Kriterien zur Beurteilung und Auswahl von Standard-Software:

Mehr L&G-Programme als DV-Installationen

22.07.1977

MÜNCHEN (uk) - Die Überlegung, als Alternative zu kostenintensiven Eigenentwicklungen Standard-Software-Pakete einzusetzen - die sogenannte "Make or buy"-Entscheidung -, stellt sich heute mehr und mehr für den DV-Verantwortlichen. Das Hauptproblem liegt dabei in der Formulierung von Beurteilungskriterien, an denen die Leistungen der Standard-Software gemessen werden können. Dr. Joachim Frank von der Organisation Plaut AG zeigt im folgenden Beitrag einige wesentliche Punkte auf. In seinem im Herbst erscheinenden Buch "Beurteilung und Auswahl von Standard-Software" werden die Kriterien ausführlich beschrieben.

Eine Schätzung für die USA besagt, daß dort inzwischen mehr Lohn- und Gehaltsprogramme geschrieben wurden, als installierte Computer vorhanden sind; ähnliches kann wohl auch für den deutschsprachigen Raum angenommen werden. Darin zeigt sich ein wichtiger Ansatzpunkt für Rationalisierungsbemühungen im Software-Bereich: Bei der begrenzten Kapazität, neue DV-Systeme entwickeln zu können - bekanntlich sind eine Reihe von Mitarbeitern ausschließlich mit Pflegearbeiten an bestehenden Systemen beschäftigt -, ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit, die in zunehmender Anzahl angebotenen Standard-Software-Pakete zu beurteilen und bei Eignung einzusetzen.

Um das Angebot an Software-Paketen prüfen zu können, sind ordnende Merkmale - Kriterien - eine Hilfe, die komplexe Auswahl-Entscheidung durchzuführen; allerdings muß dabei beachtet werden, daß die folgende Kriterienliste nur ein Anhaltspunkt sein kann, da eine Software-Auswahl immer im Kontext der jeweiligen Benutzer-Situation zu sehen ist. Auch bedürfen die einzelnen Standard-Softwarearten für eine Beurteilung neben einem grundlegenden Bündel gemeinsamer Beurteilungskriterien jeweils spezifischer Kriterien für ihren jeweiligen Anwendungsbereich.

Modular und herstellerunabhängig

Bei einer Beurteilung von Standard-Software steht zwangsläufig das Produkt mit seinen funktionalen Leistungskomponenten im Vordergrund. Einen gleichermaßen entscheidenden Einfluß haben jedoch auch die Zusatzleistungen und die Software-Kosten. Die Qualität des Systemkonzeptes ist sicherlich ein zentrales Merkmal eines Software-Paketes und bedarf damit besonderer Beachtung. Im einzelnen zeigt sich die Qualität anhand der folgenden Faktoren:

Das Paket muß modular aufgebaut sein, um Anpassungs- und Wartungsarbeiten leicht und schnell ausfahren zu können. Daraus resultieren dann auch Vorteile, die auf eine hohe Zuverlässigkeit und Betriebssicherheit des Produktes gerichtet sind. Das Paket sollte kompatibel für mehrere Hardware-/Software-Konfigurationen sein, um auch Systemänderungen mitmachen zu können.

Die organisatorisch-systemtechnische Flexibilität äußert sich zum einen in der Anpassungsfähigkeit an die organisatorische Problemstellung: Dabei ist zu überprüfen, ob das Verarbeitungsverfahren des Software-Produkts exakt dem organisatorischen Ablauf innerhalb der Unternehmung entspricht. Insbesondere sind die funktionalen Zusammenhänge, der Informationsfluß, das Berichtswesen, Datenerfordernisse - und die Arbeitsmethoden zu berücksichtigen. Zum anderen gehört dazu die Übereinstimmung mit den Erfordernissen des EDV-Systems: Es ist selbstverständlich, daß die im Software-Paket verwendeten Programmiersprachen mit denen des Anwenders übereinstimmen müssen.

Je universeller - desto aufwendiger

Bei den quantitativen Leistungsdaten sind Laufzeit und Hauptspeicherbedarf zu überprüfen: Bei der Überprüfung der Laufzeit von eigenerstellten Lösungen im Vergleich zu einem Software-Paket ergeben sich Schwierigkeiten, da es in der Regel nicht möglich ist, die Laufzeit von Eigenentwicklungen zu schätzen. Generell sprechen Erfahrungswerte davon, daß Eigenentwicklungen weniger laufzeitaufwendig sind als die für mehrfachen Einsatz konzipierten Software-Produkte. Je universeller eine Problemlösung ausgelegt ist, um so befehls- und damit speicheraufwendiger wird sie.

Bei der Installation/Modifikation der Standard-Software sind nicht nur die obengenannten hardware-/softwaremäßigen Voraussetzungen zu berücksichtigen, sondern auch die Fähigkeit des Lieferanten, sein Software-Produkt vollständig in das EDV-System des Anwenders zu integrieren, ohne Fehler lauffähig und für den praktischen Einsatz bereit zu machen. Neben der systemtechnischen Installation und Einsatzfähigkeit des Software-Produkts ist für die Mitarbeiter, die mit diesem Paket arbeiten sollen, eine entsprechende Einführungsschulung durchzufahren. Eine umfassende und Übersichtliche Dokumentation ist bei fremdbezogenen Software-Paketen weitaus wichtiger als bei Eigenprodukten, wenn nicht grundsätzlich gewährleistet ist, daß vom Software-Hersteller alle in der weiteren Entwicklung notwendig werdenden Modifikationen und Anpassungen, eventuell auch Fehlerbeseitigungen, durchgeführt werden. Mit de Übernahme der Standard-Software beim Kunden muß gewährleistet sein, daß der Software-Lieferant auf jeden Fall kostenfrei eventuell auftretende Software-Fehler im Rahmen einer Funktionsgarantie beseitigt.

Die Angaben über die Anschaffungskosten eines Software-Paketes schwanken zwischen einem Fünftel und einem Zehntel der Kosten einer Eigenentwicklung. Auf jeden Fall liegt der Anschaffungspreis um ein Vielfaches niedriger als die Eigenentwicklungskosten. Die Entwicklungskosten für generell einsetzbare Standard-Software sind zwar höher als vergleichbare individuelle Programme, auch die Vertriebskosten machen einen hohen Anteil des Kaufpreises der Software aus. Dennoch werden diese Kosten entsprechend den vom Software-Anbieter prognostizierten Absatzchancen seines Produkts auf eine Reihe von Interessenten verteilt, so daß daraus für jeden einzelnen ein günstiger Anschaffungspreis resultiert.

In der Praxis des Software-Marktes haben sich in der Hauptsache zwei mögliche Nutzungsarten für ein externes Software-Paket herausgebildet: Kauf oder Mietkauf oder Ratenkauf. Mit dem Abschluß eines Kaufvertrages erwirbt der zukünftige Benutzer gegen Zahlung einer einmaligen Gebühr das "Recht zur zeitlich unbegrenzten Nutzung" der Standard-Software. Mit dieser Vertragsformulierung versucht der Software-Anbieter (oder Hersteller), nach wie vor Inhaber sämtlicher Eigentums- und Verfügungsrechte zu bleiben. In der Regel sollten in dem einmalig zu zahlenden Nutzungspreis alle notwendigen Zusatzleistungen zur erfolgreichen Installation und Einführung der Standard-Software beim Benutzer enthalten sein. Mit dem Abschluß eines Mietvertrags erwirbt der Benutzer das "Recht zur zeitlich begrenzten Nutzung" der Software, die Dauer der Mietzeit ist dabei vertraglich festzulegen; meist wird eine Mietzeit zwischen 3 und 5 Jahren gewählt. Während dieser Zeit hat der Benutzer die gleichen Nutzungsrechte wie beim Kauf, zusätzlich ist jedoch in dem Mietpreis die Wartungsgebühr für die gesamte Vertragsdauer enthalten.

Programmierer-Boykott

Psychologische Faktoren können eine Rolle bei der Beurteilung spielen: Die normalerweise mit der Erstellung anwendungsindividueIler Software beauftragten Programmierer, Systemplaner und deren Vorgesetzte versuchen manchmal, die Einführung fremdbezogener Standard-Software zu boykottieren, da sie sich einerseits in ihrem Berufsstolz gekränkt, ihre eigene Kreativität und ihr Know-how zu einer Eigenerstellung unterdrückt fühlen, und andererseits empfinden sie es als unangenehm, Anpassungs-, Änderungs- und eventuell Wartungsarbeiten für ein "fremdes" Produkt in Eigenverantwortung zu erbringen. Bei dieser Argumentation wird nicht beachtet, daß eine betriebsintern programmierte Problemlösung ebenso gut - eventuell sogar effizienter als ein externes Software-Paket - sein kann, aber im Rahmen des Firmeninteresses die begrenzte Programmierungskapazität für andere, vielleicht ebenso dringliche und nicht durch Standard-Software lösbare Probleme freizusetzen und sinnvoller zu nutzen wäre.

* Dr. Joachim Frank ist Vertriebsleiter der Organisation Plaut AG und Fachdozent für Seminare zum Thema "Standard-Software".