Merger erfordern oft radikale Lösungen

06.02.2006
Nach einer Firmenübernahme ist eine schnelle Integration gefragt. Die IT spielt dabei die Schlüsselrolle.

Kai Zercher ist Realist. Als ihn seine Kollegen bei der Wella AG vor drei Jahren fragten, was er nach der Übernahme durch Procter & Gamble (P&G) erwarte, antwortete er: "Bei uns bleibt kein Stein auf dem anderen." Ganz so schlimm sei es dann nicht einmal gekommen, berichtete der für die Marktentwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortliche P&G-Direktor Global Business Services anlässlich der "Handelsblatt"-Konferenz "Strategisches IT-Management". Doch besonders für das übernommene Unternehmen sei ein Merger kein Zuckerschlecken.

Checkliste für die Integrationsarbeit

• Die Verantwortung für das Geschäft und für die Integration dürfen nicht miteinander vermischt werden, sonst ergeben sich Interessenkonflikte.

• Die Grobplanung ist zeitkritisch, aber bei der Umsetzung müssen Flexibilität und Bereitschaft zum Umdenken erhalten bleiben.

• Trotzdem sollten drei Viertel der vorgesehenen Lösung zügig zu 100 Prozent umgesetzt werden.

• Vorsicht vor der "Komplexitätsfalle"! Einfache Radikallösungen sind oft die bessere Wahl.

• Das entscheidende Kriterium aller Integrations- bemühungen ist der finanzielle Nutzen. Bloß keine Integration um der Integration willen!

• Eine intensive Kommunikation mit anderen Teams scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein. Wie wichtig sie ist, wird sichtbar, wenn sie ausbleibt.

• Die IT gerät im Zuge einer Firmenübernahme oft in eine bis dato nicht gekannte Vordenkerrolle. Damit muss sie aber bewusst umgehen.

Konsequenzen für das Projekt-Management

• Um Kapazitäten für die Integrationsprojekte zu schaffen, muss das Projektportfolio unausweichlich zusammengestrichen werden.

• Unabdingbar ist ein professionelles Projekt-Management mit klaren Verantwortlichkeiten und hochrangig besetzten Lenkungsausschüssen.

• Für die Integrationsteams sollten die besten Leute freigestellt werden - fulltime und so lange wie nötig.

• Bewährt haben sich doppelt besetzte Führungen und gemischte Teams aus beiden Unternehmen beziehungsweise aus IT und Fachbereichen.

• Da die Fachbereiche oft wenig Erfahrung mit dem Projekt-Management haben, ist es hilfreich, wenn alte Hasen aus der IT unterstützend eingreifen.

• Wer die Verantwortung für die Integration übernimmt, trägt sie auch für die finanziellen Synergien.

• Ein Synergie-Controlling als integrierter Teil der Projektorganisation sorgt dafür, dass die vorhandenen Möglichkeiten am Ende auch ausgeschöpft werden.

Hier lesen Sie …

• inwieweit Wohl und Wehe einer Firmenübenahme von der IT abhängen;

• worauf die IT-Experten vorbereitet sein müssen;

• welche Fehler sie vermeiden sollten;

• wo ihnen Chancen aus der Fusion erwachsen.

Mehr zum Thema

www.computerwoche.de/go/

547239: Und hernach heißt es aufräumen;

556476: Fusionieren will geplant sein;

570763: Was Gartner CIOs für 2006 empfiehlt.

Auch der stärkere Partner gehe ein hohes Risiko ein, betonte Zercher. Einer Untersuchung des Marktforschungsunternehmens Mercer zufolge scheiterten 57 Prozent aller Firmenübernahmen, und laut McKinsey zahle sich das eingesetzte Kapital in 73 Prozent der Fälle nicht aus. Ein lukrativer Kauf an sich bedeute noch nicht viel, so der P&G-Manager, der heute maßgeblich in die 2005 begonnene Eingliederung von Gillette involviert ist: "Eine erfolgreiche Akquisition hat man erst dann, wenn man gut integriert."

Doppelrolle für die IT

Die IT spielt dabei eine Doppelrolle, so Zercher weiter. Zum einen übe sie eine Schlüsselfunktion bei der Umsetzung der Integration aus. Zum anderen müsse sie ihre eigene Integration in den Griff bekommen. Dabei stehen die IT-Experten nicht nur unter hohem Zeit- und Kostendruck. Sie sehen sich auch einer sprunghaft gestiegenen Komplexität gegenüber.

Jede Akquisition ist anders und verlangt eine auf sie zugeschnittene Vorgehensweise, stellte Zercher klar. Unabhängig davon definierte er aber drei Kernziele, die jede Integration verfolge und die es parallel sowie im Gleichgewicht miteinander zu verwirklichen gelte: Zunächst muss sichergestellt sein, dass die laufenden Geschäfte unterstützt werden. Gleichzeitig sollten vorhandene Synergiepotenziale möglichst schnell ausgeschöpft werden. Dabei darf keine Möglichkeit außer Acht gelassen werden, von der jeweils anderen Organisation zu lernen.

Aufgrund seiner Erfahrungen hatte Zercher eine Liste von Empfehlungen zusammengetragen, die er dem Auditorium mit auf den Weg gab. Unter anderem plädierte er dafür, eine einfache Radikallösung anzustreben, anstatt in die Komplexitätsfalle zu stolpern (siehe Kasten "Checkliste für die Integrationsarbeit").

Auswirkungen hat eine Firmenübernahme insbesondere auf das Projekt-Management. Auch hierfür hatte Zercher einige Ratschläge mitgebracht. Beispielsweise empfahl er, ein Synergie-Controlling zu installieren (siehe Kasten "Konsequenzen für das Projekt-Management").

In puncto Systemauswahl ist Zerchers Rat so klar wie kompromisslos: Meistens sei es die beste Lösung, sich auf ein System zu einigen und das andere wegzuwerfen. Einer der Wella-Bereiche habe sich nach der Übernahme von einem nur zwei Jahre alten und für die eigenen Bedürfnisse maßgeschneiderten SAP-System getrennt - um auf das Cobol-basierende Mainframe-System von P&G zu wechseln. "Das war nicht gerade prickelnd für die Leute, aber sinnvoll", lautet Zerchers Resümee. Er selbst habe diese Entscheidung vorangetrieben, weil er sie für richtig halte. Zudem gewinne die IT an Glaubwürdigkeit, wenn sie sich in derartigen Fällen einsichtig zeige. So treffe sie auch auf offene Ohren, wenn es darum gehe, tatsächliche Fehlentscheidungen zu verhindern. Zudem sei nicht ausgeschlossen, dass der Konzern später auf ein ganz neues System umsteige.

Darüber hinaus riet Zercher seinen Zuhörern, unbedingt den Dialog mit den Mitarbeitern zu suchen, Vertrauen aufzubauen und sie - durch Kohärenz von Worten und Handlungen - zu stärken. Vor allem kulturelle Unterschiede sollten nicht unter den Teppich gekehrt werden. "Der Zusammenstoß unterschiedlicher Kulturen war in 81 Prozent der fehlgeschlagenen Fusionen eine Hauptursache für den Misserfolg", zitierte er die Unternehmensberatung McKinsey. Deshalb müssten mögliche Reibungspunkte frühzeitig ermittelt und diskutiert werden. Möglicherweise steckten darin ja auch Ansätze für eine gemeinsame Leistungssteigerung.

Neben Risiken auch Chancen

Eine Firmenintegration hält auch für die IT Chancen bereit, ermutigte der P&G-Manager seine Zuhörer. Wenn die Integration gelinge, steige die IT-Abteilung in der Wertschätzung des Managements. Sie könne sich mit Dienstleistungen etablieren, die künftig vielleicht häufiger gebraucht würden. Außerdem entständen tatsächlich Synergieeffekte, die sich positiv auf die Effizienz auswirkten. Die Bereinigung der Legacy-Systeme sei sicher auch von Nutzen. Und zu guter Letzt zeige der Vergleich mit einer anderen Firma Möglichkeiten für eine Neuausrichtung auf.