Tatsächlicher Schaden kaum messbar

Meister Langfinger verlegt sich aufs Internet

29.06.2001
MÜNCHEN - Im Jahr 2000 nahm die IuK-Kriminalität in einzelnen Bereichen um über 300 Prozent zu. Gemessen an der insgesamt rückläufigen Kriminalität, sind diese Ergebnisse der Polizeilichen Kriminalstatistik des Freistaates Bayern, die als repräsentativ für das gesamte Bundesgebiet gelten, alarmierend. Von Hans-Jürgen Stenger*

Die Hacking-Straftaten in Form von Ausspähen von Daten sowie Computersabotage nahmen um 146,4 beziehungsweise 86,4 Prozent zu. In absoluten Zahlen bedeutet das, dass die Zahl der erfassten und strafbaren Delikte in Bayern auf 69 respektive 82 Fälle anstieg. Vor dem Hintergrund, dass in Wirtschaft und Verwaltung mehrere Millionen Rechner stehen, scheint dieses Ergebnis kaum Anlass zur Sorge zu geben. Diese Schlussfolgerung ist allerdings grundverkehrt und wird der tatsächlichen Bedrohungslage nicht gerecht.

Denn allein durch den I-love-you-Virus wurden im vergangenen Jahr Dateien auf mehreren tausend Rechnern in Bayern gelöscht. In manchen Unternehmen waren Vertriebs- und Entwicklungsabteilungen mehrere Tage lahm gelegt. Der insgesamt nur schwer messbare wirtschaftliche Schaden ging im Einzelnen in die Hundertausende. Genauere Angaben können kaum gemacht werden, da die Polizeiliche Kriminalstatistik nur einen Bruchteil dieser Fälle erfasst. Der Grund für die geringe Anzeigebereitschaft der Geschädigten liegt zum einen in der Befürchtung, dass der Sachverhalt auf diesem Wege einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird, was einen schweren Imageschaden für das Unternehmen bedeuten würde. Zum anderen wird vor allem bei geringen Schäden etwa in Fällen der Kreditkartenkriminalität der Aufwand für die Anzeigeerstattung als unverhältnismäßig angesehen.

Klar erkennbar ist jedoch, dass das Internet erheblich zum Anstieg der Delikte beigetragen hat. Allein in Bayern vermehrte sich die Zahl der Computerbetrügereien mittels rechtswidrig erlangter Karten für Geldausgabe- und Kassenautomaten von 1999 auf 2000 um 9,4 Prozent auf 3591 Fälle. Das Wachstum resultiert inerster Linie aus dem Anstieg des Missbrauchs von Kreditkartendaten im Internet. Auch die deutliche Zunahme der Zahlen des Warenkreditbetrugs auf 15 745 Fälle ist im Wesentlichen auf betrügerische Bezahlvorgänge mit Kreditkarten im Internet zurückzuführen.

Unter die Kategorie Betrug mit Zugangsberechtigungen zu Kommunikationssystemen fällt sowohl die Nutzung von Telefonkartensimulatoren zum "preiswerten" Telefonieren aus öffentlichen Telefonzellen als auch der Ersatz preiswerter Verbindungen zum Internet-Service-Provider durch einen "Highspeed-Zugang". Auch für diesen Deliktsbereich ist das statistisch erfasste und erfassbare Ausmaß verschwindend klein, die tatsächliche Zahl der Geschädigten ist weit größer.

Im Fall der Softwarepiraterie in Form des gewerbsmäßigen Handelns verzeichnet der Freistaat Bayern eine Steigerung von über 300 Prozent, nicht zuletzt, da das Angebot und die Verbreitung urheberrechtlich geschützter Programme über das Internet einfach und komfortabel möglich sind (warez, serialz, appz, gamez). Dass bundesweit bei diesen Vergehen eine Abnahme um 25 Prozent verzeichnet wird kann auch auf die besseren Möglichkeiten der DV-Beweismittel-Auswertung in Bayern durch speziell ausgebildete Sachbearbeiter zurückzuführen sein.

In kürzester Zeit entstehen durch diese Delikte der Softwareindustrie enorme Schäden. Die Business Software Alliance (BSA), ein Interessenverband der Softwarehersteller, hat allein im vergangenen Jahr einige hundert Internet-Seiten geschlossen. Vor dem unkritischen Herunterladen kostenloser oder ungewöhnlich billiger Software kann daher nur gewarnt werden.

Erschreckend ist auch die Zahl des Verrats von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen durch eigene Beschäftigte. Hier nahmen die registrierten Taten im vergangenen Jahr um über 160 Prozent zu. Rückläufig entwickelten sich hingegen das verbotene Ausspähen und die unerlaubte Verwertung so erlangter Geheimnisse.

*Hans-Jürgen Stenger ist Sachgebietsleiter für forensische IuK beim Landeskriminalamt Bayern.

Links:Freiwillige Selbstkontrolle Telefonmehrwertdienste e.V.:

www.fsk-ev.de,

Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI):

www.bsi.de,

Aufklärung durch das Bundesinnenministeriums:

www.sicherheit-im-Internet.de.

Abb: Polizeiliche Kriminialstatistik Bayern

Hohe Dunkelziffer: Die im jährlichen Rhythmus erstellte polizeiliche Statistik kann lediglich eine Tendenz anzeigen. Fachleute schätzen das tatsächliche Bedrohungspotenzial weitaus höher ein. Quelle: LKA Bayern