Künstliche Intelligenz und Machine Learning

Mensch und Maschine müssen sich optimal ergänzen

24.05.2018
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Künstliche Intelligenz und Machine Learning gelten als Schlüsseltechnologien. Doch sie alleine reichen nicht aus, um ein Unternehmen erfolgreich zu machen, ist Futurice-Geschäftsführer Helmut Scherer überzeugt. Entscheidend sei, menschliche, emotionale und künstliche Intelligenz miteinander zu kombinieren.
Für den Erfolg eines Unternehmens spielen verschiedene Faktoren eine wichtige Rolle: Maschine Learning und Künstliche Intelligenz gelten und er heutigen Zeit als Schlüsseltechnologien - sind alleine aber keine Garantie für den Erfolg.
Für den Erfolg eines Unternehmens spielen verschiedene Faktoren eine wichtige Rolle: Maschine Learning und Künstliche Intelligenz gelten und er heutigen Zeit als Schlüsseltechnologien - sind alleine aber keine Garantie für den Erfolg.
Foto: PHOTOCREO Michal Bednarek - shutterstock.com

Am Thema Künstliche Intelligenz (KI) kommt heute kein Unternehmen vorbei. Welche Herausforderungen sind damit für die Führungskräfte verbunden?

Helmut Scherer: Die größte Herausforderung besteht darin, das Thema KI richtig zu verstehen. Viele sind verunsichert und haben Hemmungen das Thema anzupacken. Andere sehen in KI eine Art universellen Problemlöser, was meist zu vorschnellem Aktionismus führt.

Welche Konsequenzen hat das?

Helmut Scherer: Es entsteht der Eindruck, dass KI die menschliche Intelligenz ersetzen wird. Doch hinter jeder KI-Lösung stehen Menschen. Sie entwickeln die entsprechenden Algorithmen und geben den Systemen vor, was diese zu lernen haben. Dennoch haben Mitarbeiter Angst davor, dass ihnen KI-Systeme die Arbeitsplätze wegnehmen.

Wie können Unternehmen auf diese Herausforderungen reagieren?

Helmut Scherer: Zunächst gilt es zu verstehen, was KI und Machine Learning ist und leisten kann. Im zweiten Schritt müssen Arbeitgeber klären, welche ihrer Probleme sich mit Machine Learning lösen lassen. Das setzt voraus, dass das Unternehmen die Problempunkte möglichst detailliert erfasst. Darauf aufbauend gilt es die 'richtigen' Fragen zu stellen.

Helmut Scherer, Managing Director der Futurice GmbH, plädiert dafür, KI und Machine Learning mit emotionaler und menschlicher Intelligenz zu verknüpfen.
Helmut Scherer, Managing Director der Futurice GmbH, plädiert dafür, KI und Machine Learning mit emotionaler und menschlicher Intelligenz zu verknüpfen.
Foto: Futurice

Auf welche Fragen können KI- und Machine-Learning-Lösungen Antworten liefern?

Helmut Scherer: Maschinelles Lernen kann Verhaltensmuster analysieren und daraus Rückschlüsse auf künftige Entscheidungen ziehen. Dadurch ist es möglich, personalisierte Services zu entwickeln, also die Empfehlungen, die Online-Portale ihren Kunden geben. Oder das vielzitierte Predictive Maintenance, wenn Algorithmen ermitteln, wann eine Maschine ein neues Werkzeug-Set benötigt oder gewartet werden muss.

Heißt, technologische Innovationen stehen im Vordergrund?

Helmut Scherer: Nein, es geht darum die emotionale, menschliche und künstliche Intelligenz geschickt zu verknüpfen. Wir nennen das 'Intelligence Augmentation'.

Warum ist eine solche Verknüpfung notwendig? Viele Fachleute vertreten die Auffassung, dass KI-Systeme viele Dinge besser erledigen können als Menschen.

Helmut Scherer: KI-Anwendungen leisten gute Dienste, wenn eng gefasste Fragen zu beantworten sind. Sofern sich auf einfache Weise genügend Beispiele finden lassen, kann Machine Learning auch Probleme lösen, für die sich schwer Regeln definieren lassen. Der Mensch jedoch kann einen größeren Kontext abdecken, umfassende Erfahrungswerte einbringen und darauf basierend Entscheidungen treffen.

Wie definieren Sie Intelligence Augmentation?

Helmut Scherer: Es ist die Verknüpfung der besten Eigenschaften von Mensch und Maschine. De facto heißt dies, dass sich KI und menschliche Eigenschaften bei einer bestimmten Aufgabe optimal ergänzen. Letztlich geht es bei Intelligence Augmentation nicht darum, Prozesse und Arbeitsgänge zu automatisieren und auf KI-Systemen zu übertragen. Das Ziel ist vielmehr, Menschen bei ihren Tätigkeiten optimal zu unterstützen.

Können Sie konkrete Einsatzbeispiele von Intelligence Augmentation nennen?

Helmut Scherer: Klassische Beispiele sind die Suchfunktionen von Google sowie digitale Assistenten wie Amazon Alexa oder Apple Siri, die den Menschen gezielt durch die Beantwortung eng definierter Fragen unterstützen. Zusammen mit Finnair haben wir am Flughafen in Helsinki Gesichtserkennung für den vereinfachten und beschleunigten Check-In von ausgewählten Gästen umgesetzt. Machine Learning ist die Basis der Anwendung. Seine menschliche und situative Intelligenz hilft dem Airline-Mitarbeiter jedoch, die vorliegenden Informationen in der Kommunikation mit dem Reisenden optimal zu nutzen und das gesamte Reiseerlebnis zu verbessern.

Wo sehen Sie im Business-to-Business-Umfeld Anwendungsmöglichkeiten von Intelligence Augmentation?

Helmut Scherer: Ein wichtiges Feld ist die Wartung von Anlagen, etwa in der Industrie und im Energiesektor, da in diesem Bereich in besonderem Maße das Know-how von Mitarbeitern gefragt ist. Zudem stehen immer mehr Daten zur Verfügung, etwa über die Auslastung von Maschinen und den Abnutzungsgrad von Komponenten. Diese Informationen lassen sich mit dem Wissen der Mitarbeiter kombinieren.

Welche Vorteile bietet das?

Helmut Scherer: Fachkräfte profitieren von optimierten Arbeitsabläufen und einem höheren Sicherheitsniveau. Spezialisten können sich dadurch besser auf wichtige Aufgaben konzentrieren. Einer unserer Kunden, ein Anbieter von Wartungs- und Engineering-Dienstleistungen, setzt beispielsweise einen 'Digitalen Wartungspiloten' auf Smartphones ein. Die Lösung unterstützt Wartungstechniker dabei, Komponenten von Maschinen rechtzeitig auszutauschen und so Ausfällen vorzubeugen.

Welche Tipps haben Sie für Unternehmen, die Intelligence Augmentation einsetzen wollen?

Helmut Scherer: Sie sollten im ersten Schritt ermitteln, welche Probleme sie lösen wollen. Wichtig ist zudem, den Nutzer in den Mittelpunkt zu stellen. Das heißt, es muss klar sein, was der Anwender von einer Intelligence-Augmentation-Lösung erwartet. Ein dritter Faktor sind die Daten: Ohne umfassende Kenntnis der Datenstrukturen läuft Intelligence Augmentation ins Leere.

Welche Fachleute sind nötig, um ein Intelligence Augmentation-Projekt umzusetzen?

Helmut Scherer: Wichtig ist ein interdisziplinäres Team. Es besteht beispielsweise aus Service- und User-Experience-Designern, Data Scientists, Entwicklern und Testern. Zudem muss eine Demokratisierung der KI stattfinden.

Können Sie das anhand eines Beispiels erläutern?

Helmut Scherer: Nehmen Sie die Medienbranche. Früher waren ein großes Budget und spezielles Wissen notwendig, um einen Film zu produzieren. Heute sind die Tools und das Wissen allgemein zugänglich. Jeder Besitzer eines Smartphones kann einen Film drehen und zum Produzenten werden. Um KI begreifbar und einsetzbar zu machen, muss auch das Wissen um KI und Machine Learning demokratisiert und jedem zugänglich gemacht werden. Dazu tragen Werkzeuge wie das Intelligence Augmentation Design-Toolkit auf Open-Source-Basis bei. Es steht kostenlos zur Verfügung und vermittelt auch Fachfremden auf spielerische Weise KI-Wissen.

Welche Rolle spielen bei dieser "Demokratisierung" die Mitarbeiter?

Helmut Scherer: Eine Schlüsselrolle spielen die angesprochenen interdisziplinären Teams. Wird das Thema KI aus unternehmensinternen Silos befreit, ist es für alle Mitarbeiter greifbar. Das wiederum beseitigt Vorurteile und Ängste. Gemischte Arbeitsgruppen eröffnen die Möglichkeit, wichtiges Wissen der Team-Mitglieder zusammenzubringen. Ein Beispiel: Ein Service-Designer kennt seine Kunden, ein Data Scientist dagegen die Algorithmen. Arbeiten beide zusammen, lassen sich erfolgversprechende Geschäftsmodelle entwickeln.

Welche Falltüren sollten Unternehmen vermeiden, die Projekte im Bereich KI und Intelligence Augmentation durchführen, vermeiden sollten?

Helmut Scherer: Wichtig ist, beide Themen auf vernünftige Weise im Unternehmen zu positionieren. Das heißt, Geschäftsführung, CIOs und Fachbereichsleiter sollten eine offene Kommunikationspolitik pflegen und ihren Mitarbeiter die Angst vor diesen Technologien nehmen. Wichtig ist, zusammen mit den Beschäftigten Ziele zu definieren. Ein weiterer Punkt ist ein verantwortungsvoller Umgang mit Machine Learning und KI. Das heißt, für jedes Projekt sollte auch ein 'Worst-Case-Szenario' erarbeitet werden. Denn nicht in jedem Fall verlaufen solche Vorhaben ohne Hindernisse und Reibungsverluste.

Helmut Scherer hat über 20 Jahre Erfahrung in großen und auch kleineren Unternehmen. Er führte ein europaweit tätiges StartUp, das nach Japan und in die USA expandierte und baute die Digital Innovation Unit eines internationalen Konzerns auf. Seit 2015 ist er Geschäftsführer von Futurice.Das 2000 in Finnland gegründete Unternehmen hat heute über 450 Mitarbeiter in Helsinki, Tampere, Stockholm, London, Berlin und München. Es entwickelt digitale Lösungen und berät Unternehmen bei der Umsetzung der digitalen Transformation.