Messe-Strategien/Hannover-Messe dirigiert erheblichen Besucherteil auf die CeBIT Home um Getrennte Ausstellungen fuer DV-Profis und Privatanwender

27.10.1995

Die Deutsche Messe AG in Hannover spaltet im naechsten Jahr von der CeBIT eine Messe "CeBIT Home" fuer Privatanwender ab, um professionellen Anwendern wieder ein entsprechendes Messeumfeld auf der klassischen DV-Ausstellung zu geben. Hubert Lange* erklaert, dass die Veranstalter damit auf die Gewichtsverschiebungen in den Maerkten der Informations- und Kommunikationstechnik reagieren.

Bis in die 80er Jahre hinein trugen die Hersteller aus der Informations- und Kommunikationstechnik ihre Produkte und Dienstleistungen fast ausschliesslich an die Unternehmen und Verwaltungen heran. Ein Teil ihrer Marktangebote fand aber schon fruehzeitig auch bei Privatleuten Interesse. Die Vorreiter waren die zu immer niedrigeren Preisen angebotenen Bildschirmcomputer mit Softwarepaketen fuer die Textverarbeitung und Grafikanwendungen.

Spaeter entstand unter dem Einfluss der Liberalisierung und neuer Dienstleistungen im Fernmeldewesen auch ein beachtliches Endanwendergeschaeft fuer Komponenten aus der Kommunikationstechnik. Wohl niemand konnte aber voraussehen, dass aus diesen Anfaengen heraus schon innerhalb weniger Jahre ein riesiger zweiter Markt entstehen wuerde: der Massenmarkt der Privatkaeufer.

Inzwischen haben die Hardware- und Software-Anbieter auf dieses Absatzpotential weltweit mit Strategien reagiert, die den unterschiedlichen Marktanforderungen im Profi- und Privatgeschaeft Rechnung tragen. Die Unterschiede reichen von den Entwicklungs- bis zu den Fertigungsaktivitaeten, von den Vertriebswegen bis zur Preispolitik, von der Kundenansprache bis zur Produktpraesentation. Seit einigen Jahren praegt dieser Prozess mit wachsender Tendenz auch die Ausstelleraktivitaeten und die Besucherresonanz der CeBIT Hannover.

Die Anbieter, die sich mit ihren Produkten und Dienstleistungen in erster Linie an die Betriebe und Verwaltungen wenden, machen in ihrer Messearbeit weiterhin die Loesungen zur Unterstuetzung geschaeftlicher Prozesse zum Hauptthema. Ein starker Schwerpunkt ist und bleibt fuer sie die Anbahnung von Projektgeschaeften. Die Aussteller, die sich vornehmlich auf das Privatpublikum einstellen, gehen an die Praesentationen mit allen Instrumenten heran, die sich im Massenmarkt bewaehrt haben, zum Beispiel mit Showeffekten, die das Markenbewusstsein staerken, den technischen Vorsprung betonen sowie Innovationen und Trends ins Blickfeld ruecken und so weiter.

Mit unterschiedlichen Wuenschen kommen auch die Besucher nach Hannover. Die professionellen Anwender wollen auf der CeBIT eine Fachmesse mit umfassender Angebotsorientierung und kompetenten Verhandlungspartnern vorfinden. Sie brauchen eine Messeatmosphaere, die sie zeitoekonomisch und effizient arbeiten laesst. Ein grosser Teil der privaten Messebesucher wuenscht sich hingegen eine Erlebnismesse.

Wenn derart unterschiedliche Ziele und Strategien auf einer grossen Messeveranstaltung nebeneinander stehen, bleiben natuerlich Interessenkonflikte, gegenseitige Stoerungen und andere Unvertraeglichkeiten nicht aus, die durchaus auf die Messeergebnisse zurueckwirken koennen. Ein ebenso kritischer Punkt sind aber auch die bereits realen und die erwarteten Gewichtsverschiebungen zwischen dem Profi- und dem Privatmarkt.

In beiden Maerkten lassen sich weltweit laengst unterschiedlich wachsende Marktvolumina, Marktsegmente und Angebotsakzente beobachten. Auf diese Situation hat bei den Vorklaerungen fuer die messepolitische Reaktion die Unternehmensberatung Roland Berger & Partner ein Schlaglicht geworfen.

Fuer die auf der CeBIT vertretenen Schwerpunktbranchen wurde im Jahr 1993 international ein Marktvolumen von 1850 Milliarden Mark verzeichnet. Davon entfielen 72 Prozent auf die Profimaerkte und 28 Prozent auf die Privatmaerkte. Diese Relation duerfte sich bis zum Jahr 2000 drastisch veraendern. Fuer diese Zeitspanne gehen die Prognosen von einem jaehrlichen Gesamtwachstum in Hoehe von 7,7 Prozent aus, und zum Ende des Jahrtausends wird ein Marktvolumen von 3100 Milliarden Mark erwartet.

In den Profimaerkten rechnet man mit jaehrlichen Wachstumsraten in Hoehe von 6,4 Prozent, in den Privatmaerkten hingegen mit 10,4 Prozent. Dementsprechend werde der Marktanteil der Produkte fuer professionelle Anwendungen auf 66,5 Prozent zurueckgehen, derjenige der endanwenderorientierten Erzeugnisse aber auf 33,5 Prozent steigen, heisst es hierzu.

Ein bereits jetzt sichtbarer Trend liegt auch darin, dass die auf der CeBIT vertretenen Kernmaerkte immer mehr von der Groesse und dem Wachstum der Telekommunikation beeinflusst werden. 1993 hatte diese am Gesamtmarkt der Informations- und Kommunikationstechnik bereits einen Anteil von 57,2 Prozent, im Jahr 2000 soll dieser Anteil auf 63,7 Prozent wachsen.

Bedeutende Impulse auf diese Entwicklung gehen von Innovationen aus, die im Privatmarkt voraussichtlich eine weitaus groessere Bedeutung als im Profimarkt gewinnen werden. An erster Stelle stehen die Multimedia-Anwendungen, die von den Netzbetreibern, Mehrwertdiensten und Geldinstituten gefoerderte private Text-, Daten- und Bildkommunikation sowie die jungen Anwendungen in der Mobilkommunikation.

Alle diese Veraenderungsprozesse sind bereits voll in Gang gekommen und haben sich deutlich auf die Besucherstruktur der CeBIT 1995 ausgewirkt. Mit insgesamt 755 000 Besuchern und 6111 Ausstellern hat die CeBIT in diesem Jahr die Grenzen ihrer Kapazitaet erreicht. Und mit einem weiteren starken Wachstum, das im wesentlichen auf den wachsenden Anteil der Privatbesucher zurueckgehen wird, ist zu rechnen.

Zur letzten CeBIT kamen 537 000 Fachbesucher und 218 000 Privatbesucher. Roland Berger & Partner gehen davon aus, dass die Anzahl der Fachbesucher bis zum Jahr 2000 um jaehrlich 2,3 Prozent auf 594 000 zunimmt, die der Privatbesucher aber um jaehrlich 12,5 Prozent auf 405 000. Um weiterhin die Qualitaet der CeBIT zu gewaehrleisten sowie Profi- und Privatbesucher gezielt ansprechen zu koennen, veranstaltet die Deutsche Messe AG kuenftig neben der CeBIT auch eine Messe fuer Privatbesucher, die CeBIT Home.

Die erste CeBIT Home wird von 28. August bis zum 1. September 1996 stattfinden. Die naechsten Veranstaltungen folgen dann im zweijaehrlichen Abstand, also stets in den geraden Jahren. Die neue Messeveranstaltung wird nicht allein vom CeBIT-Messeausschuss nachhaltig unterstuetzt, sondern auch von der Gesellschaft fuer Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik (gfu), die dem Fachverband Unterhaltungselektronik im ZVEI nahesteht.

Die CeBIT-Ausstellerschaft erwartet unter anderem, dass die Zielgruppen-Konzentration der CeBIT neue Kapazitaeten mobilisiert und dass sich die Voraussetzungen fuer erfolgreiche Kontakte und Verhandlungen mit Fachbesuchern verbessern. Die gfu begruesst sowohl die Thematik als auch den Termin der CeBIT Home, der auf den der Internationalen Funkausstellung in Berlin abgestimmt ist. Die neue Messe spreche sowohl Endverbraucher als auch Haendler an und sei eine sinnvolle Ergaenzung zu der Berliner Veranstaltung, die ebenfalls alle zwei Jahre im Fruehherbst, aber in den ungeraden Jahren, stattfindet.

Mit alljaehrlichen Messen koenne man die Praesentationen sowie das Ordergeschehen buendeln und auf viele Hausmessen verzichten. Der Veranstaltungstermin im August sei als Neuheitentermin fuer Privatbesucher und fuer den Fachhandel guenstig. Die Messe koenne starke Nachfrageimpulse fuer das Weihnachtsgeschaeft ausloesen.

Ein Teil des CeBIT-Home-Angebotes ergibt sich aus den Ausstellungsschwerpunkten der Fruehjahrs-CeBIT, jeweils bezogen auf den Soho-Markt: Informationstechnik, Software, Telekommunikation, Network Computing, Services und Sicherheitstechnik. Weil verschiedene Produkte professionell und privat genutzt werden, duerften voraussichtlich zwischen 500 bis 600 Aussteller sowohl auf der CeBIT als auch auf der CeBIT Home vertreten sein, allerdings mit jeweils unterschiedlichen, marktgerechten Praesentationen.

Hinzu kommen neue Schwerpunkte, darunter vor allem die Unterhaltungselektronik, Medientechnik, Home-Automation und - Sicherheitstechnik. Aus der Informations- und Kommunikationstechnik ebenso wie aus den neuen Schwerpunktbereichen haben bereits grosse Firmen ihre Beteiligung zugesagt, so dass die Deutsche Messe AG im Hinblick auf die Ausstellerzahl von einer Signalwirkung ausgeht. Zur Startveranstaltung im Herbst 1996 erwartet sie etwa 700 bis 1000 Aussteller und Flaechenvermietungen zwischen 60 000 und 80 000 Quadratmetern.

Von einer anfaenglichen Phase mit Ueberschneidungen muss man wohl bei den Besuchern ausgehen, weil sich die Zielgruppen-Konzentration kaum sofort in das Bewusstsein des breiten Publikums einpraegen laesst. Wahrscheinlich wird also die Besucherstruktur der CeBIT vom 14. bis 20. Maerz naechsten Jahres noch einen beachtlichen Anteil von Privatleuten aufweisen.

Aber mit wachsender Tendenz wird deren Praesenz in den naechsten Jahren immer mehr zurueckgehen, schon deshalb, weil dabei die absehbaren Trends in der Produktentwicklung, bei den Dienstleistungen und in der Marktakzeptanz mithelfen. Die privaten Elektronikanwendungen nehmen kontinuierlich zu und beanspruchen eine eigene Messeplattform, die sich gezielt an die Endverbraucher und Haendler wendet.

Die Schluesselrolle faellt bei einem grossen Teil der Anwendungen dem breiten Durchbruch des PCs, den innovativen und expansiven Kommunikationsdiensten sowie den attraktiven neuen Medien zu. Aus Marktforschungen weiss man etwa, dass in Deutschland bereits 5,1 Millionen PCs privat genutzt werden. Die Prognosen gehen davon aus, dass im Jahr 2000 jeder zweite Haushalt einen PC besitzen wird.

Privatanwendungen treiben Maerkte voran

Aehnlich weit werden die Kommunikationseinrichtungen fuer private Benutzer vorankommen. Bis zum Jahr 2000 sollen hierzulande rund 20 Millionen Haushalte ueber einen Anschluss fuer Datennetze verfuegen. Fuer die Mobilkommunikation werden bis zum Ende dieses Jahrzehnts rund zehn Millionen Bundesbuerger Hand- und Autotelefone besitzen. Einen riesigen Neubedarf laesst aber auch das Zusammenwachsen der Informations- und Kommunikationstechnik mit der Unterhaltungs- und Medienelektronik erwarten.

Das geplante Themen- und Ausstellungskonzept macht deutlich, dass die CeBIT Home diese Entwicklungen von Anfang an transparent macht und mit anwendungsorientierten Marktangeboten fuer Hobby, Freizeit, Bildung, Unterhaltung und Kommunikation konkretisiert. Im Themenbereich "Electronic Services" werden unter anderem Telebanking, Teleshopping und Multimedia-Kiosk-Systeme zur Geltung kommen. Im Bereich "Bildung und Beruf" sind Praesentationen zum interaktiven Lernen ueber computerunterstuetztes Training und Teleworking vorgesehen.

Mit einem besonders breiten Angebotsspektrum wird die Messe das Thema "Unterhaltung und Freizeit" auffaechern: interaktives Fernsehen, Pay-TV, Audio- und Video on demand, CD-ROM- Musikproduktionen, Telespiele, Video- und Computerspiele, Home- Computing, digitale Fototechnik und so weiter.

Das Angebot der CeBIT Home wird durch ein ansprechendes Rahmenprogramm vervollstaendigt, das unter anderem die vormals im CeBIT-Programm plazierte Sonderveranstaltung Chancen 2000 weiterfuehrt. Ausserdem sieht es Konzerte und weitere Events vor, die sich vornehmlich an den Endverbraucher wenden.

Die seit einigen Jahren in der Einfuehrung stehenden Multimedia- Techniken werden mehr und mehr die privaten Anwendungen zum Hauptmarkt machen. Weltweit wird sich das Marktvolumen nach den Erwartungen der Marktforscher bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf das Zehnfache steigern. Die Multimedia-Anwendungen werden deshalb auch auf der CeBIT Home zu den Hauptanziehungspunkten gehoeren.

Unter dem Thema "Zukunft der Medien" geht es um das Infotainment mit Online/Offline-Informationen, Finanzinformationen und Home- Informationen, ausserdem um elektronische Publikationen in allen denkbaren Formen. Loesungen und Dienste, die auch in der Geschaeftswelt rasant vorankommen, sollen unter dem Thema "Kommunikation" auch an die Privatleute herangetragen werden, zum Beispiel Electronic Mail, Telefon- und Faxservices, ISDN- Anwendungen, Bildtelefone und News-Services in Multimedia-Form.

Ein ausserordentlich zukunftsreiches Gebiet sind jene Informations- und Kommunikationstechniken, die der Mobilitaet der Privatleute zugute kommen werden. Viele Praesentationen werden dem Autoverkehr gelten, darunter Mobilkommunikationsgeraete, Navigations- und Informationssysteme, Staumelder, Routenplaner und elektronische Sicherheitssysteme. Andere Vorfuehrungen werden den oeffentlichen Verkehrsmitteln gewidmet sein, etwa Leitsysteme und Standortmelder fuer Busse und Bahnen, dynamische Routenmelde- und Verkehrs- Management-Systeme. Zu den Hauptthemen gehoeren nicht zuletzt die elektronischen Techniken fuer die Home-Automation und -Sicherheit.

* Hubert Lange ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Messe AG in Hannover.