Merkels IT-Gipfel: Nicht nur ein Papiertiger

13.12.2006
Auf einer Pressekonferenz des Bitkom sagte dessen Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder, es werde auf dem IT-Gipfel am 18. Dezember 2006 "konkrete Initiativen geben, die im Rahmen des IT-Gipfels gelaunched werden. Sie sind mehr als beschriebenes Papier und sie gehen ganz direkt in die Praxis der ITK-Branche."

Der IT-Gipfel in Potsdam war von Bundeskanzlerin Angela Merkel initiiert worden. Rund 100 hochkarätige Experten aus der deutschen Wirtschaft, Wissenschaft und insbesondere der ITK-Branche werden in Brandenburg Ergebnisse vorstellen, die im Vorfeld des Gipfels in acht Arbeitskreisen erarbeitet wurden. Um welche Ergebnisse und Initiativen es sich hierbei handelt, wollte Rohleder nicht sagen.

Die acht Arbeitskreise beschäftigen sich mit den Themen ITK-Standort Deutschland, Konvergenz der Medien, E-Government, IT-Sicherheit, Hightech-Strategie für die Informationsgesellschaft, ITK im Mittelstand, ITK im Gesundheitswesen sowie verbraucherfreundliche ITK.

Der Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) hatte gemeinsam mit der Strategieberatung Roland Berger die Studie "Zukunft Digitale Wirtschaft" präsentiert. Die Autoren gehen davon aus, dass insbesondere in sechs Technologiefeldern Chancen für neue Arbeitsplätze im "fünfstelligen" Bereich zu erwarten sind. Die Studie ist der offizielle Beitrag des Bitkom zum IT-Gipfel. Bitkom-Präsident Willi Berchtold: "Der IT-Gipfel muss ein Signal zum Aufbruch in die digitale Wirtschaft senden.

Bei den sechs in der Studie als "wenig beachtete Technologien" identifizierten Feldern handelt es sich um eingebettete Systeme, Biometrie, Internetfernsehen und mobiles TV, IT-Utility-Services, Service-orientierte Software-Architekturen sowie Digitales Rechtemanagement. In diesen könnten "in den kommenden Jahren ein kräftiges Wachstum und zahlreiche neue Arbeitsplätze" in der deutschen Hightech-Industrie geschaffen werden.

Nach Schätzungen des Bitkom wird sich das weltweite Marktvolumen dieser Zukunftsfelder bis zum Jahr 2010 auf rund 360 Milliarden Euro mehr als verdoppeln. "Die deutsche Hightech-Industrie muss sich auf diese Technologien von morgen konzentrieren und hier eine Spitzenposition auf den Weltmärkten erreichen", sagte Berchtold bei der Präsentation der Studie.

Der Industrieverband beklagte wie auch in der Vergangenheit insbesondere, dass in Deutschland zunehmend ein Fachkräftemangel zu verzeichnen sei. Fast 50 Prozent aller vom Bitkom befragten Unternehmen hätten bekundet, hierzulande keine Experten mehr finden zu können. Berchtolds Forderung, die auch von Rohleder unterstützt wurde, zielte darauf, den Unterricht in den Schulen mehr an ITK-Themen auszurichten. Zudem müssten die technischen Voraussetzungen geschaffen werden, um Schüler mit den IT-Medien PC, Internet etc. vertraut zu machen.

Nach wie vor müssten sich an deutschen Schulen elf Lernende einen Rechner teilen. Dies sei etwa im Vergleich zu Dänemark (3,7), Norwegen (4,1), Niederlande (4,8) oder Großbritannien (5,0), aber auch im Durchschnitt der 27 EU-Mitgliedsländer (8,8) viel zu viel.

Berchtold forderte, dass ab der fünften Klasse jeder Schüler ein Notebook besitzen müsste. Um dies möglich zu machen, sollte der Staat den Kauf solcher Mobilrechner steuerlich begünstigen. Eltern, die sich solch ein Gerät nicht leisten können - O-Ton Berchtold: "Es gibt schon sehr leistungskräftige Systeme für 600 Euro" - sollten von staatlicher oder privater Seite Förderungen erhalten. Näher führte er diesen Gedanken allerdings nicht aus.

Die Bekämpfung des Fachkräftemangels sei ein wichtigstes Anliegen der ITK-Branche beim IT-Gipfel. "Die Hightech-Industrie sucht händeringend nach Informatikern und Ingenieuren", sagte der Bitkom-Präsident. "Dauerhaft nicht besetzte Stellen bremsen das Wachstum der Unternehmen." Der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern sei ein Symptom für die Schwäche des deutschen Bildungssystems. Schon die Schulen müssten durch moderne Unterrichtskonzepte, mehr Praxisbezug sowie eine bessere Ausstattung mit Computern und Internetzugängen Begeisterung für technische Themen bei Schülerinnen und Schülern wecken.

Zweiter Ansatzpunkt, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, ist aus Sicht der ITK-Branche eine Reform des Zuwanderungsrechts. Berchtold: "Deutschland braucht ein aktives Einwanderungsmanagement." Die bislang starren Regelungen des Zuwanderungsgesetzes müssten durch ein Punktesystem ersetzt werden. Wer Kriterien wie Qualifikation, Sprachkenntnisse oder Alter erfüllt, sollte dauerhaft in Deutschland bleiben dürfen, betonte Berchtold.

In Deutschland gebe es, so Berchtold weiter, rund 22.000 nicht besetzte Stellen für Hightech-Experten aus der ITK-Branche. Die Frage allerdings, wie diesem Mangel zu begegnen sei, beantwortete der Bitkom-Präsident - abgesehen von der Zuwanderungsthematik - eher allgemein. Er bemühte die bekannten Formeln vom "lebenslangen Lernen" und von Umschulungsmöglichkeiten. Er betonte, das Thema Fachkräfte, das früher für Deutschland ein Standortvorteil gewesen sei, habe sich mittlerweile zu einem Standortnachteil gewandelt.

Berchtold ging zudem detailliert auf die gemeinsam mit Roland Berger erarbeitete Studie ein. Mit Hilfe eines Scoring-Modells habe man insgesamt mehr als 300 Technologien untersucht und daraus in einem ersten Schritt 27 Bereiche mit besonders hohem Zukunftspotenzial ermittelt. Darunter finden sich Top-Themen wie Breitband, Verkehrstelematik und RFID-Chips. Berchtold bezeichnete die sechs in besonderer Weise analysierten Technikfelder als "Hidden Champions" des Hightech-Sektors.

Der weltweite Markt für eingebettete Systeme wird laut den Autoren der Studie von 138 Milliarden Euro im Jahr 2005 auf rund 194 Milliarden Euro im Jahr 2010 steigen. Deutschlands Unternehmen reihten sich hier unter die Weltmarktführer ein, so Berchtold. Bei eingebetteten Systemen handelt es sich um Hard- oder Software-Komponenten, die in elektronische Geräte integriert werden. Wichtige Einsatzbereiche sind die Unterhaltungselektronik, die Medizintechnik oder der Maschinen- und Anlagenbau.

Beim Thema Biometrie sei die deutsche Industrie international gut positioniert. Der weltweite Markt werde von 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2005 auf 4,9 Milliarden Euro im Jahr 2010 wachsen. "Entscheidend für eine erfolgreiche Biometrie-Industrie sind öffentliche Projekte wie der elektronische Personalausweis," sagte der Bitkom-Präsident.

Bis zu 7000 neue Arbeitsplätze erwartet der Bitkom beim dritten Technologiefeld, dem Internetfernsehen und dem Mobilen TV. Sie würden in wenigen Jahren ein fester Bestandteil der deutschen Medienlandschaft sein. Allein in Deutschland könnten in den kommenden drei Jahren bis zu 3000 IPTV-Sender entstehen. Gefragt sei hier, so Berchtold, allerdings die Politik. "Die Technologie ist vorhanden, Anbieter und Interessenten stehen in den Startlöchern", sagte Berchtold. Aber seit über einem Jahr verzögere sich die Vergabe der erforderlichen Frequenzen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen seien "undurchsichtig", deshalb entstünden bei den Anbietern "Unsicherheiten".

IT-Utility.Services ermöglichten Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen den flexiblen Zugriff auf Rechenleistung, Programme oder Speicherplatz, ohne dafür eigene IT-Kapazitäten aufbauen zu müssen. Der Umsatz wird dem Bitkom zufolge von weltweit 23,5 Milliarden Euro im vergangenen Jahr auf 106 Milliarden Euro im Jahr 2010 zulegen. Hier hätten deutsche Software- und IT-Service-Unternehmen "gute Marktchancen".

Der Markt für Service-orientierte Software-Architekturen (SOA) werde von 2005 bis zum Jahr 2010 explodieren: In vier Jahren werde SOA weltweit ein Marktvolumen von rund 38 Milliarden Euro erreichen. Im Jahr 2005 waren es erst zwei Milliarden Euro. Unternehmen aus Deutschland, so das Urteil des Bitkom und von Roand Berger, seien heute bereits ausgezeichnet positioniert.

Anders beim Thema Digitales Rechtemanagement: Hier besäßen deutsche Unternehmen eine "schwache, aber ausbaufähige Position". Dieser Markt wird sich der Studie zufolge weltweit von rund 500 Millionen Euro im Jahr 2005 vervierfachen auf zwei Milliarden Euro im Jahr 2010. (jm)