Modernste TK-Techniken unterstützen Ferndiagnose

Medkom : Patientenversorgung mit Hilfe von Videokonferenzen

14.02.1992

Videokonferenz unter dem Stichwort der Bewegtbildkommunikation fährt derzeit sicherlich noch ein Schattendasein innerhalb der Palette der Mehrwertdienst-Angebote. Das dies zumindest für den medizinischen Anwendungsbereich nicht mehr ohne weiteres gilt, macht Wilhelm Ottenbreit* in seiner Beschreibung des seit 1986 laufenden Medkom-Projektes der Telekom deutlich.

Kaum ein Berufsstand ist bei seiner Arbeit auf optische Informationen so sehr angewiesen wie der der Mediziner. Für eine zuverlässige Diagnose muß dabei oft mit Fachspezialisten zusammengearbeitet und gleichzeitig dem Patienten Vielfachuntersuchungen zum gleichen Krankheitsbild möglichst erspart werden. Bei diesem Anforderungsprofil bietet es sich an, statt der Spezialisten und Patienten besser die bei den Untersuchungen anfallenden Bilder und Daten via Viedeokommunikation auf die Reise zu schicken.

Neue Dimensionen der ärztlichen Teamarbeit

Die Technik der Videokommunikation eröffnet dabei ganz neue Dimensionen der ärztlichen Teamarbeit. Unter Einbeziehung von Bild und Ton können Fachärzte, Spezialisten und Krankenhausärzte miteinander in direkten Dialog treten. 1986 starteten die Telekom, das Land Niedersachsen und die Stadt Hannover das Projekt Medkom. In möglichst vielen Versuchsfeldern wie Hochschulen, Krankenhäusern und bei niedergelassenen Ärzten wird seitdem in Hannover das Medium Videokonferenz im medizinischen Alltag der Fachbereiche erprobt.

In einer dreijährigen Pilotphase Medkom I wurden gemeinsam mit Anwendern erste umfassende Erkenntnisse über den Nutzen der Videokommunikation in der Medizin gewonnen. Für Krankenhäuser, Universitätskliniken, Laboreinrichtungen, aber auch für einzelne Arztpraxen bietet das Medkom-System die technischen Voraussetzungen für eine gleichzeitige Übertragung von Text, Bild, Sprache und Daten. Alle bildgebenden Verfahren wie Mikroskopie, Röntgen und Computertomographie (computergestützte Röntgenuntersuchungstechnik) können dabei in die Kommunikation einbezogen werden.

Durch den zusätzlichen Zugriff auf Bild- und Datenspeicher stehen durch Medkom für die Diagnostik, aber auch für eine Nutzung in Lehre und Forchung immense Bild- und Datenbestände zur Verfügung. Langfristig soll durch Medkom ein integriertes Konzept für die technische Kommunikation in sämtlichen medizinischen Bereichen der Patientenversorgung geschaffen werden.

Die in der Versuchsphase gewonnenen Erkenntnisse werden seit dem Spätherbst 1989 im Folgeprojekt "Medkom II" umgesetzt.

Inzwischen sind nicht nur die Krankenhäuser der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover an Medkom angeschlossen, sondern auch das Kreiskrankenhaus Gifhorn und das Stadtkrankenhaus Wolfsburg. Im September kamen zwei neue Anschlüsse in Braunschweiger Krankenhäusern hinzu. Die Hauptarbeitsgebiete bei den neuen Teilnehmern werden nach Aussagen der beteiligten Mediziner neben anderen medizinischen Fachbereichen vor allem die Neurochirurgie (Operationen am Zentralnervensystem) und die Hämatologie/Onkologie (Blutkrankheiten/Geschwülste) sein.

Derzeit umfaßt das Medkom-Projekt bundesweit 17 angeschlossene Krankenhäuser mit insgesamt 32 Endstellen. 13 Krankenhäuser sollen noch in diesem Jahr hinzukommen, und bis Ende 1993 sind 41 Krankenhäuser als Teilnehmer geplant. Mit den dazugehörenden Arztpraxen und Universitäten werden dann insgesamt 60 Anschlüsse zum Medkom-Gesamtnetz gehören.

Schon seit längerer Zeit findet die Videotechnik in der Medizin vielfältigen Einsatz. Bei der Beobachtung von Untersuchungen und Operationen standen Bewegtbilder bereits häufig als einseitig gerichtete Informationen zur Verfügung.

Die benötigte technische Infrastruktur für die Videokommunikation ist dadurch im medizinischen Bereich größtenteils schon vorhanden. Der Einsatz neuer Endgeräte (Medkom-Endstellen) ermöglicht nun die Bewegtbildkommunikation im Dialog.

Zum Einsatz kommen die Medkom-Endstellen besonders in großen Kliniken mit verschiedenen Gebäuden auf weitläufigem Gelände.

Durch den Einsatz einer Breitband-Nebenstellenanlage können die einzelnen Fachbereiche auf diese Weise schnell und wirtschaftlich miteinander kommunizieren. Das Netz der Telekom braucht nur im Bedarfsfall in Anspruch genommen zu werden (siehe Abbildung 1). Die Basis der Endstellen bilden Komponenten wie Videokameras, Monitore, Sprechanlagen, die auch sonst in der Videotechnik zum Einsatz kommen (siehe Abbildung 2).

Für die Medizin sind jedoch bei den Endgeräten oftmals eine Reihe von speziellen Anforderungen zu erfüllen, denn von der Basisgeräteeinheit abgesehen, gleicht keine Medkom-Anlage der anderen. Je nach Nutzung unterscheidet sich beispielsweise eine Anlage für Operationsübertragungen wesentlich von der für die Augenheilkunde. Ein Pathologe benötigt wiederum eine andere Gerätekonfiguration als ein Internist oder ein Radiologe. Dadurch müssen bildgebende medizintechnische Geräte eingebunden werden, spezielle Speichermöglichkeiten vorhanden sein oder die hohen Hygieneanforderungen im Operationsbereich Berücksichtigung finden.

Kern eines Medkom-Arbeitsplatzes ist ein digitales Bildbearbeitungssystem. Dieses System bringt digitales Bildmaterial aus den verschiedenen bildgebenden Verfahren (unter anderem Röntgenbilder und radiologische Bilder) in eine im Medkom-Netz ohne weiteren Qualitätsverlust übertragbare Form. Gleichzeitig dient es der Bildspeicherung auch einzelner Videobilder aus der Übertragung. Die Bildbearbeitungsfunktionen erlauben außerdem die Kennzeichnung oder Beschriftung der Bilder.

Durch Verwendung der Bildplatte als Speichermedium und eines Bildplattenwechslers stehen in einer Medkom-Zentrale bis zu 100 Stunden Film oder über zehn Millionen Einzelbilder zur Verfügung. Eine Online-Datenbank enthält die dazugehörigen Texte. Der Arzt gibt nur noch die Befunde oder seine Verdachtsdiagnose als Suchkriterium ein und erhält die dazu passenden Fallbeschreibungen. Das dazugehörige Bildmaterial erlaubt ihm einen direkten Vergleich mit seinen vorliegenden Bildern. Soweit ein Lehrfilm über die Krankheit vorliegt, kann dieser nun unmittelbar abgerufen und für eine intensive Bearbeitung auf dem Videorecorder abgespeichert werden.

Je nach Bedarf kostet die Einrichtung einer Medkom-Endstelle zwischen 25000 Mark und 200000 Mark. Durch ermäßigte Grundgebühren und den Verzicht auf Entgelte für die Verbindungen gewährt die Telekom derzeit Unterstützung bei der Einführung von Medkom, Medkom II soll dazu beitragen, die für die medizinische Telekommunikation erforderlichen Geräte zu optimieren und die Telekommunikation zu einem nützlichen Werkzeug in der Medizin zu machen.

Als leistungsfähiges Kommunikationsnetz für die bei der Bewegtbildkommunikation reichlich anfallenden Datenmengen dient das vermittelnde Breitbandnetz VBN. Das VBN ist Bestandteil des im Aufbau befindlichen Glasfasernetzes der Telekom und wurde speziell für den ständig wachsenden Kommunikationsbedarf und für die Einführung zukünftiger neuer Kommunikationsformen wie Multimedia entwickelt. 140 Mbit/s kann dieses Netz übertragen - das ist etwa 150mal mehr als im analogen Telefonnetz. Damit erreicht das VBN die in der Medizin notwendige hohe Bildqualität.

Wie beim Telefonieren können im digitalen VBN jederzeit durch Selbstwahl Verbindungen zu den Medkom-Gegenstellen aufgebaut werden. Mehrere Endstellen lassen sich auch zu einer Mehrpunktkonferenz zusammenschalten. Selbst internationale Verbindungen in fast alle europäischen Länder, die USA, Kanada, Australien und Asien sind auf diese Weise realisierbar.

In der praktischen Anwendung zeichnet sich mittlerweile eine weitere Nutzung der Medkom-Anschlüsse ab: die Übermittlung von digitalen Daten bildgebender medizinischer Geräte beziehungsweise vielfältiger gespeicherter Daten aus örtlich vorhandenen LANs. So planen beispielsweise die Universitätskliniken Ulm, Bonn und Berlin eine gemeinsame Nutzung ihrer vorhandenen Datenbestände. Parallel zur Bildübertragung wird dafür eine zusätzliche 2-Mbit/s-Leitung genutzt.

Außerdem kann durch den Einsatz des diensteintegrierenden, digitalen TK-Netzes ISDN für niedergelassene Ärzte eine Alternative zum Glasfaseranschluß geschaffen werden. Diese Technik nutzt das vorhandene Kupfernetz und ist damit schnell über den heimischen Telefonanschluß realisierbar. Durch die Übertragung von Standbildern können auf diesem Weg auch einzelne Ärzte in Medkom eingebunden werden und ihre Arbeit ohne wesentliche Beeinträchtigung ausführen.

Bisher gibt es wenig Möglichkeiten, die neue Technik der Bewegtbildkommunikation mit den Kostenträgern abzurechnen. Deshalb ist es schwierig, niedergelassene Ärzte in das Projekt einzubeziehen. Durch die Unterstützung eines Hannoveraner Fördervereins zur

Krebsbekämpfung konnte der erste Arzt in diesem Jahr aber dennoch in Walsrode bei Hannover in das Projekt integriert werden.

Gerade bei Krebserkrankungen läßt sich der klinische Krankheitsverlauf nur sehr schwer über einen längeren Zeitraum vorhersagen. Nur eine häufige Kontrolle der Befunde, wie sie Computertomographien oder Angiographien (Darstellung von Blutgefäßen auf dem Bildschirm) darstellen, läßt frühzeitig Veränderungen erkennen. Als Krebsspezialisten betreuen die Ärzte des Tumorzentrums Hannover aber eine ganze Reihe von Krankenhäusern, besprechen sich mit Fachärzten vor Ort und führen gemeinsame Visiten durch.

In der Regel ist es schwierig, alle Fachärzte der besuchten Krankenhäuser an einen Tisch zu bekommen. Ärzte sind deshalb viele Stunden auf Niedersachsens Straßen unterwegs. Die Bewegtbildkommunikation spart hier nicht nur viel Zeit, sondern sie macht individuellen ärztlichen Rat von Spezialisten auch leichter verfügbar.

Seit 1986 läuft, wie schon erwähnt, das Pilotprojekt und soll unter verbesserten Rahmenbedingungen fortgesetzt werden. 13 Endstellen verschiedener medizinischer Fachbereiche sind in Hannover bereits zusammengefaßt. Das Zentrum bildet die Medizinische Hochschule Hannover mit sechs Endstellen (Nebenstellenanlagen). Dazu kommen Krankenhäuser aus dem Umland sowie Endstellen in den Krankenanstalten Hannover. Basis der Arbeit in diesem Projekt bildet die "Kooperative Visite" der Abteilung Hämatologie/Onkologie um Professor Poliwoda.

Aber auch bei anderen Krankenhausträgern setzt sich die Bewegtbildkommunikation zunehmend durch. So nutzt die Neurochirurgie der Universitätsklinik Mainz die Bewegtbildkommunikation als Sofortmaßnahme für die Übermittlung von harten Befunden (Röntgenaufnahmen, CT-Aufnahmen) bei Unfallverletzten. Wichtiger Partner in diesem Projekt ist die "Stiftung Deutsche Klinik für Diagnostik" in Wiesbaden. Die radiologische Abteilung des Krankenhauses Singen beabsichtigt, mit der Radiologieabteilung des Universitätsklinikums Rudolf Virchow der TU Berlin radiologische Befunde auszutauschen. Weitere Anschlüsse sind im Raum Singen/Konstanz vorgesehen.

Im Rahmen der allgemeinen ärztlichen Abstimmung und Fortbildung möchte die Neurochirurgie des Krankenhauses Nordstadt einmal pro Woche besondere Patientenfälle aus dem Hörsaal und dem Operationssaal mit den beiden Endstellen Radiologie und Neurochirurgie des Universitätskrankenhauses Berlin besprechen. Mit dem Städtischen Krankenhaus Oldenburg als Integrationspunkt soll die onkologische Kooperation mit Krankenhäusern im Umland erprobt werden. Daneben ist eine enge Zusammenarbeit mit der Medizinischen Hochschule Hannover vorgesehen.

Das Klinikum rechts der Isar in München arbeitet auf dem Gebiet der Augenheilkunde eng mit den Augenkliniken im Krankenhaus Nordstadt Hannover und der Medizinischen Hochschule Hannover zusammen. Die Medkom-Technik ist hier in die augenärztlichen Untersuchungsplätze integriert.

*Wilhelm Ottenbreit ist Leiter des Fachbereiches Forschung der Generaldirektion Telekom, Bonn.