Wenn das Licht angeht, schwindet die Aufmerksamkeit:

Medienschulung ersetzt nicht die Praxis

19.09.1980

MÜNCHEN- "Ende" flimmert auf dem Bildschirm. Der Film über die Installation von DOS wäre auch geschafft. Einer der vier Zuschauer im Konferenzzimmer erhebt sich langsam aus dem Sessel, zieht die Vorhänge auf, blickt müde auf seine drei Kollegen, die sich noch im Sessel räkeln. "Wie wär's mit einem Bier", fragt er in den Raum.

Das Zugucken, nach Ansicht eines Pädagogen oberste Stufe passiver Verhaltensweisen, ist absolviert. Jetzt müßte das eigentliche Lernen losgehen.

"Während die Schüler den Lehrfilm angucken, sind sie sehr konzentriert", führt der Pädagoge zu dem Thema Medien im Unterricht aus. Ähnliches wie beim Film gelte für alle Lernkonserven. Bücher, Kassetten und Filme sollen nicht nur zum angesprochenen Sinnesorgan, sondern mindestens ins Hirn, wenn nicht bis in die Hände vordringen. "Sobald aber die Darbietung vorbei ist, schlafft das Interesse total ab. "

Allein mit dem Sehen haben die Lernenden noch nicht viel verinnerlicht. Die Kunst des Lehrers bestehe nun darin, die Aufmerksamkeit wieder zu beleben, die Gedanken über den Medieninhalt im Gehirn zu bewegen, das Gesehene zu üben und einzuschleifen. Der Vorteil des Medieneinsatzes liege vor allem in der erhöhten Aufmerksamkeit zum Zeitpunkt der Darbietung. "Da bewegt sich halt mehr als nur ein Mensch", beschreibt der Lehrer seine Video-Erfahrungen. Beim Unterricht mit lebenden Personen auf beiden Seiten komme die affektive Seite des Lernens mehr zum Zuge. Lehrer und Schüler kennen sich, glauben einander, trauen sich auf eine andere Art, Fehler zu machen und könnten stärker aufeinander eingehen. "Ein Riesenpaket Lehrstoff wird dabei hin- und hergeschoben." Der Film allein ersetze nur den Lehrervortrag, den verpönten Frontalunterricht.

Unterschiedliche Auffassungen vertreten die Anwender von hör- und sichtbaren EDV-Lernhilfen bezüglich über Einsatzmöglichkeiten. "Video, Audio und Manuals eignen sich für alle Bereiche", meint der Düsseldorfer ADR-Geschäftsführer Werner K. Müller. Entschieden betont Siegfried Hortmann, Prokurist bei der Deutschen Bank AG, Eschborn, den Erfolg bei der Vermittlung von Grundlagenwissen über vorgefertigte Medien. Seit sechs Jahren arbeite das Haus zur Schulung von RZ-Mitarbeitern, von Anwendungs-Programmierern, System-Programmierern und Organisatoren mit diesen Lernhilfen. Studiert werde grundsätzlich ohne Lehrer, jedoch ordne man dem Lernenden einen fachkundigen Gesprächspartner als Mentor zu. "Die Medienschulung ersetzt in keiner Weise die Praxis." Zur Vermittlung von Basiswissen jedoch eignet sich nach Hortmanns Urteil die Methode außerordentlich gut.

Spezialwissen für Profis

Medien als Lernhilfen setzt das Volkswagenwerk zur Vermittlung von DV-Spezialwissen ein. In Gruppen von vier Teilnehmern nutzen die DV-erfahrenen Mitarbeiter wie Heinrich Gerdiken, Schulungsleiter bei VW in Wolfsburg erklärt, die Ton- und Bildbänder zur ergänzenden Ausbildung. Ein Lehrer werde nur dann gestellt, wenn der neu zu vermittelnde Lehrstoff im Inhalt sehr umfangreich sei oder den Schülern die Unterscheidung in "wesentlich und unwesentlich für die Praxis" noch fehle. "Verfugen die Lernenden über Erfahrung im Lehrgangsstoff, finden sie selbst genügend Anknüpfungspunkte, um mit der Video-Darbietung zurechtzukommen."

Wichtigstes Beurteilungskriterium für einen Fertigkurs stellt nicht nur für Gerdiken sein Praxisbezug dar. "Selbst beim DV-Einführungskurs müssen die Teilnehmer mittags am Terminal sitzen." Auf allen Lernstufen komme es entscheidend auf die praktische Übung und den Praxisbezug an. Die Tendenz zur Praxis setze sich auch langsam bei den von den Herstellern angebotenen Kursen durch. Für Spezialisten waren die Außer-Haus-Kurse nach Müllers Meinung ein Flop. "Die Leute kamen enttäuscht von IBM zurück. Sie hatten das Gefühl, nichts gelernt zu haben."

Einen völlig anderen Teilnehmerkreis spricht die Siemens AG in München mit ihrer Medienschulung an. Eine der Zielgruppen bilden die Mitarbeiter, die erstmals im Dialog am Bildschirm arbeiten. Ansichten wie "Der Bildschirm macht krank" würden ausgeräumt, die Arbeitszufriedenheit wachse. Es treten dadurch, so Klaus Schnell, verantwortlich für die Schulung in Basisinformationssystemen beim Elektronik-Konzern, weniger Gesundheitsprobleme auf. Die Abneigung gegenüber dem Bildschirm samt Computer, dem unbekannten Wesen, baue der Lehrgang

Doch stellt die Senkung der Akzeptanzschwelle nicht das einzige Lernziel der Medienschulung dar. Sprachbarrieren, die zwischen Anwendern aus der Fachabteilung und Datenverarbeitern gewachsen seien, reduziere der Kurs, indem er Verständnis für die jeweils andere Seite erzeuge. Im Basisprogramm, erläutert Schnell, bedient sich der Referent des Films als Hilfsmittel in den einzelnen Trainingssequenzen, um Aufmerksamkeit zu wecken: "Wichtig für den Lernerfolg bleibt ein geübter Trainer."

Ein Reinfall genügt

Mit der Motivation der Zöglinge gibt es beim Einsatz von Lernmedien scheinbar keine Schwierigkeiten. "Wenn ein Verkäufer beim Kunden einmal auf den Bauch gefallen ist dann ist er bereit, den Kursstoff zu lernen", erklärt Arnold Pluym, Systemberater bei der Westinghouse Management Systems, München, die Motivation der Bildungshungrigen.

Gerade bei gestandenen Leuten ist wie auch VW-Chefteacher Gerdiken meint, keine besondere Motivation erforderlich. "Die wissen, daß sie damit arbeiten müssen." Die Neuen dagegen seien schwer zu motivieren. Völlig ohne Erfahrung hätten sie keine Ahnung, worauf sie sich zu konzentrieren haben. "Das kann leicht dazu führen, daß sie die Lust verlieren" Siemens-Schnell hat die gleichen Erfahrungen gemacht: "Wenn einer muß und will, kommt er auch mit der schlechtesten Programmierten Unterweisung (PU) zurecht. Ist er aber verdonnert, die PU durchzuarbeiten, fällt der Lernerfolg sehr unterschiedlich aus".