Lösungen statt Technik/Das Ende von Schaltern und Knöpfen

Menschliche High-Tech: Haushaltsgeräte als Vorbild

11.06.1999
Von Michael Diestel* Bauknecht weiSS, was Frauen wünschen. Und was wünschen die? "Daß nicht sie sich der Technik und den Maschinen anpassen müssen, sondern umgekehrt", sagt Sabine Zeiner, Marketing-Chefin des Haushaltsgeräte-Herstellers. In der Praxis heißt das: Hochleistungs-DV in den Geräten soll Schalter, Knöpfe und Handbücher überflüssig machen.

Die hohen Ansprüche der noch meist weiblichen Anwender zwingen die Entwickler bei Bauknecht ständig zu einem Spagat zwischen Geräteleistung und Bedienerfreundlichkeit. Doch das Ziel steht inzwischen fest. Die Geräteelektronik übernimmt immer mehr Verantwortung fürs Waschen, Spülen, Kochen, Braten. Internet-taugliche Kühlschränke planen sogar den Einkauf.

Die IT-Waschmaschine kommt. In Geräten der jüngsten Genera- tion erledigen elektronische Bauteile, Chips und Prozessoren bereits 75 Prozent der Arbeit. Den Rest erledigt die traditionelle Mechanik. "In der nächsten Generation ist die Mechanik ganz verschwunden", prognostiziert Norbert Baumgärtner, Marketing-Direktor von EGO. Kaum ein Verbraucher kennt das Unternehmen aus dem württembergischen Oberderdingen. Dabei werkeln die Bauteile des weltweit führenden Zulieferers der Haushaltsgeräteindustrie in vielen Markengeräten.

Das 1929 gegründete Unternehmen hat eine Entwicklung hin- ter sich, wie sie sich in der Computerbranche gerade erst abzeichnet. Baumgärtner: "Früher hat man gefragt, was ist machbar - heute stellt sich mehr die Frage, was gebraucht wird." Braucht es tatsächlich eine Waschmaschine, deren Infrarot-Fernbedienung "Ich bin fertig" signalisiert? Im Prinzip findet Baumgärtner die Idee gut. "Aber macht sie noch Sinn, wenn der Käufer dafür drei Bände Bedienungsanleitung lesen muß?"

Vieles ist heute technisch realisiert, was mangels Akzeptanz nicht angeboten wird. So ließen sich heute Haushaltsgeräte vernetzen und von einem Handy aus steuern, um etwa - auf dem halben Weg in den Urlaub - die vergessenene Herdplatte noch auszustellen.

Es besteht die Gefahr, daß die Menschen ihre mit immer mehr Elektronik vollgestopften Hausgeräte bald nicht mehr verstehen. Um hier gegenzusteuern, setzt EGO auf "mitdenkende" Sensoren und Prozessoren. Das Unternehmen stellt als Designstudie eine Kochmulde vor, bei der man die sonst üblichen Drehknöpfe vergeblich sucht. Statt dessen gibt es eine Art Fernbedienung mit vier kreisrunden Displays, über die man den Herd infrarotgesteuert bedient. Nach dem Kochen kommt das Teil auf den Küchenschrank - kindersicher. Doch die Vielzahl der integrierten Funktionen birgt auch hier die Gefahr, daß Knöpfe und Schalter durch möglicherweise noch schwieriger zu bedienende Displays ersetzt werden.

AEG-Sprecher Richard Kaiser erinnert daher an das wesentliche Ziel: "Wir wollen der Hausfrau Arbeit abnehmen, nicht neue schaffen." In seinem Unternehmen gibt es eine neue Generation von Kochplatten, deren induk- tives Erkennungssystem mitdenkt: kein Topf auf dem Herd, kein Strom. Schade nur, daß die Kochplatte zwar den Topf und dessen Größe, nicht aber den Inhalt erkennt. Noch ist ein Temperaturregler - meist in Form eines Touchcontrols oder Touch- screens - unverzichtbar. Immerhin sorgt eine automatische Temperaturkontrolle dafür, daß nichts mehr anbrennt. Wird der Topf- boden wegen fehlender Flüssigkeit zu heiß, schaltet die Platte ab.

Die Entwicklungsabteilungen nicht nur bei AEG haben daher der Devise zu folgen, daß der Kunde alles einfach bedienen können soll, aber von jeglicher Technik verschont wird. Das hat nicht den Verzicht auf Technik zur Konsequenz, sondern - im Gegenteil - den Einsatz von immer mehr Elektronik. Im Schnitt sind 80 Prozent der AEG-Entwickler heute Elektroniker. "Das ideale System ist komplett eigenverantwortlich und selbsterklärend", schwärmt ein Firmensprecher.

Ein Schritt zu diesem Ziel ist Cookbit, eine Backofen-Kreation von AEG, bei der die alten Knöpfe durch neue ersetzt wurden. Hinter ihnen versteckt sich ein ganzes Kochbuch, vom Apfelkuchen bis zum Zanderfilet. Per "Touch" lassen sich die Funktionen Backen, Braten oder Grillen wählen. Unter "Backen" kann man seinen Lieblingskuchen anklicken und findet dort die Vorgaben für Temperatur, Backschiene etc. Ein "O.k." reicht, und der Kuchen wird gebacken.

Bert Plonus, Entwickler für den Hausgeräte-Primus Miele, setzt vor die Kür die Pflicht: "Solange Fehlbedienungen möglich sind, ist die Lösung noch nicht gelungen." Beispiel Waschmaschine: Einfachere, freundlichere Benutzer-Schnittstellen, vorgegeben von der Designabteilung, sind das Gerüst, auf dem die Entwickler aufbauen müssen. Außerdem verzichtet das Unternehmen hier auf mechanische Steuerung. Wasser, Heizung und Motor werden inzwischen von einem prozessorgesteuerten und programmierbaren Rechner geregelt.

Miele hat allerdings "für Leute, die etwas verspielter sind", elektronisch hochgerüstete Waschmaschinen mit vielen Knöpfen, Tasten, Lämpchen im Angebot. Umsatzträger sind das laut Plonus aber nicht. Dafür ließe sich mit dem High-Tech-Outfit Kompetenz signalisieren und zeigen, "daß wir das auch können - wenn wir wollen".

Bei Bauknecht, wo 60 Prozent aller Entwickler Elektroniker sind - mehrheitlich übrigens Frauen - setzt man ebenfalls auf Understatement, um die technisch weniger begabte Kundschaft nicht zu erschrecken. "Die meisten Verbraucher sind doch, im positiven Sinne, konservativ", glaubt Marketing-Leiterin Sabine Zeiner. Deshalb hat Bauknecht seinen Spülmaschinen zwar viel Intelligenz verpaßt - aber darauf geachtet, daß diese "draußen" nicht auffällt. Weg mit den Knöpfen, hieß die Devise. Die Technik muß sich dem Menschen ohne Wenn und Aber anpassen. In der Spülmaschine arbeiten Sensoren: Alle zehn Sekunden prüft ein Trübungsmesser den Partikelgehalt im Wasser, ein anderer Sensor testet den Fettanteil. Ein kleiner Rechner ermittelt aus deren Meldungen das optimale Spülprogramm, steuert Wassermenge und Heizstab. An der Blende finden sich nur noch zwei Sensortasten für "Öko" oder "intensiv". Weil aber Spülmaschinen nicht nur im Durchschnittshaushalt stehen, sondern oft auch in Unternehmen eingesetzt werden, gibtÈs als Dreingabe ein spezielles "Büroprogramm" und eines für Gläser.

Bei aller Rücksicht auf die für den Absatz so wichtige konservative Zielgruppe darf man die Entwickler aber auch nicht bremsen, warnt EGO-Mann Baumgärtner. Er weiß: "Aus einer zwar genialen Idee, die aber nicht direkt umsetzbar ist, entstehen manchmal sehr innovative Lösungen."

Ulrich Gartner, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Electrolux, glaubt mit dem Screenfridge-Kühlschrank eine solche Lösung vorweisen zu können. Kühlschränke, wollen Electrolux-Marktforscher herausgefunden haben, sind in den allermeisten Haushalten ein regelrechtes Kommunikationszentrum: An ihm kleben Geburtstagskalender, Familieninfos, Urlaubspostkarten und Einkaufszettel. Der Screenfridge wurde daher mit einen Touch-Screen in der Tür versehen. Der dazugehörende Multimedia-PC ist in den Kühlschrank integriert. Der Computer ersetzt nicht nur Kalender und Infozettel - man kann auch im Internet surfen, E-Mails versenden oder sich aus einer Rezeptdatenbank Ideen fürs Mittagessen holen. Mikrofon, Lautsprecher, Videokamera, Radio und sogar ein TV-Tuner gehören dazu. Und das alles ohne Tastatur und Maus - alle Funktionen werden direkt über den Bildschirm gesteuert. Mit einem eingebauten Scanner lassen sich die Barcodes der eingekauften Lebensmittel einlesen, später sollen Funketiketten auch noch diesen Handgriff überflüssig machen.

Gartners Vision: "Der intelligente Kühlschrank schlägt ein Rezept fürs Mittagessen vor, bei Bedarf sogar für Diabetiker und Vegetarier, prüft dann, welche Zutaten vorrätig sind, bestellt den Rest online beim günstigsten Lieferanten und bezahlt online." Die Köchin nickt, freut sich und schaut derweil via Kühlschrank fern. Ein technisch begabter Single könnte sogar vom Büro aus per Notebook beim Kühlschrank anfragen, was noch da ist, und die fehlenden Zutaten auf dem Heimweg besorgen.

Könnte - bei Electrolux weiß man nämlich noch nicht, ob der Screenfridge je auf den Markt kommen wird. Auch der Preis ist Spekulation. Und die Akzeptanz - braucht jemand wirklich ein solches Gerät? Aus Nürnberg kommt eine selbstbewußte, aber ausweichende Antwort: "Diese Frage hat man vor jeder wirklich großen technischen Neuerung gestellt."

Die Hoffnung der Hersteller nährt sich am Beispiel des Internet, das aus den Wissenschaftslabors heraus die Wohnzimmer der Durchschnittskonsumenten erobert hat. Der Kühlgerätespezialist Liebherr aus Ochsenhausen richtet sich daher mit seiner "Gefriertechnologie der Zukunft" bewußt an die Zielgruppe, die sich mit dem Internet beschäftigt.

Uwe Blanarsch, Produkt-Manager bei Liebherr: "Die Haushalte werden bald übers Internet ordern." Der hauseigene Gefrierschrank IGS ist dafür gerüstet. Einzulagernde Lebensmittel bekommen Funketiketten, ein Lesegerät erkennt, wieviel Ware mit welchem Verfallsdatum in welchem Schubfach lagert. Eingabe und Abfrage der Daten erfolgen mit einem Kleinstcomputer des Typs "Palm 3" oder via PC - der Datenaustausch erfolgt über das Stromnetz (siehe Abbildung unten).

Die Vernetzung aller Haushaltsgeräte über das Stromnetz ist nicht nur für Blanarsch eine zentrale Herausforderung. Alles, was einen Chip enthält, soll miteinander verdrahtet werden und dann bislang noch nicht vorstellbare Dienstleistungen anbieten. Ohne neue Knöpfe, versteht sich. Sun Microsystems hat auf der CeBIT die Softwarelösung "Jini" vorgestellt, den Geist aus der Flasche, der das Miteinander aller Hausgeräte, von der Waschmaschine über den Computer bis zum Handy möglich machen soll.

Keine Waschmaschine ohne Daten-Schnittstelle

"Unsere Geräte sind bereit", sagt Blanarsch, und auch EGO liefert schon heute keine Bauteile mehr ohne Computer-Schnittstelle aus. Allerdings wird in Brüssel heftig um die verbindliche Norm für die hausinternen Bus-Systeme gestritten. "Mindestens noch fünf Jahre", schätzt Bla- narsch. Favorit bei den Hausgeräteherstellern ist natürlich der Datenaustausch übers Stromnetz - weil das keine aufwendigen nachträglichen Installationen erfordern würde.

Bauknecht-Frau Sabine Zeiner denkt allerdings auch beim Thema Vernetzung zuerst an das, was Kunden wünschen: "Das Internet ist für uns kein primärer Schwerpunkt, vielmehr einfache, benutzerfreundliche Bedienung für eine immer intelligentere Technik." Da ist für ferngesteuerte Herde und Waschmaschinen noch kein Platz. Kleinvernetzungen aber kann sie sich durchaus vorstellen: "Es ist schon sinnvoll, die Dunstabzugshaube zu aktivieren, wenn der Herd zu lange an ist." Wieder ein Knopf und ein Handgriff weniger.

Die Knöpfe verabschieden sich also mit der fortschreitenden elektronischen Aufrüstung der Haushaltsgeräte. Bis die Computertasten ihre Stelle einehmen, wird es jedoch noch eine Weile dauern. Dann aber hoffen die Hersteller für ihre Schnittstellen noch auf ganz andere Einsatzmöglichkeiten - den Online-Kundendienst etwa. Nicht nur Ferndiagnosen bei Schäden wären dann möglich, auch das Update der Gerätesoftware.

Die Lebensdauer moderner Haushaltsgeräte beträgt derzeit - manchmal zum Leidwesen der Hersteller - gut zwölf bis 15 Jahre. Was ist, fragt man sich bei Bauknecht, wenn heute einer eine Waschmaschine kauft, morgen aber entwickelt die Waschpulverindustrie ein Fabrikat, das mit nur noch 20 Litern Wasser pro Waschgang auskommt? "Dann müssen wir unsere Geräte softwaremäßig optimieren können", antwortet Zeiner.

ANGEKLICKT

Technik ist der Diener des Menschen, nicht umgekehrt. Am konsequentesten verfolgen dieses Motto, das sich zunehmend in der Computerindustrie durchsetzt, die Anbieter von Haushaltsgeräten. In Konzeption, Fertigung und Funktion von Waschmaschinen und Kühlschränken wird zwar immer mehr Computertechnik investiert, trotzdem wird die Bedienung der Geräte immer einfacher.

*Michael Diestel ist freier Journalist in Gomaringen bei Tübingen.