IT im Gesundheitswesen/Dr. Pfleger schickt Pillen per IP-Paket

Medikamentenvertrieb online

16.11.2001
Heftiger Protest aus der Pharmaindustrie und Stirnrunzeln bei Verbraucherschützern: Wer Medikamente über das Internet vertreiben möchte, muss sich auf Gegenwind einstellen. Was nicht heißt, dass die Hersteller Medikamente offline vertreiben müssen. Ein Beispiel für gezielte und kundenorientierte Internet-Nutzung in diesem Bereich gibt die Dr. R. Pfleger GmbH in Bamberg. Von Andreas Romppel*

Mehr als 14000 Apotheken beliefert das Bamberger Unternehmen in Deutschland mit seinen Produkten direkt. Diese reichen von verschreibungspflichtigen Präparaten wie Antibiotika und Rheumamedikamenten bis zu frei verkäuflichen Arzneien gegen Fieber und Schmerzen, Hustenreiz und Heiserkeit - darunter das bekannte Schmerzmittel Neuralgin. Dass diese in die Apotheken gelangen, dafür sorgt eine etwa 25 Mann starke Truppe von Außendienstmitarbeitern. Sie besuchen die Apotheken, stellen dort den Bedarf fest, liefern bestellte Medikamente aus, beraten den Apotheker bezüglich neuer Arzneimittel und stellen kostenfrei Displays oder andere Verkaufshilfen zur Verfügung.

Bis vor kurzem unterschied sich die Bestellung durch die Apotheken nicht wesentlich von dem Vorgang, der in der Gründungsphase des Unternehmens in den Vierzigerjahren üblich war. Die Medikamente, die der Außendienstler von Dr. Pfleger in seinem Standardrepertoire hatte, lieferte er ab, der Bedarf wurde auf einem fest vorgegebenen Papierformular eingetragen. Er hat dabei die Möglichkeit, einzelne Rabatte, Naturalrabatte und Konditionen zu vergeben oder zu verändern. Zu bestimmten Artikeln gibt es kostenlose Werbemittel wie Displays, Retouren mit Wert werden wieder mitgenommen. All diese Informationen wurden bislang auf dem Formular festgehalten und am Ende des Tages per Fax oder postalisch an die Zentrale in Bamberg übermittelt. Der Vertriebsinnendienst erfasste die Daten in zwei Stufen und erzeugte im hauseigenen SAP-System die entsprechenden Aufträge. Das ging naturgemäß nicht immer ohne Fehler ab, für die auch die berühmten Medienbrüche, also der Wechsel zwischen Papier und digitaler Erfassung, verantwortlich waren.

Eine interne Arbeitsgruppe wurde gebildet, der unter anderem der Leiter des OTC-Bereichs Robert Fischer und der IT-Leiter Gerhard Zimmermann angehörten. Man begutachtete eine Reihe von Lösungen zur direkten, elektronischen Bestellaufnahme. Hauptproblem war eine reibungslose Anbindung an das SAP-System, was die Auswahl deutlich einschränkte.

Replikation via InternetZur Optimierung des Bestellvorgangs suchte Dr. Pfleger nach einer Lösung, die es ermöglichte, vollständige Aufträge bereits vor Ort bei den Apotheken zu erfassen. Die Replikation der Auftragsdaten mit dem SAP-Backend in Bamberg sollte zu einem späteren Zeitpunkt über eine Internet-Verbindung erfolgen. Auf dem gleichen Weg sollten alle benötigten Stammdaten durch Datenreplikation mit dem SAP-System übertragen werden.

Eine weitere Anforderung wurde für das Layout der Erfassungsmaske definiert: Es sollte sich im Wesentlichen an das vorhandene Papierformular anlehnen, aber zusätzlich durch Customizing-Einstellungen im SAP-System beeinflussbar sein. Eine besondere Herausforderung stellte die Freiheit der Auftragseingabe dar: Unterschiedliche Auftragsarten und Positionstypen mussten in Abhängigkeit der eingegebenen Daten erzeugt werden, gefundene SAP-Konditionen galt es ebenso wie Naturalrabatte zu überschreiben - was eigentlich nur dann funktioniert, wenn man diese Änderungen direkt in SAP vornimmt.

Nach einer Validierungs- und Vergleichsphase entschied man sich schließlich für den Einsatz einer Lösung der Dortmunder SAP-Spezialisten von Uniorg, die quasi "SAP für unterwegs" bietet, ein System, das direkt aus SAP heraus konfiguriert und angepasst werden kann. Die Lösung namens "ETS-Net" ist eine Ergänzung zu R/3 und erlaubt direkte Abfragen und Buchungsvorgänge in SAP von entfernten Computern aus dem eigenen Firmenverbund oder auch von Fremdunternehmen aus.

Bei Dr. Pfleger wird nun "Electronic Mobile Sales" praktiziert, indem die Außendienstmitarbeiter entweder über einen Web-Client oder einfach per E-Mail Daten und Abfragen unabhängig von Standort, Laufzeit und Verfügbarkeit des SAP-Systems eingeben. Dabei wird der gesamte Datenverkehr zwischen dem SAP-System und der Außenwelt über einen Kommunikations-Server auf Basis von Windows NT/2000 abgewickelt. Das Projekt unter der Leitung von Gerhard Zimmermann verlief in mehreren Phasen und begann Anfang November 2000. Zunächst wurde die Erfassungsmaske entworfen. Dann wurde das Customizing im R/3-Modul SD (Sales and Distribution) angepasst. Bei dieser Gelegenheit wurden auch neue Positionstypen und Konditionsregeln definiert, die den Außendienstmitarbeitern einen größeren Freiraum beim Anpassen der Konditionen bieten.

In der dritten Phase wurden die Kommunikationsstrukturen festgelegt. Als Datenaustauschformat sowohl für die Übertragung der Aufträge als auch für die Stammdatenreplikation wird XML verwendet. Zu guter Letzt wurden die ETS-Szenarien eingerichtet, in denen man festlegte, wohin welche Informationen fließen. Die Bestelldaten können vom Mitarbeiter entweder vor Ort oder bequem vom Hotelzimmer aus eingegeben werden. Technisch sieht das so aus: Der mit einem rollenbasierten Berechtigungssystem ausgestattete Client namens ETS-Mobile erzeugt ein XML-Dokument, das als E-Mail-Anhang an ein zentrales Postfach übertragen wird. Der ETS-Server liest regelmäßig dieses Postfach aus, konvertiert die Daten in das SAP-spezifische RFC-Format und sorgt für den entsprechenden Vorgang innerhalb des ERP-Systems.

200 Aufträge täglichNach einer Testphase Anfang Dezember und kleinen Erweiterungen konnte am 8. Januar das System in Betrieb genommen werden. "Die Einarbeitungszeit war deutlich kürzer, als wir gedacht hatten", berichtet Gerhard Zimmermann. "Nach einer kurzen Übergangsphase nutzen inzwischen alle Außendienstmitarbeiter die Lösung." Probleme gab es anfangs im Bereich der Antwortzeiten in der Kommunikation zwischen dem Server, der bei Dr. Pfleger in Bamberg steht, und dem in einem Rechenzentrum in Neckarsulm installierten R/3-System, die aber relativ schnell gelöst werden konnten. Im praktischen Alltag stellte sich übrigens heraus, dass es für Mitarbeiter und Kunden angenehmer ist, Bestellungen offline aufzunehmen und diese erst in einer Pause oder am Abend per E-Mail in die Zentrale zu senden. Dies geschieht zunehmend auch per Handy. Etwa 200 Kundenaufträge übermitteln die Mitarbeiter täglich an die Zentrale, in Spitzenzeiten sind es auch schon einmal doppelt so viele. Dass die Aufträge tatsächlich angekommen sind und in SAP gebucht wurden, sieht der Mitarbeiter an den Antworten des SAP-Systems, die als Antwort-E-Mail wieder zurückkommen. So können gegebenenfalls auch fehlerhafte Aufträge korrigiert und erneut versandt werden. Ebenfalls per E-Mail erfolgt der Abgleich der Stammdaten.

Fehlerrate gesunkenDer unmittelbare Nutzen liegt auf der Hand: Im gesamten Bearbeitungsprozess wurde nicht nur ein kompletter Tag eingespart - statt drei bis vier dauert eine Bestellung bis zur Auslieferung höchstens noch zwei bis drei Tage. Darüber hinaus ist die Fehlerrate gesunken. Wurde in der Vergangenheit jeder Auftrag dreimal manuell bearbeitet, werden nun "90 Prozent der Aufträge innerhalb der Zentrale gar nicht mehr angefasst", erklärt IT-Leiter Zimmermann. "Die Effizienz des gesamten Arbeitsprozesses konnte so um 80 Prozent verbessert werden." Neben diesen internen Effekten fühlt sich der Kunde auch besser bedient. Zwar sind viele Bestellungen Bevorratungsaufträge und daher weniger zeitkritisch, "trotzdem ist der psychologische Nutzen hoch: Apotheker sind aufmerksame Kunden und freuen sich über jede Beschleunigung."

Auf Basis derselben Technologie entsteht zurzeit ein Apothekenportal - ein firmenintern brisantes Thema, das den Außendienstmitarbeitern auf einer Konferenz im September nahe gebracht wurde. Doch ihre Furcht davor, irgendwann durch das Internet ersetzt zu werden, ist unbegründet, bekräftigt Josef Ahmann, Geschäftsführer der Dr. R. Pfleger GmbH. "Wir wissen, dass unsere Mitarbeiter weit mehr leisten, als lediglich Bestellungen entgegenzunehmen", erklärt er. "Ihr direkter Kontakt mit den Kunden ist extrem wichtig - schließlich wird durch die persönliche Präsenz Zusatzgeschäft generiert, das einen wesentlichen Umsatzanteil ausmacht."

Das Vertrauen in die Außendienstler manifestiert sich auch technisch. Die über den Webshop eingegebenen Bestellungen gehen nämlich zunächst als E-Mail an den verantwortlichen Kundenbetreuer, der nun die Möglichkeit für Nachfragen, Hinweise und zusätzliche Angebote für seine Kunden hat, bevor er die Bestellung an die Zentrale weiterleitet. Die zeitliche Verzögerung ist gering, der Nutzen für eine reibungslose Weiterbearbeitung in der Zentrale dafür umso höher. Die Sicherheit dieser Art von Vertrieb ist ebenfalls gewährleistet: Nur Apotheken können bestellen, eine Lieferung geht immer nur an registrierte Kunden. (bi)

*Andreas Romppel ist freier Fachjournalist in Wiesbaden.

Abb: Datenfluss der Mobile-Sales-Lösung

ETS-Net ist eine Ergänzung zu R/3 und erlaubt direkte Abfragen und Buchungsvorgänge in SAP von entfernten Computern. Quelle: Romppel