Datenbank-Server ersetzt Rechner von Big Blue

Merrill Lynch mustert IBM-Host wegen zu geringer Effizienz aus

30.11.1990

NEW YORK (CW) - Das amerikanische Investment-Unternehmen Merrill Lynch & Co. hat seiner "Netzzentrale" - einem IBM-Mainframe - Lebewohl gesagt. Grund: Der Host erwies sich im Netz nur als bessere Bibliothek, verschlang jährlich aber eine Million Dollar an Service- und Leasing-Kosten.

"Es wurde immer offensichtlicher, daß sich ausgerechnet das kostspieligste System als das am wenigsten nützliche herausstellte", begründet Joseph Freitas, Direktor für Investment Banking Systeme, gegenüber der "Business Week" den Rauswurf der IBM-Maschine. Schon seit 1987 habe er sich mit dem Gedanken getragen, so das US-Wirtschaftsmagazin, das Netz umzustrukturieren. Diese Absicht setzte Freitas jetzt um, nachdem in den vergangenen Jahren mehr und mehr Daten und Anwendungen auf PCs ausgelagert worden waren und der Großrechner sich nur noch zum Teil als Datenbank für die 1100 angeschlossenen Arbeitsstationen entpuppt hatte.

Die Speicherung von Daten auf den lokalen Rechnern war die Folge einer umständlichen Abfrageprozedur, bei der die Banker unter Umständen mehrere Tage auf Informationen warten mußten. Sie legten sich deshalb eigene Datenbanken an die den Host überflüssig machten.

Infolge dieser Entwicklung entschied sich Freitas für ein Netz, das 13 Städte umfaßt und rein auf Mikroprozessortechnik beruht.

Er ersetzte den Mainframe durch einen 500 000 Dollar teuren Datenbank-Server von Sequent Computer Systems und gab den IBM-Rechner vergangenen Monat an Big Blue zurück.

Um das gesamte System effektiver zu gestalten, ließ der Merrill-Direktor von dem amerikanischen Softwarehaus Saros ein spezielles Programm entwickeln, das nach dem "Katalog-Prinzip" von Bibliotheken arbeitet. Unabhängig davon, wo Daten im Netz abgelegt werden, die Software erfaßt sie, routet sie an den zentralen Datenbank-Server und speichert sie ab. "Ohne diesen Katalog", so Freitas, "wüßten wir gar nicht, ob ein Dokument existiert oder nicht."

Trotz dieser Lösung mußten die Programmierer von Merrill noch eigene Entwicklungsarbeit leisten. Da nirgendwo Software zu bekommen war, mit der die Banker das aktuelle Kurs-Ertragsverhältnis abfragen konnten, schrieben sie eine entsprechende Software unter der Benutzeroberfläche von Windows 3.0. Mit der verbesserten Netzstruktur sowie den beiden neu konzipierten Softwarepaketen glaubt Freitas, einen Vorsprung vor der Konkurrenz gewonnen zu haben. Der Direktor: "Unser Überleben hängt von schnellen Informationen und ihrer genauen Analyse ab."