Mediation als Weg aus der Sackgasse

23.10.2003
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Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
Sokrates würde sich freuen. Wirtschaftsmediatoren bedienen sich seiner Fragemethode, um Konflikte zu lösen. Hierzulande begeistern sich immer mehr für die Ausbildung zum Mediator, auch wenn Unternehmen erst zögerlich die neutralen Schlichter ins Haus holen.

Was wäre, wenn sich die Konfliktparteien des Mautprojekts einen Mediator suchten? Die Vertragsparteien Toll Collect und Verkehrsministerium treffen sich am runden Tisch und versuchen, das Problem gemeinsam mit einem neutralen Dritten zu lösen. Eignet sich das verfahrene Mautprojekt für eine Mediation? Hans Uwe Neuenhahn überlegt kurz und meint: "Das wäre nach den von mir vermuteten Interessen möglich. Immerhin ist es ein komplexer Fall. Für die beteiligten Parteien steht einiges auf dem Spiel", ergänzt der Münchner Rechtsanwalt und Mediator.

Ein mögliches Ziel der Wirtschaftsmediation ist es, Konflikte und Rechtsstreitigkeiten hinter verschlossenen Türen und außerhalb von Gerichten zu lösen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Ziehen Streithähne erst einmal vor den Kadi, bleibt meistens nur noch verbrannte Erde zurück. Eine weitere Zusammenarbeit ist danach meistens unmöglich. Hohe Gerichts- und Anwaltkosten tragen auch nicht dazu bei, das Klima zwischen den Kontrahenten zu verbessern.

Offene Kommunikation fördern

Hans Uwe Neuenhahn, Mediator
Hans Uwe Neuenhahn, Mediator

Wann wird ein Mediator zu Rate gezogen? Neuenhahn empfiehlt, Mediationen für Streitfälle bereits in Projektverträgen vorzusehen. So lassen sich Auswege finden, die ohne einen neutralen Partner nicht erkannt würden. Mediationen ähneln sich im Ablauf. Allerdings setzen die Schlichter oft unterschiedliche Schwerpunkte oder beginnen das Verfahren anders. Der Jurist Neuenhahn beispielsweise liest sich vor dem ersten Treffen mit den Parteien in die Vertragsunterlagen, den Schriftverkehr und die Stellungnahmen beider Seiten oder deren Anwälte ein. Die eigentliche Mediation dauert meistens nicht länger als ein bis zwei Tage. "Die rechtlichen Fragen sind nicht immer entscheidend. Im Vordergrund stehen oft die Emotionen", weiß der Jurist aus seiner Erfahrung. Und die versucht der Mediator in den Griff zu bekommen.

Irmtraud Wolf arbeitet als Wirtschaftsmediatorin hauptsächlich für die IT-Branche. Ihre Schwerpunkte sind Veränderungsprozesse im Zuge von Fusionen, Unternehmensnachfolge oder Konsolidierung. Aber auch Konflikte zwischen Abteilungen, Projektteams oder zwischen Dienstleistern und Kunden. "Gleichheit ist oberstes Prinzip. Ich sammle vorab nur wenige Informationen, denn die Unterlagen der jeweiligen Partei sind möglicherweise nicht neutral."

Während einer Unternehmensfusion kann es passieren, dass Führungspositionen doppelt besetzt sind. "Das ist ein typischer Konflikt", erzählt die Kölner Mediatorin. Sie klärt mit den Parteien beispielsweise, wie sich jetzt Kompetenzen verändern, was es für einen betroffenen Manager bedeutet, plötzlich weniger Budget oder Mitarbeiter im Team zu haben oder neue Aufgaben zu übernehmen.

Irmtraud Wolf, Mediatorin
Irmtraud Wolf, Mediatorin

Beide Verfahren haben ihre Vorteile. Während Wolfs Methode den Beteiligten erlaubt, den Konflikt von Grund auf im Gespräch zu schildern, ist es in den USA in der Wirtschaftsmediation üblich, dass die Schlichter die Aktenlage kennen, da das Verfahren sonst zu teuer wird. Beide Seiten bräuchten anderenfalls mitunter Tage, um in Anwesenheit ihrer Anwälte ihre Sichtweise zu erläutern.

Eine Mediation durchläuft unterschiedliche Phasen. Der Schlichter erklärt anfangs den beiden Parteien die Spielregeln. Eine wichtige Voraussetzung ist die Freiwilligkeit. Sind die Kontrahenten mit dem Procedere einverstanden, schließen sie ein Arbeitsbündnis und unterzeichen einen Mediationsvertrag mit festen Regeln. Dazu gehört etwa die Vereinbarung von Fairness, Vertraulichkeit und Offenheit. Anschließend stellt jede Seite ihr Verständnis des Konflikts vor, der Mediator fasst das Gesagte nochmals zusammen, fragt nach, hält wichtige Punkte fest.

Entscheidend für das Ergebnis ist die dritte Phase. Jetzt kommt es darauf an, die Positionen beider Seiten zu hinterfragen, Interessen zu klären und die Motive hinter dem eigentlichen Streit zu finden. Entscheidend für den Erfolg ist ein umfassendes und differenziertes Interessenprofil. Die Kontrahenten näheren sich schrittweise an, sprechen idealerweise offen über ihre Motive, formulieren die gemeinsamen Interessen und richten den Blick von der Vergangenheit in die Zukunft.

In der vierten Phase geht es um Lösungsalternativen. Eine beliebte Methode ist hier die Brainstorming-Technik, die auf kreative Ideenfindung abzielt. "Was sich aus dieser Materialsammlung umsetzen lässt und welche Aspekte sinnvoll sind, entscheiden beide Seiten anschließend", so Ulla Gläßer, die von Berlin aus als Anwältin und Mediatorin arbeitet.

In den Vereinigten Staaten und Großbritannien hat sich die Methode des gütlichen Schlichtens bereits einen festen Platz erobert. Hierzulande wächst das Interesse erst langsam, aber stetig. Zahlreiche Ausbildungsmodelle vom Wochenendkurs bis zum Master-Studium entstehen. Schwerpunkte der Ausbildung und spätere Arbeitsfelder der Mediatoren bieten beispielsweise die Wirtschaft, IT-Branche, Politik, Umweltfragen oder Wissenschaft.