Effizienz, Resilienz und Nachhaltigkeit

Mercedes-Benz setzt auf Microsoft Azure Cloud

12.10.2022
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Bei der Demokratisierung seiner Produktionsdaten setzt Mercedes-Benz auf die Microsoft Cloud. Damit will der Autobauer die Effizienz seiner Produktion bis 2025 um 20 Prozent steigern.
Demokratisierung der Daten: Mercedes-Benz-Mitarbeiter vor einem Dashboard.
Demokratisierung der Daten: Mercedes-Benz-Mitarbeiter vor einem Dashboard.
Foto: Mercedes-Benz

Während andere Autobauer wie Stellantis oder VW in der Produktion auf die AWS-Cloud setzen, kooperiert Mercedes-Benz jetzt mit Microsoft. Der Stuttgarter Autobauer hat sein digitales Produktions-Ökosystem MO 360 zur MO360 Data Platform weiterentwickelt und will jetzt seine weltweit rund 30 Pkw-Werke mit der Microsoft Cloud vernetzen. So soll eine einheitliche Datenplattform auf Basis von Microsoft Azure entstehen. Diese Daten sollen künftig übergreifend verfügbar sein - also keine Datensilos mehr entstehen oder Daten in unterschiedlichen Clouds liegen. Schließlich habe man mit der Einführung von MO360 in der Factory 56 in Sindelfingen vor zwei Jahren schnell erkannt, wie wichtig es sei, die Daten in eine werksübergreifende Cloud zu bringen.

Aus MO360 wird MO360 Data Platform

Jörg Burzer, Mitglied des Vorstands der Mercedes-Benz Group AG, verantwortlich für Produktion und Supply Chain Management, verspricht sich von der Partnerschaft mit Microsoft, "dass unser globales Produktionsnetzwerk in Zeiten geopolitischer und makroökonomischer Herausforderungen intelligenter, nachhaltiger und resilienter wird". Zudem werden die Fähigkeit, Probleme in Produktion und Logistik zu prognostizieren und zu vermeiden, zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil auf dem Weg in das vollelektrische Zeitalter.

Judson Althoff, Executive Vice President and Chief Commercial Officer of Microsoft, Jan Brecht, CIO der Mercedes-Benz Group AG und Jörg Burzer, Mitglied des Vorstands der Mercedes-Benz Group AG bei der Einführung der MO360 Data Platform in der Factory 56.
Judson Althoff, Executive Vice President and Chief Commercial Officer of Microsoft, Jan Brecht, CIO der Mercedes-Benz Group AG und Jörg Burzer, Mitglied des Vorstands der Mercedes-Benz Group AG bei der Einführung der MO360 Data Platform in der Factory 56.
Foto: Microsoft/Mercedes-Benz

Und noch etwas ändert sich mit der Einführung einer einheitlichen Datenplattform: Habe man die Produktion früher auf Basis von sicheren Fakten gesteuert, so könne man diese künftig datengestützt auf Basis von errechneten Wahrscheinlichkeiten steuern. Etwa, wenn es um die Frage geht, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Bauteil aufgrund von Lockdowns etc. nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.

Power-BI-Dashboards

Gleichzeitig betont Produktionsvorstand Burzer, dass mit der Einführung einer einheitlichen Datenplattform eine Demokratisierung der Daten stattfinden werde. Dies sei mit Blick auf die Transformation zur voll digitalisierten Produktion besonders wichtig. "Zum ersten Mal stellen wir über Microsoft Azuredie Daten nicht nur dem Management zu Verfügung, sondern eigentlich jeder Kollegin und jedem Kollegen, die auch am Band arbeiten", so Burzer weiter. Dazu können die Produktionsteams von jedem Gerät aus ein Self-Service-Portal mit Power-BI-Dashboards zugreifen.

Demokratisierung der Daten

Mitarbeiter vor einem Power-BI-Dashboard in der Produktion.
Mitarbeiter vor einem Power-BI-Dashboard in der Produktion.
Foto: Microsoft/Mercedes-Benz

Auf diese Weise könnten die Mitarbeiter in der Produktion eventuelle Probleme etwa in der Supply Chain etc. selbst angehen und lösen, da sie künftig die benötigten Informationen hätten. So hätte man bereits beim kürzlich eröffneten Digital Factory Campus Berlin - der Standort dient als Blaupause für die Digitalisierung des gesamten Produktionsnetzwerks - gesehen, welche Kreativität entstehe, wenn die Mitarbeiter aktiv an der Digitalisierung teilhaben.

Eine Kreativität, die der Autobauer sicher auch benötigt, wenn er bis 2025 seine Effizienz mit der MO360 Data Plattform nochmals um 20 Prozent steigern will. Denn bereits zur Einführung von MO360 war das Ziel ausgegeben worden, die Effizienz der Produktion um 15 Prozent zu steigern. Zudem ermögliche es die einheitliche Datenplattform, schneller neue Apps in der Produktion einzuführen.

MO360 in der Produktion

MO360-Nutzung in der Produktion.
MO360-Nutzung in der Produktion.
Foto: Mercedes-Benz

Wie das konkret in der Produktion aussehen kann, verdeutlicht Jan Brecht, CIO der Mercedes-Benz Group AG, an zwei Beispielen. So würde etwa in der Produktion das erforderliche Anzugsdrehmoment von Schrauben automatisch per WLAN an die Werkzeuge übermittelt und damit vermieden, dass ein Mitarbeiter die Schrauben falsch anzieht. Gleichzeitig würde das Werkzeug das verwendete Drehmoment in die Cloud zurückmelden und dort abspeichern.

Auf diese Weise erspare man sich eine teure, händische Dokumentation der Anzugsdrehmomente, wie sie beispielsweise bei manchen sicherheitsrelevanten Bauteilen regulatorisch gefordert wird. Auch bei der Fehlersuche helfe die übergreifende Datenplattform in Verbindung mit Power BI und KI. Etwa, wenn eine Steckverbindung schlecht ausgeführt ist, der Fehler dann aber an einer ganz anderen Stelle in der Elektronik auftritt. Was früher eine zeitaufwändige und teure Fehlersuche bedeutete, sei jetzt datengestützt einfacher und schneller zu bewältigen.

Was für die Azure Cloud spricht

Mit der MO360 Data Platform und der Azure Cloud werden Produktionsdaten werksübergreifend verfügbar.
Mit der MO360 Data Platform und der Azure Cloud werden Produktionsdaten werksübergreifend verfügbar.
Foto: Mercedes-Benz

Gerade diese Breite des Azure-Angebots in Sachen Power BI, KI, Azure Data Lake, Azure Databricks, Azure Purview, Azure DevOps etc. bewog Mercedes-Benz laut Brecht dazu, in die Microsoft Cloud zu gehen. "Leider gibt es keine europäischen Wettbewerber, die in diesem Umfeld so leistungsfähig sind, dass sie unseren Anforderungen entsprochen hätten", erklärt der CIO die Entscheidung zugunsten von Azure.

Zudem sei dem Autobauer die Unterstützung von Open Source wichtig gewesen, da man selbst viele quelloffene Komponenten verwende. Unter Datenschutz-Aspekten sieht der CIO keine Probleme darin, dass es sich um einen US-amerikanischen Anbieter handelt, denn "unsere Daten bleiben auch bei dieser Lösung in Europa". Einer der großen chinesischen Cloud-Anbieter kam für Mercedes-Benz nicht in Frage - auch wenn man in China aktiv ist - da die Company, so der CIO, "ein stark westlich geprägtes Produktionsnetzwerk habe."

Partnerschaft mit Siemens bleibt

Allerdings ist die Partnerschaft mit Microsoft nicht exklusiv. So hält Mercedes-Benz, wie CIO Brecht erklärt, an der strategischen Partnerschaft mit Siemens fest. "Siemens ist für die Produktionsanlagen unglaublich wichtig und übernimmt im Internet of Things (IoT) die Rolle des Datenlieferanten aus den Anlagen, während Microsoft zunächst die Datenplattform ist, auf die wir unsere Daten dann ziehen", verdeutlicht der CIO. Als Schnittstelle dient dazu Integra, der unternehmensweite Mercedes-Benz-Standard in der Automatisierung. Ebenso werde sich der Autobauer weiter bei Catena-X engagieren, wenn es um die Sicherheit von Lieferketten, deren Nachhaltigkeit sowie den durchgängigen CO22-Fußabdruck geht.

Auch in Sachen Digital Twins hält Brecht an Siemens fest, ist aber davon überzeugt, dass man aufgrund deren Komplexität künftig auf weitere Partner und Datenquellen zurückgreifen werde. Dies gelte vor allem mit Blick drauf, dass man einen durchgängigen digitalen Zwilling wolle, von der Entwicklung über die Produktion bis hinein in den After Sales - und dabei sei die Digital Twin der Fabrik nur ein Teilaspekt.