Arbeitskräftemangel: Die IT-Branche hilft sich selbst

Merlox AG: Kein Einzelfall in Sachen Corporate University

24.11.2000
Es ist paradox: Einerseits suchen Unternehmen händeringend nach qualifizierten IT-Mitarbeitern, andererseits verdienen sich immer mehr Akademiker nach jahrelangem Studium ihren Lebensunterhalt mit Taxifahren. Die Unis produzieren am Bedarf der Wirtschaft vorbei. Das soll sich nun ändern. Neue Bildungskonzepte versuchen eine Trendwende. Von Nicole Winkler*

"Der Mann hat Mut und Ideen", sagen Freunde über Rolf Benken. Getreu dem Motto "Bildung ist ein Investment in Menschen und mehr als die Organisation von Lernen" hat der Vorstandsvorsitzende der Merlox AG, Frankfurt am Main, große Pläne. So möchte er gerne mit seiner Company, deren Geschäftszweck sich über "die Förderung von Unternehmerpersönlichkeiten durch die Vermittlung ganzheitlichen Wissens" definiert, das statische Konzept traditioneller Bildungsanbieter aufmischen. In einem ersten Schritt ist die Gesellschaft gerade dabei, Seminare in den Bereichen "Standardsoftware", "Highskills", "Neue Medien" sowie "Management und Führung" ergänzt um Angebote im Bereich Persönlichkeitsbildung aufzubauen. Benkens Vision ist es, Merlox zum Pionier und Trendsetter für den Wandel der Wertevorstellungen im Wissenstransfer und in der Persönlichkeitsbildung zu machen.

Ein hehres Ziel, das Mitte nächsten Jahres in Gestalt einer Hochschule mit Schwerpunkt "Informationstechnik" Gestalt annehmen soll. Die auf dem Gelände einer alten Kaserne in Wetzlar angesiedelte Einrichtung, die bereits im Mai kommenden Jahres ihren Betrieb aufnehmen soll, richtet jedenfalls als Teil eines privatwirtschaftlichen Unternehmens (nämlich Merlox) sämtliche Lehrinhalte an den jeweiligen Bedingungen des Marktes aus und hat sich zum Ziel gesetzt, "selbständige Persönlichkeiten mit Unternehmerqualitäten" auszubilden. Marktsynchrone Lehrinhalte, praxisverwertbare Zertifizierungen und eine kurze Studiendauer - der Diplom-Studiengang ist auf drei Jahre geplant und in Trimester unterteilt - erfüllen die neuen Anforderungen an einen Lehrbetrieb. Ähnlich wie es US-amerikanische Universitäten schon jahrelang praktizieren, sollen die Studenten dabei regelmäßig in reale, von Merlox am Markt akquirierte IT-Projekte einbezogen werden.

Eine Initiative, die zur rechten Zeit kommt. Zu wenig Akademiker sind am Bedarf der Wirtschaft ausgebildet. Besonders dramatisch ist es bekanntlich im ITBereich, in dem man fieberhaft nach qualifizierten Arbeitskräften sucht und die höchsten Löhne Deutschlands bezahlt. Viele geben dem herrschende Bildungssystem die Schuld an der Misere. Seine Reform gilt als überfällig. "Deutsche Universitäten sind geschlossene Gesellschaften mit mittelalterlichen Strukturen", wettert August-Wilhelm Scheer. Der Professor und Unternehmer steht oft im Kreuzfeuer der Kritik. Als bildungspolitischer Modernisierer fordert er seine Kollegen auf, endlich neue Konzepte für ihr Bildungsangebot zu entwickeln und etwa ihre Studenten nach dem Abschluss zu begleiten.

Seiner Meinung nach müssen Hochschulen künftig wie privatwirtschaftliche Unternehmen geführt werden. Dazu gehört neben der Produktion von Wissen auch Marketing, der Vertrieb und der Einkauf von Wissensprodukten. Im Mittelpunkt muss der Kunde stehen - also Studenten und Unternehmen, die "abnehmende" Wirtschaft, sozusagen. Eine Forderung, die an den Eliteuniversitäten in den USA oder England schon lange Realität ist. Als Vorbild dient mitunter das Mekka aller Forscher, die Stanford Business School im Silicon Valley: Dort finanzieren die Forschungsergebnisse der Professoren einen erheblichen Anteil des Uni-Budgets.

In Kalifornien hat die Kooperation zwischen Universität und Wirtschaft eine lange Tradition. Bei der Gründung der Universität Stanford 1891 formulierte ihr Stifter praktische Bildung und gesellschaftliche Einbindung als ihre höchsten Ziele. Heute rechnet sich für die Universitäten die Verbindung zur Wirtschaft. Als die Stanford Business School vergangenes Jahr ihr neues "Center for Electronic Business and Commerce" gründete, sammelt sie in nur drei Monaten 25 Millionen Dollar Stiftungskapital - vor allem in Form von Aktienbeteiligungen an jungen, von ehemaligen Studenten gegründeten E-Business-Firmen.

Die enge Verbindung von Wirtschaft und Universität lockt auch deutsche Institutionen an. Die Fachhochschule München etwa offeriert einen kurzen Studiengang für "Technology Business Management" mit dem Abschluss Master of Business Administration (MBA) an der University of San Diego. Dieses Programm, erklärt Leiter Richard Hofmaier, "ist sehr praxisorientiert. Die Studenten lernen hier Dinge, die sie in den darauf folgenden zwölf bis 24 Monaten in Deutschland umsetzen werden."

Ebenfalls an der wirtschaftlichen Realität will sich eine Initiative der Siemens Bildungstochter Qualifizierung und Training (SQT) und der Fachhochschule Gelsenkirchen orientieren. Beide Partner starten im April kommenden Jahres das Siemens Business College for Information and Communication, das es ermöglicht, sich in einem dualen Studiengang in insgesamt 39 Monaten zu einem international anerkannten Abschluss als "Bachelor of Information and Communications" ausbilden zu lassen. Eine Ausbildungsweg, der im Hinblick auf Unternehmensintegration und Schnelligkeit jedem klassischen Studium überlegen sein dürfte.

"Gut ausgebildete, kreative und international vernetzte Mitarbeiter können mittlerweile die Bedingungen diktieren, zu denen sie arbeiten", sagt Leonhard Fischer, CEO der Investmentbank-Division der Dresdner Bank. "Viele High-Potentials, gut ausgebildete Fachleute, suchen sich in der Tat ihren Arbeitgeber aus." Der Kapitalmarktexperte rechnet mit kräftigen Umwälzungen in den Unternehmen. Humankapital wird relativ zu Geldkapital immer wichtiger.

Das haben auch die Unternehmen selbst erkannt und bieten ihren Mitarbeitern zunehmend in eigenen Corporate Universities die Möglichkeit, sich weiterzubilden. In den USA gibt es mittlerweile mehr als 1600 firmeneigene Hochschulen, in England sind es immerhin rund 200. Eine Studie des englischen Henley Management College prognostiziert, dass bis zum Jahr 2010 mehr Amerikaner ihre Studien an Corporate Universities absolviert haben, als in traditionellen Hochschulen. Eine Entwicklung, die auch in Deutschland zu sehen ist, wo beispielsweise SAP oder Motorola nur einige unter den vielen Firmen sind, die ihre Leute auf eigene Akademien schicken.

Traditionelle Hochschulen verlieren an BedeutungDoch nicht jedes Unternehmen verfügt über eine eigene Corporate University. Viele nutzen deshalb immer stärker die Möglichkeiten moderner Netze. Das so genannte Internet und Intranet Based Training, also das Lernen beziehungsweise Training im unternehmenseigenen Netz sowohl als Lernform wie auch als Lernmittel, ist dabei, sich zu einer tragenden Säule der beruflichen Bildung zu entwickeln. Die Lernkommunikation zu Aufgaben und Fachthemen erfolgt dabei über entsprechende Newsgroups, die sich im Unternehmensnetz verständigen. Wie viel versprechend Experten die neue Lernform beurteilen, zeigt eine Prognose des Fraunhofer Instituts für Systemtechnik und Innovation (ISI). Sie sagt, dass ab dem Jahr 2010 für die Mehrheit aller Arbeitnehmer die Nutzung von Bildungsleistungen vollständig in die berufliche Arbeitszeit integriert sein wird.

Ein Trend, den natürlich auch die Merlox AG kennt. Gerade noch rechtzeitig zur Systems konnte das junge Unternehmen eine erste E-Learning-Plattform vorstellen, die man für die Software AG entwickelt hat. Basierend auf einer eigenen Lern-Server-Technologie bietet das Frankfurter Unternehmen neben Hosting-Diensten vor allem Beratungsleistung hinsichtlich einer Wissensvermittlung übers Internet. Kommt die neue Lernform gut an, will man sich verstärkt engagieren. Davon sollen dann auch nicht zuletzt die Studenten an der geplanten Merlox-Hochschule profitieren, denen es mittels E-Learning möglich wird, bestimmte Kurse zu vertiefen oder auch einmal unabhängig von Ort und Zeit zu studieren.

*Nicole Winkler ist freie Journalistin in München.

Abb: Full Service: Mit ihrer eigenen Hochschule will die Merlox AG ein ganzheitliches und marktgerechtes "Human-Capital"-Konzept anbieten. Quelle: Merlox