Mensch, aergere dich doch!

22.12.1995

Dieter Eckbauer

Wer in diesen Vorweihnachtstagen auf staedtischen Plakatwaenden die Microsoft-Werbung fuer Windows 95 liest, koennte auf einen interessanten Umkehrschluss verfallen: "Mensch, aergere dich nicht", heisst es da, und man fragt sich, ob die umtriebige PC- Softwarefirma wohl auch so werben wuerde, wenn das Windows-95- Geschaeft hervorragend liefe. Tatsache ist: Der Riesenerfolg, von dem Microsoft spricht, blieb bisher unbewiesen. Satire wuerde im Hinblick auf die Mensch-aergere-dich-nicht-Reklame ausdruecken, dass hier aus dem Menschen Bill Gates endlich einmal Selbstbezogenheit und Betroffenheit spricht. Nicht einmal auf sein Reusensystem Microsoft Network ist mehr Verlass.

Bill Gates der Verlierer, der "Dummy" des Jahres 1995? Zu einer solchen Aussage wollen wir uns nicht versteigen. Es zeigt sich am Beispiel Microsoft, dass Realsatire den Spezialisten des Genres, zu denen sich der Kolumnist zaehlt, klar ueberlegen ist. Das Lachen bleibt einem im Halse stecken. Realitaet bekommt eine neue Bedeutung, wenn sich der Wirklichkeitsgehalt der Schaunummern, die viele Topmanager der IT-Branche abziehen, jeder Hinterfragung entzieht. Gewinner oder Verlierer, welcher "Apple" ist wurmstichig - wer will da noch Prognosen wagen?

Als hauptberuflicher Marktbeobachter hat man immerhin eine leise Ahnung davon, wie es waere, wenn einem von der IT-Industrie Einblick gestattet wuerde - und wenn man daraus auch etwas machen koennte. So aber sind Analysen und Trendvorhersagen, die sich auf Herstellerangaben stuetzen, ein reines Lotteriespiel. Sei´s drum. Jackpot-Jokes ueber Gates kommen bei einem bestimmten Publikum nach wie vor gut an. Wir bleiben bei dieser Verallgemeinerung des Branchenproblems sich selbst taeuschender Propaganda, obwohl wir genauso gut ueber den virtuellen Cyber-hype, die Multimedia-Masche oder das "schwarze Loch" Internet laestern koennten: Es schluckt Unsummen, aber fuer die Anbieter ist es immer noch eine Geldvernichtungsmaschine.

Allerdings duerfte es schwierig sein, diese Sicht der Dinge denjenigen Computerprofis klarzumachen, die von Freisetzung betroffen sind, weil sich andere, in der Hierarchie ueber ihnen, gewaltig verspekuliert haben, was die Marktentwicklung betrifft. Zwecks Vermeidung von Kosten, so heisst es lapidar im Jargon der Lean-Management-Berater, muessen sich die Unternehmen von Mitarbeitern trennen, die ueberfluessig geworden sind. In der Computerbranche zeigt der Lean-Goetze eine besonders haessliche Fratze. Welche Mitarbeiter es trifft, muessen wir nicht erklaeren. Es sind nicht die Schlechtesten.

Frueher konnten sich Firmenchefs vor ihre Leute hinstellen und toenen: "Hoeren Sie nicht auf das, was wir sagen. Achten Sie auf das, was wir tun." Kein guter Tip heutzutage. So oder so: Es macht keinen Unterschied. Information, kann man der Management-Literatur entnehmen, ist Aufklaerung. Es scheint, dass Aufklaerung keine Chance hat. So koennte der vorweihnachtliche Rat lauten: Nutzen wir sie, bevor es andere tun! Nicht aergern kann man sich dann immer noch. Und das ist ernst gemeint.