Message-Systeme nehmen das Workflow huckepack E-Mail-Umfrage der COMPUTERWOCHE

27.10.1995

MUENCHEN - Der Einsatz von Message-Systemen wird professioneller. Diesen Trend belegt eine von der CW durchgefuehrte "E-Mail-Studie" in deutschen Unternehmen. Auf den Punkt gebracht, kommt die Umfrage zu dem Ergebnis: Mailing ist kein Synonym fuer verpoente Tratsch-Applikationen mehr. Message-Anwendungen von heute dienen zunehmend als strategisches Mittel, um Geschaeftsprozesse zu optimieren. Dabei wird die klassische Mail mit Anwendungen fuer Electronic Data Interchange, Workflow und Termin-Management in einen Topf geworfen.

Das Business mit der E-Mail boomt. Den Marktforschern der Gartner Group zufolge verzeichnet die Branche eine jaehrliche Steigerung von 35 Prozent - weltweit, wohlgemerkt. Untermauert wird die Aussage der Analysten durch die Messaging-Studie der CW. Tendenz steigend, heisst es in Sachen elektronischer Post in den Unternehmen hierzulande. Seit 1990 nahm die Zahl der Neuinstallationen stetig zu, erreichte laut Umfrage vergangenes Jahr allerdings ihren Hoehepunkt. 1994 stiegen von insgesamt 546 in die Auswertung eingegangenen Firmen 59 in das digitale Mailing ein, heuer sind es 52. Trotz leichter Ruecklaeufigkeit ist summa summarum eine Aufbruchsstimmung hin zur E-Mail-Nutzung nicht von der Hand zu weisen.

Dennoch erscheint unter dem Aspekt hoher Zuwachsraten eine Erkenntnis der Studie besonders bemerkenswert. Deutschland ist gegenwaertig zumindest noch zur Haelfte E-Mail-Niemandsland. Nur rund 50 Prozent der befragten Unternehmen - exakt 272 - setzen in ihrer Organisation dieses digitale Kommunikationsvehikel ein.

Genaugenommen dienen Mailing-Systeme jedoch kaum mehr nur der klassischen Kommunikation - hoechstens in kleineren Firmen. Zwar haftet ihnen aufgrund dieser Historie bisweilen noch das Image der Schnickschnack-Applikationen an, heute erfuellen sie ihren Zweck aber zunehmend als Mittel zur Optimierung unternehmensweiter Geschaeftsprozesse. Sie mausern sich zum wesentlichen Wettbewerbsfaktor. Ein Beispiel: Informationen aus Datenbanken, via Message-Infrastruktur real-time geliefert, demonstrieren nur eines der neuen Einsatzszenarien. Die Industrie verspricht sich davon kuerzere Reaktionszeiten in der Entwicklung sowie Vermarktung und damit mehr Produktivitaet.

Ein Blick auf die Statistik beweist allerdings: Ganz so neu ist der Einsatz von elektronischer Post nicht. Zumindest in Grossunternehmen zaehlen Host- beziehungsweise Midrange-basierte Systeme schon seit Jahren zum Standard der DV-Landschaft. Klangvolle Namen wie All-in-one, AS/400 Office, Dissos, HP Mail, Office Vision, Memo, Profs, Unix Mail oder VMS Mail seien hier exemplarisch als Vertreter dieser Gattung erwaehnt. Immerhin betreiben noch 93 der untersuchten Firmen - das ist ein Drittel - solche Loesungen, wobei der Loewenanteil auf Companies mit mehr als 500 Mitarbeitern entfaellt. Eine Information am Rande: Bei den Hosts dominieren laut Studie IBM-Jumbos sowie BS-2000-Maschinen. Im Midrange-Sektor hat ebenfalls Big Blue mit der AS/400 die Nase vorne, gefolgt von Unix-Systemen aller Couleur.

Trotzdem spiegelt die Umfrage den Paradigmenwechsel in der DV-Welt wider. Immer mehr Administratoren sagen ihrem Host-basierten Mail- System adieu, weil von hierarchischen Mainframe-Strukturen auf Client-Server-Computing umgestellt wird - als haeufigster Nachfolgekandidat entpuppt sich dabei laut Umfrage Lotus Notes. Es erscheint einleuchtend, dass die alten, sehr stark proprietaer angehauchten Message-Loesungen fuer Grossrechner dem Wandel in der Unternehmenskommunikation kaum noch Rechnung tragen koennen. Veraltet, zu schwerfaellig, rudimentaer, nicht ausbaufaehig, eingeschraenkte Funktionalitaet, mangelhafte Unterstuetzung neuer Betriebssysteme und fehlende Schnittstellen zu anderen Mail- Programmen lauten nur einige Kostproben aus der Maengelliste der IT-Strategen.

Aufgrund der Migration zu verteilten DV-Architekturen sind deshalb LAN- oder Enterprise-basierte Message-Applikationen eindeutig auf dem Vormarsch. 188 Nennungen der Studie - also zwei Drittel - entfielen auf solche Pakete. Spitzenreiter in dieser Wertung ist MS-Mail, gefolgt von cc:Mail und Notes. Weitere genannte Systeme sind Apple Quickmail, Groupwise, Pathworks Mail, Pegasus Mail, Unix Mail, Banyan Mail sowie Da Vinci.

Der von den Analysten diagnostizierte E-Mail-Boom wird zu einem grossen Teil durch den Trend zu dezentralen IT-Landschaften getragen. Zweifellos wirkt der sprunghafte Anstieg von leistungsfaehigen Arbeitsplatzrechnern dabei als Katalysator und deshalb wird der Ruf nach Informationssystemen in deutschen Unternehmen immer lauter. Die Befragung der CW unterstreicht diese Entwicklung (vgl. Grafik, Seite 10). PCs, die unter DOS und Windows laufen, geben in der Statistik mit einem Anteil von 64 Prozent eindeutig den Ton an. Mit 18 Prozent - knapp einem Fuenftel - nehmen die Terminals in dieser Wertung noch den zweiten Rang ein, werden jedoch langsam, aber sicher weiter zurueckfallen.

Der noch hohe Anteil der Terminals macht ein Charakteristikum des Messaging-Szenarios deutlich. Zahlreiche Unternehmen sind aufgrund ihrer historisch gewachsenen DV-Umgebung gezwungen, Host- und LAN- basierte Loesungen zu kombinieren. Damit ist das Hauptproblem der Netzadministratoren angesprochen, naemlich die Integration heterogener Systeme. Nach wie vor sind die Entwicklungen der Hersteller im Kern proprietaerer Praegung und stellen somit Inselloesungen dar. Dies gilt im wesentlichen auch fuer die LAN- orientierten Mail-Programme.

Um die unterschiedlichen Komponenten in einem unternehmensweiten E-Mail-Netzwerk unter einen Hut zu bringen, arbeiten die Verantwortlichen meist mit Point-to-point-Gateways oder Backbones. Beide Verfahren sind jedoch umstaendlich, weil keine automatische Synchronisation der verschiedenen Directories erfolgt. Kein Wunder also, dass User Groups nicht muede werden, weltweit einheitliche Directory Services zu fordern.

Die Netzplaner versuchen neuerdings, dieses Problem durch spezielle Hubs und Switches, die mit dem Backbone verbunden sind, in den Griff zu bekommen. Programme in diesen Knoten konvertieren die Daten und Adressen der proprietaeren Systeme in allgemein gueltige Formate wie X.400 oder das Simple Mail Transfer Protocol (SMTP). Zusaetzlich kann der Hub einen generell gueltigen Directory Service, etwa X.500, liefern, in den Herstellerspezifikationen zur Umwandlung muenden.

Stichwort Directory: Laut Befragung greift nur ein Drittel der E- Mail-Systeme auf einen allgemeinen Verzeichnisdienst zu, waehrend zwei Drittel eigene Directories verwenden. 41 Prozent der Installationen beinhalten, so die Analyse, immerhin oeffentliche Adressbuecher. Relativ zurueckhaltend geben sich die Netzwerker auch in puncto X.400, dem internationalen OSI-Standard zum Transport von elektronischen Daten. Nur 13 Prozent beabsichtigen, X.400 kuenftig als Transportmechanismus fuer das gesamte Enterprise Network einzusetzen, im LAN-Bereich nutzen nur fuenf Prozent die ISO-Norm. Im lokalen Sektor dominieren der Microsoft Mail Server (26 Prozent), Novells MHS (21 Prozent) sowie SMTP (14 Prozent).

Die geringe X.400-Quote erklaert sich durch den Anteil kleinerer Firmen in der Umfrage, die kein Campus-uebergreifendes Mail-Network betreiben muessen. Von den 546 gewerteten Companies weisen naemlich 239 nur bis zu 20 Mitarbeiter aus, waehrend 301 Firmen mehr Angestellte beschaeftigen. 89 an der Studie beteiligte Unternehmen haben immerhin ueber 500 Mitarbeiter, wobei 14 mehr als 5000 angeben. Der Spitzenreiter liegt bei 33000 Angestellten.

Immerhin besitzen 71 Firmen eine Anbindung an ein X.400-Netz. Hoch im Kurs steht bei den Interviewten das Internet. 201 Teilnehmer kreuzten auf die Frage nach dieser Verbindung ein Ja an. Auch Compuserve wird haeufig genannt und rangiert auf der Hitliste geplanter Dienste vor EDI-Services und T-Online ganz oben. Auffallend ist darueber hinaus, dass 112 Unternehmen von ihrem E- Mail-System auf ein Fax-Gateway zugreifen.

Ein deutliche Sprache, wohin die Reise der Messaging-Systeme geht, sprechen insbesondere die 156 Ja-Stimmen bei elektronischen Postverbindungen zu Lieferanten oder Kunden. Sie koennen unter der Rubrik digitaler Austausch von Handelsdaten gebucht werden und bestaetigen die eingangs bereits erwaehnte Feststellung: Mailing heisst laengst nicht mehr Transport reiner Nachrichten. Messaging- Systeme werfen heute die klassische Mail unter anderem mit Anwendungen fuer Electronic Data Interchange (EDI), Workflow und Termin-Management in einen Topf und verkoerpern somit ein Konglomerat dieser Applikationen. Mit anderen Worten: E-Mail- Systeme spielen in Unternehmen immer mehr die Rolle des vielseitigen Information-Highways.

Gestuetzt wird diese These in mehrfacher Hinsicht durch die CW- Umfrage. Bleiben wir zunaechst bei EDI-Anwendungen: 36 Prozent der Befragten planen, sie kuenftig in ihre E-Mail-Systeme zu integrieren. Bereits heute faehrt ein Teil, wie die Analyse zeigt, Bestellwesen, Auftragsbestaetigung, Lieferabrufe etc. ueber diese Transportmedien.

Gleiches gilt fuer die Verteilung von Software. Knapp die Haelfte aller Nutzer beabsichtigt, neue Software oder Upgrades schon bald ueber ihre Message-Loesungen im Enterprise Network aufzuspielen. Noch groesser ist das Interesse an der Integration von Workflow- Applikationen. In diesem Punkt sehen gar zwei Drittel in der Mail- Infrastruktur ein probates Transportmittel, um Anwendungen zur Geschaeftsprozess-Steuerung huckepack zu nehmen.

Trotz der guten Absichten laesst die Nutzung der Messaging-Systeme fuer den Applikationstransfer in Deutschland gegenwaertig noch zu wuenschen uebrig. Insgesamt schneiden die Host-basierten Loesungen in der Auswertung dabei etwas besser ab. Waehrend in diesem Sektor "nur" 54 Prozent der Befragten auf die Transportdienste verzichten, sind es in lokalen Netzen 62 Prozent.

Gute Noten verdienen sich die analysierten Unternehmen jedoch fuer die hohe Streuquote ihrer Mail-Installationen. Im Mittelwert aller Einsendungen werden 74 Prozent der gesamten Bildschirmarbeitsplaetze adressiert. Im Klartext heisst das: Drei Viertel aller Desktop-User koennen an der Kommunikation partizipieren.

Unbestritten ist das kommunikative sowie integrative Element des Messaging im Fall der remoten Anwendung. Statistisch gesehen beschaeftigt knapp die Haelfte aller deutschen Companies auch Mitarbeiter, die im Aussendienst oder in den eigenen vier Waenden arbeiten. Davon halten immerhin knapp zwei Drittel schon heute via Modem oder ISDN-Verbindung und Mail-Programme Kontakt zu ihrem Arbeitgeber.

In der Kommunikation mit der Aussenwelt - sprich remoten Nutzern, Kunden, Lieferanten sowie nationalen und internationalen Fillialen - treten jedoch zwei Schwachstellen von Messaging-Systemen zutage. Historisch bedingt, spielten Kriterien der Sicherheit und Administration lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle, weil die elektronische Post lediglich dem offenen Informationsaustausch diente und fuer kleine, lokale Anwendergruppen konzipiert wurde. Deshalb stossen viele Applikationen bei nunmehr wachsenden, oft ueberregionalen und multinationalen Benutzergruppen an ihre Grenzen.

Die Suppe loeffeln die Administratoren aus. Mangelhafte Security- und Management-Features in Message-Produkten muessen haeufig durch zusaetzliche Massnahmen ausgeglichen werden. Das wiederum treibt die Ausgaben fuer Verwaltung und Betrieb von E-Mail-Netzen in die Hoehe und haelt Unternehmen von der professionellen Nutzung im Sinne einer optimierten Ablauforganisation ab. Eine Verschluesselung von Nachrichten gehoert nur in 43 Prozent der Umfragefaelle zum Funktionsumfang des Mail-Systems (siehe Tabelle, Seite 7).

Angesichts der Defizite gibt die Studie allerdings ein Raetsel auf. Die Einschaetzung der IT-Manager in Sachen Systemadministration und Benutzerfreundlichkeit faellt ueberraschend positiv aus (vgl. Grafik). Den Ausschlag dafuer duerften die LAN-basierten Loesungen geben, die zweifellos leichter zu handhaben sind und in der Umfrage ueberwiegen.

Funktionsumfang von Message-Systemen

Features: ja/nein Angaben in Prozent

Anhaengen von Texten: 83/17

Auslieferbestaetigung: 71/29

Versenden an mehrere Benutzergruppen: 87/13

Verschluesseln: 43/57

Zeitversetztes Senden: 54/46

Einsicht ueberall: 78/22

Entwicklung eigener Mail-Formulare: 47/53

Einrichtung von Applikations-Mailboxen: 33/67

Integration von Terminverwaltung: 35/65

Oeffentliche Adressbuecher: 41/59

Nachrichten und Mails automatisch ablegen: 45/55

Mails weiterleiten: 43/57