Interview mit Suse-Interimsboss und -Finanzchef Johannes Nussbickel

Mehr Produkte für Business-Kunden

30.11.2001
Die Suse Linux AG richtet nach den Entlassungen ihre Produktstrategie neu aus. Wie sie ausfällt, erklärte der Interimsboss und Finanzchef Johannes Nussbickel im Gespräch mit CW-Redakteur Ludger Schmitz.

CW: Bisher war das Hauptgeschäft Suses der Vertrieb der Linux-Box. Gibt es eine neue Produktstrategie?

Nussbickel: Das Massengeschäft werden wir weiter betreiben, aber die Distribution war die längste Zeit das alles beherrschende Produkt. In Zukunft werden wir verstärkt Produkte auf den Markt bringen, die auf den Business-User in Unternehmen zugeschnitten sind.

CW: Heißt das, künftig werden Suses Linux-Produkte in höherem Maße kostenpflichtige proprietäre Elemente haben?

Nussbickel: Es geht nicht darum, ob Software kostenlos ist, sondern entscheidend ist, dass der Quellcode frei verfügbar ist, dass offene Standards und Transparenz gegeben sind. Weil wir möglichst Open-Source-Entwicklungen nutzen, werden unsere Produkte deutlich kostengünstiger ausfallen, als es komplette Eigenentwicklungen von proprietären Herstellern sind.

CW: Erzwingen die neuen Aufgaben auch eine Verlängerung der Release-Zyklen?

Nussbickel: Eine Entwicklungsabteilung von knapp 100 Mitarbeitern ist für ein kleines Unternehmen wie Suse schon sehr groß. Aber in der Tat denken wir da-rüber nach, im nächsten Jahr den Release-Zyklus von Suse Linux von drei auf zwei Versionen pro Jahr zu strecken.

CW: Welche neuen Business-Lösungen schweben Ihnen vor?

Nussbickel: Die Produkte, die wir in jüngster Zeit herausgebracht haben, zum Beispiel die Firewall on CD, der E-Mail-, der Groupware- und der Connectivity-Server, sind allesamt nicht branchenspezifisch ausgerichtet. Wir denken darüber nach, solche Produkte auch auf spezielle Anforderungen von Branchen auszurichten, beispielsweise für Finanzdienstleister oder die Telekommunikationsbranche.

Der wichtige Unterschied zu früher besteht darin, dass bisher unsere Produkte eher zufällige Nebenergebnisse der Entwicklertätigkeiten waren. In Zukunft werden die Leute in den neuen Business-Units engeren Kontakt zu den Kunden haben und besser feststellen können, was sie brauchen.

CW: Der Schwerpunkt bisheriger Suse-Anwendungen liegt bei Web-Zugang und Kommunikation. Bleibt es dabei?

Nussbickel: Das beschreibt zunächst einmal die großen Stärken von Linux. Allerdings gibt es in den verschiedenen Branchen ganz unterschiedliche Kommunikationsbedürfnisse. Wir möchten die Anforderungen der Kunden differenzierter verstehen und in entsprechende Produkte umsetzen.

CW: Und darüber hinaus? Intel-Cluster, Anbindung komplexer Speicherarchitekturen sind Beispiele für Aspekte, durch die Linux attraktiver werden könnte.

Nussbickel: An solchen Themen arbeiten wir, wenn auch bisher noch nicht so stark, wie es in Zukunft sein wird.

CW: Was wird aus den Services, dem einstigen Kern der Business-Strategien von Open-Source-Firmen?

Nussbickel: Wir hatten insbesondere ab dem zweiten Quartal 2001 im Dienstleistungsbereich Auslastungsprobleme. Als Reaktion darauf haben wir unsere Anstrengungen verstärkt, schnell größere Projekte zu akquirieren. Zuletzt kamen wir jedoch nicht umhin, in diesem Bereich Consultants, das heißt bei uns implementierende Berater, zu entlassen. Als zusätzlichen Service für Privatanwender wird es neben der Installationshilfe einen kostenpflichtigen Support geben. Das Supportangebot für Business-Kunden bleibt unverändert.

CW: Suse hat seit einigen Jahren einen klaren Schwerpunkt bei Linux auf dem Server. Könnte sich daran etwas ändern?

Nussbickel: Suse Linux auf dem Desktop gibt es im Wesentlichen nur bei Privatanwendern sowie in Smart- oder Thin-Client-Projekten von Großunternehmen. Im Allgemeinen zögern die Unternehmen, Windows- durch Linux-Anwendungen zu ersetzen, denn sie fürchten den Aufwand und die Kosten für die Mitarbeiterschulungen. Allerdings sieht es anders aus, wenn ohnehin größere Neuanschaffungen von Hard- oder Software anstehen. Auch bei Linux-Umstellungen der Server-Infrastruktur stellt sich das Problem nicht. Die Clients können bei Windows bleiben, die Server gewinnen bei einer Linux-Migration.

CW: In der Zusammenarbeit mit großen IT-Herstellern dürfte Suse früher Geld draufgelegt haben. Wird künftig realistischer abgerechnet?

Nussbickel: In der Vergangenheit haben wir das oftmals nicht so genau genommen. Der Bereich Technology Partners wird als profitorientierte Unit alle Leistungen in Rechnung stellen. Linux und seine Anwendungen gelten inzwischen nicht mehr einfach als kostenlos. Da haben die traditionellen Hersteller dazugelernt. Die Firma, die ihnen heute ein zuverlässiges Produkt entwickelt, muss auch in einigen Jahren noch als zuverlässiger Partner existieren und weitere Leistungen erbringen.

Finanzen, Entlassungen und neue Strukturen15 Millionen Euro hat die Suse Linux AG bei der jüngsten Finanzierungsrunde erhalten. Größter Investor war E-Millennium 1, ein Fonds, der von Investoren wie der Deutschen Bank, SAP, Accenture und der spanischen Bank La Caixa gespeist wird. Beteiligt waren ferner Apax und Intel Capital, die seit 1999 bei Suse engagiert sind. Erstmals hat sich - in unbekannter Höhe - auch IBM an einer Linux-Firma beteiligt. Gleichzeitig müssen 120 der weltweit rund 500 Mitarbeiter gehen.

Parallel wurde die bisherige funktionale Firmenstruktur mit Sales, Vertrieb, Entwicklung, Support, Marketing, Finanzen und Organisation geändert. In Zukunft werden Business-Units spezifische Kundenkreise bedienen und eigenverantwortlich ihr Geschäft betreiben: Der Bereich "Qualified Users" wendet sich an technisch versierte Privatanwender, also an den bisher größten Kundenkreis. Die Einheit "Business Users" spricht mit vorkonfigurierten Lösungen im Wesentlichen mittelständische Unternehmen an. Die Abteilung "Corporate Users" ist für Großkunden zuständig; sie werden künftig von Key-Account-Managern betreut. Der vierte Bereich, "Governmental and Institutional Users", kümmert sich um das Behördengeschäft. Das fünfte Segment, "Technology Partners", konzentriert sich auf die Kooperation und das Geschäft mit IT-Anbietern.

Daneben wird es eine übergreifende Entwicklungsabteilung sowie die zentrale Finanz- und Organisationsabteilung an der Firmenspitze geben. Eine Business-Unit "International" soll das gesamte Auslandsgeschäft bündeln.