Die Mehrheit der Menschen in Deutschland sorgen sich einer Umfrage zufolge um die Überwachung ihrer Aktivitäten im Netz, fordern aber gleichzeitig mehr staatliche Kontrolle. Viele Nutzer sehen Gefahren im Internet, etwa durch Computerviren (72 Prozent), Überwachung des eigenen Surfverhaltens (57 Prozent) oder dem Diebstahl persönlicher Daten (50 Prozent). Das ergab eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach, die vom Deutschen Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) in Auftrag gegeben und am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.
Eine Mehrheit der Befragten meint, dass es mehr staatliche Regeln für die Anbieter von Internetseiten geben sollte. Das sagten 61 Prozent der Menschen. Fast ebenso viele (57 Prozent) finden, dass der deutsche Staat Inhalte von Internetseiten stärker kontrollieren sollte.
Gleichzeitig glauben die meisten Befragten nicht, dass einzelne Länder im Netz effektiv durchgreifen können. Eine wirksame Überwachung des Internets und seiner Inhalte hält fast die Hälfte für unmöglich. "Was daraus spricht, ist ein gewisser Fatalismus", sagte Renate Köcher vom Allensbach-Institut. Viele Menschen forderten zwar staatliches Handeln, bezweifelten aber dessen Wirkung. "Man muss sich im Klaren sein, dass Menschen widersprüchlich sind", sagt die Forscherin.
Unternehmen gefährlicher als der Staat
Trotz der allgemeinen Empörung über die Online-Überwachung durch Geheimdienste wie der NSA sprechen sich die Deutschen mehrheitlich für mehr staatliche Internetkontrolle aus. Der Studie zufolge gehen für die meisten Menschen die Gefahren im Netz eher von Unternehmen aus als vom Staat. So sehen zwei Drittel der Befragten ihre Freiheit dadurch gefährdet, dass Firmen Nutzerdaten auswerten und den Menschen auf sie zugeschnittene Angebote präsentieren. Eine staatliche Überwachung bewertet dagegen nur knapp die Hälfte (49 Prozent) als Gefahr für die Freiheit.
Das Unwohlsein ist auch deswegen so groß, weil viele Nutzer nicht wissen, was eigentlich mit ihren Daten passiert. "Sie haben erstmal ein Problem damit, dass ihre persönlichen Daten als Fundgrube für kommerzielle Interessen gesehen werden", sagte Allensbach-Direktorin Köcher. Unternehmen sollten besser erklären, wie sie Nutzerdaten auswerten. Trotz der Sorgen um Hacker, Viren oder eine unangemessene Analyse der persönlichen Daten überwiegen für die Mehrheit der Befragten die Vorteile des Internets: Das sind vor allem schnelle Informationen, Kontakt zu anderen Nutzern, Preisvergleiche beim Einkaufen. "Insgesamt zeigt das, wie kompliziert die Beziehung der Bürger zum Netz ist", sagte Köcher.
Für die Umfrage im Auftrag des DIVSI wurden im Oktober diesen Jahres 1487 Personen befragt, die einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung ab 16 Jahren in Deutschland bilden. Das DIVSI wurde von der Deutschen Post gegründet, die mit dem E-Postbrief ein Produkt für sichere Kommunikation im Netz vermarktet. (dpa/sh)
- Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Es geht nicht mehr um das Ausspähen der Gegenwart, sondern um einen Einblick in die Zukunft. Das ist der Kern von Prism. Präsident Obama hat schon recht, wenn er sagt, die von Prism gesammelten Daten seien doch für sich genommen recht harmlos. Er verschweigt freilich, dass sich daraus statistische Vorhersagen gewinnen lassen, die viel tiefere, sensiblere Einblicke gewähren. Wenn uns nun der Staat verdächtigt, nicht für das was wir getan haben, sondern für das was wir – durch Big Data vorhersagt – in der Zukunft tun werden, dann drohen wir einen Grundwert zu verlieren, der weit über die informationelle Selbstbestimmung hinausgeht." - Prof. Dr. Gunter Dueck, Autor und ehemaliger CTO bei IBM
"Ich glaube, die NSA-Unsicherheitsproblematik ist so ungeheuer übergroß, dass wir uns dann lieber doch gar keine Gedanken darum machen wollen, so wie auch nicht um unser ewiges Leben. Das Problem ist übermächtig. Wir sind so klein. Wir haben Angst, uns damit zu befassen, weil genau das zu einer irrsinnig großen Angst führen müsste. Wir haben, um es mit meinem Wort zu sagen, Überangst." - Oliver Peters, Analyst, Experton Group AG
"Lange Zeit sah es so aus, als würden sich die CEOs der großen Diensteanbieter im Internet leise knurrend in ihr Schicksal fügen und den Kampf gegen die Maulkörbe der NSA nur vor Geheimgerichten ausfechten. [...] Insbesondere in Branchen, die große Mengen sensibler Daten von Kunden verwalten, wäre ein Bekanntwerden der Nutzung eines amerikanischen Dienstanbieters der Reputation abträglich. [...] Für die deutschen IT-Dienstleister ist dies eine Chance, mit dem Standort Deutschland sowie hohen Sicherheits- und Datenschutzstandards zu werben." - Dr. Wieland Alge, General Manager, Barracuda Networks
"Die Forderung nach einem deutschen Google oder der öffentlich finanzierten einheimischen Cloud hieße den Bock zum Gärtner zu machen. Denn die meisten Organisationen und Personen müssen sich vor der NSA kaum fürchten. Es sind die Behörden und datengierigen Institutionen in unserer allernächsten Umgebung, die mit unseren Daten mehr anfangen könnten. Die Wahrheit ist: es gibt nur eine Organisation, der wir ganz vertrauen können. Nur eine, deren Interesse es ist, Privatsphäre und Integrität unserer eigenen und der uns anvertrauten Daten zu schützen - nämlich die eigene Organisation. Es liegt an uns, geeignete Schritte zu ergreifen, um uns selber zu schützen. Das ist nicht kompliziert, aber es erfordert einen klaren Willen und Sorgfalt." - James Staten, Analyst, Forrester Research
"Wir denken, dass die US-Cloud-Provider durch die NSA-Enthüllungen bis 2016 rund 180 Milliarden Dollar weniger verdienen werden. [...] Es ist naiv und gefährlich, zu glauben, dass die NSA-Aktionen einzigartig sind. Fast jede entwickelte Nation auf dem Planeten betreibt einen ähnlichen Aufklärungsdienst [...] So gibt es beispielsweise in Deutschland die G 10-Kommission, die ohne richterliche Weisung Telekommunikationsdaten überwachen darf." - Benedikt Heintel, IT Security Consultant, Altran
"Der Skandal um die Spähprogramme hat die Akzeptanz der ausgelagerten Datenverarbeitung insbesondere in den USA aber auch in Deutschland gebremst und für mehr Skepsis gesorgt. Bislang gibt es noch keinen Hinweis darauf, dass bundesdeutsche Geheimdienste deutsche IT-Dienstleister ausspäht, jedoch kann ich nicht ausschließen, dass ausländische Geheimdienste deutsche Firmen anzapfen." - Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Die NSA profitiert von ihren Datenanalysen, für die sie nun am Pranger steht, deutlich weniger als andere US-Sicherheitsbehörden, über die zurzeit niemand redet. Das sind vor allem die Bundespolizei FBI und die Drogenfahnder von der DEA. [...] Es gibt in der NSA eine starke Fraktion, die erkennt, dass der Kurs der aggressiven Datenspionage mittelfristig die USA als informationstechnologische Macht schwächt. Insbesondere auch die NSA selbst." - Aladin Antic, CIO, KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplationen e.V.
"Eine der Lehren muss sein, dass es Datensicherheit nicht mal nebenbei gibt. Ein mehrstufiges Konzept und die Einrichtung zuständiger Stellen bzw. einer entsprechenden Organisation sind unabdingbar. [...] Generell werden im Bereich der schützenswerten Daten in Zukunft vermehrt andere Gesichtspunkte als heute eine Rolle spielen. Insbesondere die Zugriffssicherheit und risikoadjustierte Speicherkonzepte werden über den Erfolg von Anbietern von IT- Dienstleistern entscheiden. Dies gilt auch für die eingesetzte Software z.B. für die Verschlüsselung. Hier besteht für nationale Anbieter eine echte Chance." - ein nicht genannter IT-Verantwortliche einer großen deutschen Online-Versicherung
"Bei uns muss keiner mehr seine Cloud-Konzepte aus der Schublade holen, um sie dem Vorstand vorzulegen. Er kann sie direkt im Papierkorb entsorgen."