personelle und inhaltliche Überraschungen auftreten.

These 3

Check the consultant: Manche nobelpreisverdächtige Methode zerschellt an den Klippen des Büroalltages, wenn nicht die richtigen persönlichen Voraussetzungen bei den Durchführenden vorliegen.

Dr. Stefan Sorg, Geschäftsführer des IOT München, kommentiert die "Erdrutsche", die ein Bürokommunikationsprojekt in manchen Unternehmen erzeugt, wie folgt: "Viele Anwender unterschätzen die strategische Bedeutung, die der Bürokommunikation heute zukommt. Mangelndes Problembewußtsein beim Anwender fällt dann häufig zusammen mit Angeboten von Beratungshäusern, die meinen, das "Anhängsel Bürokommunikation" nebenbei bedienen zu können. Die Kurzsichtigkeit der so entstandenen Lösungen zeigt sich oft erst dann, wenn es für die Unternehmen wirtschaftlich eng wird und der Bürokommunikation spürbar existentielle Bedeutung zukommt."

Wie läßt sich hier die Spreu vom Weizen trennen? Sicherlich nicht durch Checklistentests verschiedener Planungsverfahren am Schreibtisch. Hilfsmittel dazu stehen zwar mit Publikationen des VDI sowie von anderen Verbänden bereit. Die einzige reelle Chance ist und bleibt aber das persönliche Gespräch mit kompetenten Dienstleistern, das vom Kunden aktiv geführt wird. Zweifel, Unsicherheiten und Angst vor dem Risiko erledigen sich oft bereits nach einem konzentrierten persönlichen Gespräch.