Entwickler reagieren in der Regel mit Skepsis

Methodeneinsatz verlangt einen behutsamen Einstieg

06.03.1992

Methoden für die Softwareentwicklung lassen sich nur dann effizient einfuhren, wenn dabei die individuelle Ausgangslage des betreffenden Unternehmens berücksichtigt wird. Peter Brüggemann hält von der Ad-hoc-Übernahme eines theoretischen Ansatzes wenig. Der einfachste und beste Weg ist seiner Ansicht nach die Methodeneinführung mit Hilfe eines Pilotprojektes.

Die gegenwärtig üblichen Verfahren der Software-Entwicklung sind sehr unterschiedlich, und die Methoden des Software-Engineering können nicht in allen Unternehmen auf die gleiche Art und Weise angewandt werden. Dieser Situation kann durch ein pragmatisches Vorgehen in der Phase der Einführung neuer Methoden Rechnung getragen werden. Ein solches Procedere muß auf der einen Seite die Grundprinzipien der Methoden akzeptieren, auf der anderen Seite aber genügend Freiraum für deren Anwendung im speziellen Unternehmensumfeld lassen.

Anwender akzeptieren bei der Definition ihrer Anforderungen in der Regel durchaus ein methodisch strukturiertes Vorgehen. Die Erkenntnis neuer Gestaltungsmöglichkeiten, und vor allem die Chance, das am Ende der Entwicklungsarbeit abgelieferte Produkt einer Qualitätskontrolle unterziehen zu können, überragen mögliche negative Auswirkungen. Letztere können aus dem Zwang zum abstrakten Denken

entstehen, das vielfach mit DV-technischen Regeln gleichgesetzt und in den meisten Fällen abgelehnt wird.

Die Entwickler begegnen neuen Methoden und Verfahren im Vergleich zu den Anwendern mit mehr Skepsis. Die Gründe hierfür liegen unter anderem darin, daß die gewohnten Pfade nur ungern verlassen werden. Häufig fehlt zudem das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der verfügbaren Werkzeuge und viele Entwickler fürchten, Kompetenz und Handlungsfreiheit zu verlieren. Zum Leidwesen der Betroffenen erlaubt über. dies der durch Methodeneinsatz verbesserte Einblick in Arbeitsfortschritte und Produktqualität eine genauere Kontrolle der Arbeitsergebnisse.

Der Zeitraum, in dem wesentlich über Erfolg oder Mißerfolg einer Anwendung entschieden wird, und in dem die Motivation der Mitarbeiter am wirkungsvollsten zu beeinflussen ist, ist die Phase der Einführung neuer Methoden und Verfahren. Der bisher übliche Weg, über ein umfangreiches Angebot an Workshops und Seminaren die notwendigen theoretischen Grundlagen zu schaffen, hat in vielen Fällen in eine Sackgasse geführt. Weder Methoden noch Werkzeuge wurden letztlich umfassend genutzt.

Was also muß im Rahmen der Einführung von Methoden und Verfahren geleistet werden? Schwerpunkte sind darauf zu legen, die Akzeptanz für Methoden zu steigern, Erfahrungen im Umgang mit Methoden zu vermitteln und langfristig solche neuen Vorgehensweisen im Unternehmen zu verankern. Diese Ziele sind durch ein Pilotprojekt zu erreichen, in dessen Verlauf nicht nur eine konkrete Entwicklungsaufgabe realisiert wird, sondern vor allem unternehmensindividuelle Standards für die zukünftige Anwendung der neuen Methoden geschaffen werden.

Die Entscheidung für die Einführung im Rahmen eines Pilotprojektes beruht auf der Erkenntnis, daß die Vermittlung von methodischen Grundlagen noch immer die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwicklung in Richtung ingenieurmäßiges Vorgehen bei der Systementwicklung ist. Neue Methoden und Theorien lassen sich aber nicht nur in Seminaren und Vorträgen - losgelöst vom Entwicklungsalltag - vermitteln.

Die Mitarbeiter aus der Entwicklungsabteilung und dem entsprechenden Fachbereich, für den das neue System pilothaft entwickelt werden soll, müssen so ausgewählt werden, daß später die Weitergabe des neu erworbenen Wissens gewährleistet ist. In folgenden Projekten sollen diese Personen - quasi als Promotoren - die im Team festgelegten Standards gegenüber ihren Kollegen überzeugend vertreten und umsetzen.

Auf diese Weise aufgebaute Promotoren schaffen die Voraussetzung dafür, daß die Einführung neuer Methoden und Verfahren nicht schon im Vorfeld scheitert. Das Projekt muß genügend Freiraum lassen, um eine unternehmensspezifische Anwendung der Methoden und Verfahren zu erarbeiten. Genügend Freiraum bedeutet, daß berechtigte, aus der konkreten Entwicklungsaufgabe abgeleitete Kritik an der reinen Lehre der Methoden in Vorgaben für das künftige Vorgehen umgesetzt wird.

Ein hohes Maß an Kommunikationsfähigkeit

Die unternehmensspezifische Adaption des Methodeneinsatzes sollte durch einen Moderator überwacht und gesteuert werden. Seine Aufgabe besteht darin, Abweichungen von methodischen Vorgaben nur soweit zuzulassen, wie sie das Ziel einer produktiveren Anwendungsentwicklung auf höherem Niveau nicht gefährden. Diese Aufgabe erfordert neben Fachwissen und Erfahrung ein hohes Maß an Kommunikationsfähigkeit und kann am besten von einer Person bewältigt werden, die in einer neutralen Position zu den Mitarbeitern des Unternehmens steht.

Der Umfang der im Rahmen des Pilotprojekts zu realisierenden Entwicklungsaufgabe hat Auswirkungen auf die Akzeptanz der Methoden bei den Projektmitgliedern. In einem Projekt mit zu geringem Umfang besteht die Gefahr, daß die Mitarbeiter ein strukturiertes methodisches Vorgehen unter Einsatz eines Werkzeugs für überflüssig halten.

Erfahrene Entwickler empfinden die Neuerungen als unnötig und lästig, denn die Neuerungen stellen in dem sehr eng umrissenen Problembereich keine offensichtliche Verbesserung dar. Die gestellte Aufgabe hätte nach dem Empfinden der DV-Profis ebensogut und mit geringerem Aufwand mit der herkömmlichen Vorgehensweise gelöst werden können.

Die Auswahl eines großen Projektes hat den Nachteil, daß bis zur Vorlage erster verwertbarer Arbeitsergebnisse zu viel Zeit vergehen dürfte. Das Management reagiert auf Verzögerungen mit Recht nervös und entscheidet sich für die Fortführung des Projektes in gewohnter Manier. Damit ist die Entscheidung gegen neue Vorgehensweisen im Unternehmen bereits gefallen

Die im Pilotprojekt zu lösende Entwicklungsaufgabe sollte nach unseren Erfahrungen so bemessen sein, daß sie in einem Zeitraum von drei bis fünf Monaten zu bewältigen ist. Das setzt voraus, daß drei bis vier Personen, die zur Hälfte oder ganz von ihren üblichen Aufgaben freigestellt sind, in diesem Projekt mitarbeiten. Werden die Beteiligten nur teilweise von ihren Alltagsaufgaben freigestellt, so sinkt erfahrungsgemäß der Ausbildungseffekt.

Ein abgesicherter theoretischer Hintergrund läßt sich am besten über Erfahrungen vermitteln. Akzeptanz für neue Methoden kann nicht dadurch geschaffen werden, daß vorgegebene Theorien unreflektiert übernommen werden. Einführung im Rahmen eines Pilotprojektes bedeutet für den einzelnen Mitarbeiter Training on the Job und somit auch Lernen an einem konkreten Problem.

Ein unter den oben angesprochenen Randbedingungen durchgeführtes Pilotprojekt zur Einführung neuer Methoden und Verfahren bietet gute Voraussetzungen für die Verankerung einer fundierten Methodenbasis und für die Schaffung von Akzeptanz auf breiter Ebene im jeweiligen Unternehmen. Die hier beschriebene Vorgehensweise ist nach unseren Erfahrungen eine Alternative zur reinen Theorievermittlung im Vorfeld der Einführung.

*Dipl. Wirtschafsingenieur Peter Brüggemann ist bei Schmücker & Partner Informationssysteme GmbH, Frankfurt am Main beschäftigt.