Unternehmenskritische Anwendungen sind kein Tabu mehr

Mehr als 1000 SAP-Kunden setzen auf Linux

03.10.2003
MÜNCHEN (ls) - Noch ist es eine überschaubare Gruppe, aber schnell steigt die Zahl der Anwender, die unternehmenskritische SAP-Anwendungen auf Linux-Systemen betreiben.

Es war eine faustdicke Überraschung, als im Herbst 2001 bekannt wurde, dass weltweit 530 Anwender SAP-Applikationen auf Linux-Rechnern fahren. Inzwischen kann endgültig nicht mehr davon die Rede sein, dass nur einige besonders mutige Firmen es "wagen", "business-critical" Programme dem Open-Source-Betriebssystem anzuvertrauen. Mehr als 1000 SAP-Linux-Installationen registrierten die Walldorfer nach eigenen Angaben Ende 2002. Eine nochmalige Verdoppelung dieser Zahl erwartet SAP auch für das laufende Jahr.

Der tatsächliche Linux-Anteil dürfte allerdings noch höher sein. Denn SAP zählt in einer internen Statistik nur solche Installationen mit, bei denen auch gleich die Datenbank auf dem quelloffenen Betriebssystem läuft. Die Kunden betreiben also mindestens zwei bedeutende unternehmenskritische Anwendungen auf Linux. Die geeigneten Datenbanken sind IBM DB2, Oracle, Informix und SAP DB. Rund 30 Prozent der SAP-Linux-Installationen werden für SAP DB geordert. Darüber hinaus gibt es, so eine SAP-Quelle, "viele Kunden, die einfach nur Linux-Applikations-Server in bestehende SAP-Systeme integrieren".

Viele Kunden testen

Gemessen am großen SAP-Kundenstamm sind die Nutzer des quelloffenen Systems aber noch eine Minderheit: Das Unternehmen Raad Consult aus Münster hat, so die kürzlich vorgelegte Studie "SAP-Anwender und Mysap", bei einer Umfrage im Sommer 2002 festgestellt, dass nur zwei Prozent der Mysap-Kunden mit Linux-Systemen arbeiten. Bei den Neuinstallationen hat das quelloffene Betriebssystem zum selben Zeitpunkt nach SAP einen Anteil von fünf Prozent.

Linux trat nach Beobachtung von Raad Consult im letzten Jahr noch "kaum als autarke Systembasis, sondern vielmehr im Rahmen von Test- beziehungsweise Experimentalsystemen neben der eigentlichen Infrastruktur in Erscheinung". Seit Anfang 2002, so die Münsteraner Beobachter, verzeichne Linux unter SAP-Kunden "insgesamt hohe absolute Zuwachsraten". Das deckt sich mit Angaben aus SAP-Kreisen. Immerhin erwarten die Walldorfer bei einer Fortsetzung des aktuellen Plattformtrends, dass bereits Ende nächsten Jahres genauso viele SAP-Neuinstallationen für Linux wie für die anderen wichtigen Unix-Plattformen AIX, HP-UX und Solaris ausgeliefert werden.

Die Mehrheit der Linux-Rechner der SAP-Kunden sind mit zwei bis acht Prozessoren bestückt. Besonders verbreitet sind 32-Bit-Systeme mit Intel-Prozessoren. Intels 64-Bit-Itanium-Familie mit Linux wird SAP demnächst unterstützen. Ein besonderer Vorteil von Linux ergibt sich bei Anwendern der IBM-zSeries-Mainframes: Bisher verlangte es großen Aufwand, die SAP-Software auf die Großrechner zu portieren. Jetzt brauchen die Anwender nur noch die Linux-Varianten der Walldorfer Applikationen auf einer Linux-Partition der zSeries zu kompilieren. Das macht eine IT-Konsolidierung auf den Mainframes nur attraktiver.

Nach Angaben aus Walldorf lässt sich keine Branche ausmachen, die dem quelloffenen Betriebssystem besonders zugeneigt sei. Es gebe auch keine Anwendung, die Kunden bevorzugt auf Linux laufen ließen. Vielmehr sei eine breite Streuung über alle SAP-Applikationen und -Branchenlösungen zu verzeichnen. Allerdings haben, so eine SAP-Quelle, "viele Kunden mit R/3 angefangen und setzen aufgrund der positiven Erfahrungen jetzt auch weitere Produkte wie BW und CRM auf Linux ein".

Keine Angaben macht SAP über die von den Kunden bevorzugten Distributionen. Das Unternehmen unterstützt zurzeit Red Hat Enterprise Linux 2.1 und Suse Linux Enterprise Server 8 (United Linux). Beide Distributionen seien sowohl diesseits as auch jenseits des Atlantiks gefragt. Europa ist im Übrigen wie schon vor zwei Jahren die Region mit der größten Verbreitung von SAP-Linux-Installationen. Doch nach Beobachtung der Walldorfer steigt "seit diesem Jahr spürbar" das Linux-Geschäft in den USA.

Positive Erfahrungen übertragen

Viele der Kunden haben bereits mit Nicht-SAP-Anwendungen positive Linux-Erfahrungen gemacht. Kostengründe und die Stabilität des quelloffenen Betriebssystems nennen die Anwender als häufigste Gründe ihrer Entscheidung. Ferner seien Linux-basierende Applikationen aus der Walldorfer Softwareschmiede verhältnismäßig leicht in eine bestehende SAP-Infrastruktur zu integrieren. Das Betriebssystem gilt bei den Anwendern als zukunftssicher, weil es Open Source und damit unabhängig von der Politik einzelner Anbieter ist. Einen besonderen Vorteil bringt Linux dann mit sich, wenn Anwender aus Unix-Umgebungen auf Intel-basierende Hardware migrieren. Denn in diesen Fällen lässt sich die Unix-Kompetenz der IT-Fachleute direkt auf Linux übertragen, weil sich das neue System aus Administrationssicht kaum von den traditionellen Unix-Derivaten unterscheidet.

"Die Kunden sind durchgehend mehr als zufrieden mit SAP-Linux-Installationen", heißt es aus Walldorf. Die deutsche SAP-Anwender-Gruppe (DSAG) hat gerade eine Arbeitsgruppe Linux eingerichtet, um auf das gesteigerte Interesse zu reagieren. Ohne Zahlen nennen zu können, geht SAP davon aus, dass viele Kunden Linux testen.

Abb: Noch dominiert Unix die R/3-Welt

Bislang laufen wenig SAP-Anwendungen unter Linux. Quelle: Raad Consult