Mehr als nur ein Spielzeug: Computer für die Jackentasche

02.07.1999
Die DV-Branche hat einen neuen Trend. Was sich schon auf der PC-Messe Comdex in Las Vegas im Herbst 1998 andeutete, wuchs sich auf der PC-Expo in New York zum vorherrschenden Thema aus: Jackentaschen-Computer wie Handhelds und Palmtops waren die kleinen, aber dominierenden Produkte der ansonsten eher ereignisarmen Branchenshow.

Mit den Kleinstmaschinen wächst eine ernstzunehmende Rechnergattung heran. Allerdings läßt deren Bedienkomfort noch viele Wünsche offen. Sahen viele die Winzlinge bislang eher als Spielerei an, konnten sich Besucher auf der New Yorker PC-Messe davon überzeugen, wie eng sich die Minirechner mittlerweile an die unternehmensweite Datenverarbeitung anbinden lassen. Der Westentaschencomputer dürfte sich in den kommenden Jahren neben PCs und Notebooks als professionelles Endgerät etablieren. Der eigentliche Hit der nächsten Generation von Kommunikationsgeräten war auch schon zu besichtigen: "Intelligente" Handies, die Telefon und Palm-Computer in ein Gerät packen.

Branchenexperten wiesen auf einer Podiumsdiskussion der PC Expo allerdings darauf hin, daß es für Benutzer der Bonsai-PCs nach wie vor zu kompliziert sei, beispielsweise E-Mail- und andere Applikationen zwischen ihren Mobil- und Desktop-Systemen zu synchronisieren. Felix Lin, CEO von Avantgo, sagte, die Installation von Anwendungen wie Microsofts "Activesync" - mit der Daten zwischen Kleinst- und Desktop-Rechnern abgeglichen werden -, sei immer noch ein Hürdenlauf.

Lin, dessen Firma selbst Software-Connectivity-Werkzeuge für Handhelds entwickelt, monierte zudem, zwar würden auf vielen der Minirechner schon Infrarot-Verbindungsmöglichkeiten angeboten. Allerdings gebe es nur eine begrenzte Anzahl von Applikationen, die die Option zur drahtlosen Datenübertragung überhaupt unterstützen.

Abhilfe dürfte da "Bluetooth" schaffen. Hierbei handelt es sich um die Infrarot-Spezifikation der Bluetooth Special Interest Group, einer Vereinigung von mittlerweile rund 800 Unternehmen unter Federführung von Intel. Die Bluetooth-Regeln werden es unterschiedlicher Gerätschaft erlauben, auf drahtlosem Weg untereinander zu kommunizieren. Über Bluetooth-Anbindungen an das Firmennetz läßt sich dann auch die Verbindung zu den Back-end-Anwendungen wie Datenbanken einrichten. Anwender werden über Infrarotlicht Daten aus ihren Host-Applikationen auf ihre Handhelds und auch wieder zurück auf die Host-Systeme oder direkt auf Drucker übertragen können.

Problematisch bei dieser Form von Mobilität ist der Sicherheitsaspekt. Diesem Vorbehalt soll jedoch durch Verschlüsselungssoftware begegnet werden. Produkte, die der Bluetooth-Spezifikation entsprechen, dürfte es nach Aussagen beteiligter Unternehmen wie 3Com ab dem kommenden Jahr geben.

Handheld-Anwendungen für die Unternehmens-DV

Als schlagendes Beispiel dafür, daß Handheld-Computer sich allmählich zu einem ernstzunehmenden Gerät für den Arbeitsalltag entwickeln, kann Oracles Datenbank gelten. Die Company von Larry Ellison schrieb eine auf die Palm-Computer der 3Com-Tochter zugeschnittene Lite-Version. Im zweiten Quartal dieses Jahres soll die nur 50 KB große Datenbankmaschine "Oracle 8i Lite" verfügbar sein, die remote die Daten von einer ausgewachsenen Oracle-8-Datenbank auf einem Palm-Computer zur Verfügung stellen kann.

Oracle wird auch die Desktop-Software "Lite Consolidator" vorstellen, mittels derer der Datenabgleich zwischen dem Handheld und dem Host-System synchronisiert wird. Bei der Host-Software muß es sich aber auch um eine Oracle-Datenbank handeln. Hier sind andere Hersteller wie beispielsweise Pervasive Software Inc. schon weiter. Das Unternehmen entwickelte eine Datenbanksoftware für Palmtops, die mit verschiedenen Host-Datenbanken synchronisiert werden kann.

Symbol Technologies Inc. aus Holtsville im US-Bundesstaat New York bietet zudem den Handheld "SPT 1500" an, bei dem es sich um eine modifizierte Version des Palm III handelt. Die Symbol-Entwickler erweiterten dieses System um einen Barcodeleseaufsatz und schnitten es auf Anwendungen aus den Bereichen Workflow, Gesundheitswesen, Einzelhandel etc. zu. Hier ist die Einbindung des Minimobilsystems als Front-end in die Back-end-DV-Struktur eines Unternehmens besonders gut darstellbar.

Auch andere Softwarehäuser, deren Produkte traditionell für den professionellen Bereich gedacht sind, haben sich der Handhelds angenommen. Insbesondere Anwendungen aus dem Bereich Sales Force Automation und Asset Tracking wurden an die handgerechten Computer angepaßt.

Computer Associates Inc. (CA) läßt den Palm-Computer mit seiner Unicenter-TNG-Software kommunizieren. Landware Inc. zeigte in New York eine Version von Intuits "Quicken"-Software für den Palm. Remedy Corp. entwickelte eine Palm-Client-Version seiner Helpdesk-Software.

Von Avantgo stammt die Software "Avantgo 3.0", die kostenlos von der Homepage (http://avantgo. com) heruntergeladen werden kann. Mit Avantgo 3.0 haben Anwender buchstäblich auf Hunderte von Web-Applikationen Zugriff. Content-Angebote etwa von "The New York Times", "Wall Street Journal", dem Wirtschaftsinformationsdienst Bloomberg oder dem Paketversand Fedex stehen Handheld-Benutzern zu jeder Zeit und an jedem Ort zur Verfügung. Voraussetzung: Sie brauchen ein kabelloses Modem.

Da die Avantgo-Lösung sich strikt an HTML-Standards ausrichtet, unterstützt sie nicht nur Windows-CE-basierte Geräte etwa von Casio, Everex, Philips oder Samsung, sondern auch die den Markt klar dominierenden Modelle von 3Com.

Wegen dieser deutlichen Marktdominanz machen sich viele Software-Entwickler gar nicht erst die Mühe, ihre Applikationen auch für die Windows-CE-Welt zu gestalten. Das gilt beispielsweise für das Rapid-Application-Development-(RAD-)Werkzeug "Satel- lite Forms" von der Puma Technology Inc. aus dem kalifornischen San Jose. Mit dem Puma-Tool können Entwickler an die Palm-Computing-Plattform angepaßte Applikationen schreiben, mit denen wiederum direkt auf Datenhaltungssysteme wie Oracle, DB2, Lotus Notes oder Microsoft Access zugegriffen werden kann.

Ähnliches gilt für "Documents to go" von Dataviz Inc. Auch dieses Unternehmen aus Trumbull, Connecticut, verläßt sich für seinen Geschäftserfolg vorerst ganz auf die überragende Marktposi- tion der Palm-Computing-Produkte. Documents to go nutzt die Hotsync-Technologie, um Dokumente aus den Office-Anwendungen von Microsoft, Lotus Smartsuite, Corel Wordperfect Suite und von Clarisworks auf die Palm-Organizer zu übertragen. Die automatische Datensynchronisation funktioniert sowohl vom Desktop-PC und -Mac auf den Handheld als auch von einem zentralen Applikations-Server über das Firmennetz auf die Organizer. Aktualität der Daten ist somit Trumpf.

Die Finanznachrichtenagentur Reuters und die Immobilienspezialisten von Prudential Real Estate bedienen hingegen sowohl die Palm-Computing- wie die Windows-CE-Welten mit ihrem Nachrichten-Dienstleistungsangebot. Reuters spielt neueste Aktienkurse, Kursgrafiken und Nachrichten aus dem aktuellen Wirtschafts- geschehen auf die Kleinsysteme. Mit Prudentials Software "Savvy Ecertified" ist es möglich, sich per Handheld auf die Suche nach Eigenheimen oder Gewerberäumen zu begeben.

Um die mittlerweile meistens sehr komplex aufgebauten HTML-Seiten im Internet für Handhelds verdaulich zu machen, bietet Proxinet Inc. seine "Proxiware"-Server-Software an. Proxiware fängt die HTML-basierten Informationen aus dem Web ab, zerlegt sie in ihre Teile und bringt sie in eine für Handhelds genießbare Form.

Für IT-Verantwortliche dürfte der Boom der Westentaschen-Computer als Front-ends in Unternehmen allerdings zum Alptraum werden. Hier soll das Tool "Mobile Device Management Center" (MDMC) von Riverbed Technologies behilflich sein. Klassische Sorgen der DV-Manager wie etwa die Kontrolle über den Gerätepark, die zentrale Konfiguration der Handhelds oder die Softwaredistribution lassen sich, so das Versprechen, lindern. MDMC ist praktischer- und sinnvollerweise sowohl für Palm-Pilot- wie für Windows-CE-Rechner ausgelegt.

Datensynchronisation - leichtgemacht?

Allein die Menge der Tools, mit denen sich Daten vom Desktop auf Handhelds abgleichen lassen, ist mittlerweile fast unüberschaubar. Mindestens unter 40 verschiedenen Produkten kann der Anwender heute oder in naher Zukunft wählen. Deren Schwachpunkt ist allerdings, daß auch sie nicht immer beide Handheld-Lager der Windows-CE- wie der Palm-Computing-Fraktion unterstützen. Insbesondere DV-Verantwortliche, die in ihren Unternehmen beide Systemtypen einsetzen, sollten also bei der Wahl eines geeigneten Synchronisa- tions-Tools auf dessen Vielseitigkeit achten. Entsprechende Software gibt es beispielsweise von Extended Systems ("Enterprise Harmony") oder Puma Technology ("Intellisync"). "Wavesync" von Waveware Communications Inc. hingegen ist wieder ausschließlich auf die Palm-Computing-Plattform eingenordet.

Eine zentrale Frage ist, wie sich Handhelds an das Internet und somit die Unternehmensdaten des Benutzers drahtlos anbinden lassen. "Palm VII", das neueste Modell der 3Com-Tochter Palm Computing, bietet solch eine Kommunikation standardmäßig. Nur folgerichtig wird sich der digitale Flachmann mit zu abonnierenden Nachrichten-Clippings verschiedener Content-Provider versehen lassen. Allerdings beschränkt sich die gesteigerte Mobilität des Palm VII auf die USA, denn nur dort wird er angeboten, bisher sogar nur in New York. Für Europa und insbesondere Deutschland gibt es laut Oliver Schwartz von der 3Com GmbH in Unterföhring bei München keine entsprechenden Vermarktungspläne.

Drahtlose Kommunikation ist trotzdem nicht auf den Palm VII beschränkt. Entsprechende Produkte für den Palm III oder Palm V machen allerdings momentan nur Drittanbieter verfügbar. So offeriert etwa Novatel Wireless Inc. für rund 400 Dollar eine Hard- und Softwarelösung für Palm-III- und Palm-IIIx-Benutzer, die sich damit in ein Cellular-Digital-Packet-Data-(CDPD-)Netz einklinken können. CDPD ist das US-Gegenstück zum GSM-Netz in Europa. Entsprechend sind diese Produkte auch nur für den amerikanischen Markt gedacht.

Vergleichbar ist die Lösung von Sierra Wireless, für die die genannten Angaben des Novatel-Angebots gelten. Die "Aircard 300" unterscheidet sich davon allerdings insofern, als es sich hierbei um eine Netz-Schnittstellen-Karte und kein PC-Karten-Modem handelt. Im Unterschied zu diesem nimmt die Sierra-Karte sofort Verbindung mit einem CDPD-Netz auf, wenn der Benutzer seinen tragbaren Rechner, etwa ein Notebook, ein Handheld oder ein sogenanntes "intelligentes" Handy, ein Smartphone also, anschaltet oder aus dem Schlafmodus "weckt". Einwählvorgänge kann man sich anders als mit der Novatel-Karte sparen. Die Sierra-Karte soll ab August für heftige 549 Dollar verfügbar sein. Ein Vorgängermodell der Aircard, das allerdings nur von Windows CE unterstützt wird, kann für 99 Dollar auf den Stand des neuen Produkts ausgebaut werden. Die Novatel-Karte kostet mit 279 Dollar nur die Hälfte der Aircard 300.

Das PC-Kartenmodem "Merlin Wireless" für PCMCIA-Einsteckplätze (Typ II) wiederum unterstützt die Microsoft-Welt der Betriebssysteme Windows 95 und 98, NT sowie CE. Die Datentransferrate des Merlin-Modems beträgt 19,2 Kbit/s. Wireless hat zudem eine Filtersoftware entwickelt, die, ähnlich wie die Proxiware-Software, Web-Seiten-Inhalte in ein reines Textformat umwandelt.

Besitzer von Palmtop-Geräten, die mit Microsofts Windows-CE-Betriebssystem arbeiten, sollen zudem noch diesen Herbst von einer Partnerschaft profitieren, die die Gates-Company mit Socket Communications unterhält.

Beide Unternehmen haben Kits für die drahtlose Kommunikation von Windows-CE-Mobilgeräten entworfen. Microsoft steuert den Software-Part bei. Dieser beinhaltet einen Web-Browser sowie ein Setup-Tool samt Communications-Utility. Außerdem liefert die Gates-Company "Activesync 3.0" mit, ein Programm zum Datenabgleich zwischen Palmtop und Desktop. Socket entwickelte die Hardware, ein CDPD-Telefon sowie eine Compact-Flash-Karte.

Die Kits sollen rund 100 Dollar kosten. Hinzu kommen die ständigen Gebühren für einen Internet-Provider. In den USA beispielsweise berechnet Bell Atlantic für den unbegrenzten drahtlosen Internet-Zugangsservice rund 40 Dollar pro Monat.

Im Prinzip ist das Ende der "reinen" Palm-Pilot- und Win- dows-CE-basierten Handhelds aber schon abzusehen. Die Zukunft gehört eindeutig Produkten, wie sie Nokia mit seinem "Communicator" oder jetzt auf der PC Expo Qualcomm Inc. zeigten: Smartphones, die sowohl alle Handheld- als auch ganz "normale" Handy-Funktionen aufweisen. Auf dem "Pdq"-Smartphone laufen alle Anwendungen, die zur Palm-Computing-Plattform kompatibel sind. Allerdings ist auch das Pdq-Handy ausschließlich für das CDMA-Netz gedacht.

Hier allerdings ziehen Firmen wie Nokia ("Nokia 7110") und auch Ericsson mit Produkten für das GSM-Netz sicher bald nach. Standards wie das Wireless Application Protocol (WAP) haben die technologische Grundlage ja schon gelegt. Bereits auf der CeBIT ''99 waren Smartphones als nächste Generation der Thin-Client-Klasse ein wesentliches Thema (siehe CW 13/1999, Seite 27).