Medienkunst auch in den Online-Diensten Internet-Projekt Technosphere faszinierte Besucher der EMAF

10.11.1995

Von Peter Steinhauer*

OSNABRUECK (CW) - Auf dem 8. European Media Art Festival (EMAF) in Osnabrueck trafen sich Medienschaffende aus den unterschiedlichsten Bereichen, um sich nicht nur ueber Experimentalfilm oder Videokunst, sondern vor allem ueber elektronische Medien zu informieren. Internet-Projekte und CD-ROM- Produktionen zogen die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich.

Schon auf der Eroeffnungsveranstaltung des Festivals hob Jochen Coldewey, Medienreferent im Niedersaechsischen Ministerium fuer Wissenschaft und Kunst, den Einfluss der Medienkunst auf innovative Technologien hervor. Auch wenn es das vorwiegend kuenstlerisch orientierte Festival vor gewisse konzeptionelle Probleme stellte, war die Verquickung von Kunst und Kommerz in einigen der vorgestellten Projekte unuebersehbar. So kann ein Stadtinformationssystem wie "De digitaale stad", Amsterdam, das urspruenglich von Kuenstlergruppen ins Leben gerufen wurde, nur durch Sponsoring oder digitale Shopping Malls ueberleben.

In faszinierender Form demonstrierte das britische Internet- Projekt "Technosphere" Perspektiven fuer interaktive virtuelle Welten. Per Computer werden fraktale Landschaften generiert, in denen sogenannte Knowbots leben. Dabei handelt es sich um virtuelle Lebensformen, die von den Technosphere-Besuchern nach Belieben definiert werden koennen. Derzeit hat man die Wahl zwischen "Carnivores" oder "Herbivores".

Wie die englischen Bezeichnungen vermuten lassen, ernaehren sich Herbivores von virtuellem Gras, waehrend Carnivores auf den Verzehr von Herbivores angewiesen sind. Das Aussehen der Kreaturen wird ueber die Auswahl verschiedener Koerperelemente gestaltet. Da das Projekt erst am 1. September 1995 gestartet wurde, beschraenkt sich die Interaktion momentan auf diese Optionen. Den weiteren Lebensweg bestimmt der Computer.

In einer Datenbank werden die "Erfahrungen" der Knowbots gesammelt. So koennte sich ein Herbivore zum Beispiel daran "erinnern", dass ihn ein bestimmter Carnivore einmal auf der Speisekarte hatte, so dass er beim naechsten Aufeinandertreffen sofort Reissaus nimmt. Informationen ueber die eigenen Geschoepfe koennen die Anwender per E-Mail anfordern. Die weiteren Plaene sehen vor, dass den Knowbots in Zukunft bestimmte Eigenschaften zugewiesen werden koennen, die sich auch waehrend der Lebensdauer manipulieren lassen. Ausserdem sollen Benutzer Geschoepfe im eigenen Rendering-Programm erschaffen und in die Technosphere hineinkopieren koennen.

Angesichts der Tatsache, dass Compuserve gerade an einer Benutzeroberflaeche in Form einer dreidimensionalen virtuellen Stadt arbeitet, ist ein Projekt wie Technosphere sicherlich nicht nur vom kuenstlerischen Standpunkt aus interessant. Zu erreichen ist es ueber http://www.lond-inst.ac.uk.

Wie der Schulunterricht von morgen aussehen koennte, zeigte das "Comenius-Projekt", Berlin. Unter Leitung der DeTeBerkom, einem Tochterunternehmen der Telekom AG, wurde ein Glasfasernetz aufgebaut, das fuenf Berliner Schulen und - als zentralen Anlaufpunkt - die Landesbildstelle miteinander verbindet. Schueler und Lehrer haben Gelegenheit, Text-, Bild-, Film- und Tondokumente abzurufen und mit Projektgruppen an den anderen Schulen auszutauschen.

Auf diese Weise koennen faecher- und schuluebergreifende Unterrichtskonzepte erarbeitet werden. Da fast alle angeschlossenen Rechner mit Kameras ausgestattet sind, koennen die Projektgruppen jederzeit Videokonferenzen abhalten. Auch dieses Projekt wurde erst vor kurzem gestartet, so dass die Beteiligten auf dem Festival noch keine konkreten Aussagen zum Erfolg machen konnten.

Diskutiert wurde auf dem EMAF 1995 darueber hinaus die Verknuepfung von CD-ROM-Technologie und Online-Verbindungen via Internet. Die Vorteile liegen auf der Hand: Grafik- und Sounddokumente, deren Uebertragung ueber das Netz zu lange dauern wuerde, koennten auf einer CD gespeichert werden. Im Gegenzug koennte die Interaktion, die auf einer CD-ROM begrenzt ist, ueber das Internet gesteuert werden. Das eroeffnet neue Perspektiven fuer virtuelle Galerien oder, um wieder auf die kommerzielle Komponente zu kommen, fuer Spielehersteller.

* Peter Steinhauer ist freier Journalist in Osnabrueck.