mischung aus maschinenbau, elektronik und informatik

Mechatroniker - die neuen Wunderkinder

01.07.1999
Die Mechatronik ist im Kommen. Nicht nur im Maschinenbau, in fast allen Herstellungsbranchen werden künftig Fachleute benötigt, die interdisziplinär denken und im Team arbeiten können. Mechatroniker sind solch multifunktionale Entwicklungs- und Montagespezialisten.

"KEINE NÄHMASCHINE kommt mehr ohne Elektronik aus. Egal, ob ich eine einfache Küchenmaschine konstruiere oder komplizierte Aufgaben im Fahrzeugbau lösen muß, ohne Fachkenntnisse sowohl in Elektrotechnik, als auch in Maschinenbau und Ingenieursinformatik geht das heute nicht mehr." Rainer Höckels weiß, wovon er spricht. Er gehört zu den ersten deutschen Diplomingenieuren der Fachrichtung Mechatronik. Auf internationalem Feld ist "Mechatronics", die Schnittmenge aus "Mechanics" und "Electronics", nichts Neues.

Als Vertiefungsfach für Maschinenbauer ist die Mechatronik auch an deutschen Hochschulen bekannt. Doch inzwischen ist der reinste Qualifizierungsboom für die technische Querschnittsdisziplin ausgebrochen: Immer mehr Fachhochschulen und Universitäten bieten das Studienfach an. Allein 15 universitäre Ausbildungsstätten im deutschsprachigen Raum hat Dirk Soeffker von der Uni Wuppertal zusammengestellt (www.wssrm86.site.uni-wuppertal.de/mechatronik/uebersicht1. htm). Berufsakademien entdecken das Feld; seit Herbst 1998 können sich Auszubildende in einer dreieinhalbjährigen Lehre auf den Beruf Mechatronik vorbereiten.

15 Hochschulen mit Mechatronik-Ausbildung

Wenn Höckels im Sommer das Studium an der FH Niederrhein abschließt, gehört er in einem weiteren Sinn zu den Pionieren: Als Absolvent eines europäischen Studiengangs erhält er zwei Diplome: ein deutsches und ein niederländisches. Zum Wintersemester 1995 hat die Hochschule in Krefeld mit der Hogeschool im holländischen Venlo das grenzüberschreitende Mechatronik-Studium auf den Weg gebracht (Detailinformationen unter: www. fh-niederrhein.de/fb03). Der Anstoß kam aus der Wirtschaft, berichtet der Dekan des Fachbereichs Elektrotechnik & Informatik, Professor Rainer Wallnig. Der Maschinen- und Anlagenbau hat in der Region Tradition, und über Euregio-Projekte haben die deutsche und die niederländische Industrie schon früh grenzübergreifend zu denken gelernt.

Das kommt den rund 20 Studenten pro Semester zugute, die inzwischen das europäische Mechatronikstudium wählen, bestätigt Höckels. Im fünften Semester müssen alle Studenten in die betriebliche Praxis, möglichst im Partnerland. Auf keinen Fall dürfen sie ihr Praktikum in einem Land machen, in dem die eigene Muttersprache gesprochen wird. Niederländisch, Deutsch und Englisch sind Pflichtsprachen, die Theoriesemester finden im Wechsel in Krefeld und Venlo statt.

Die Abstimmung des Stoffes zwischen den beiden Lehranstalten "hat hervorragend funktioniert", lobt Diplomand Höckels, der gleich nach dem Abitur ohne weitere technische Vorkenntnisse an der FH begann.

Am Ende des vierjährigen Studiums sollen die Ingenieure ganzheitliches mechatronisches Systemdenken beherrschen. Das setzt die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit Fächern wie Anlagenautomatisierung/Prozeßsteuerung, System-Engineering/Projekt-Management, Mikrosystemtechnik, Robotik und Simulationstechnik voraus.

Die Erfahrungen des Projekts Krefeld/Venlo liefern gute Grundlagen für die Suche nach Qualifikationsstandards für diese junge Disziplin. Lehrende aus 19 Ländern machten beim "1-st International Workshop on Education in Mechatronics" im März in Bochum erste Schritte auf diesem Weg.

Bei der Jobsuche hat Höckels die Erfahrung gemacht, "daß man den Firmen zunächst erklären muß, was alles hinter dem Begriff Mechatronik steckt. Dann sind sie aber begeistert, weil ohne Computer und ohne Elektrotechnik nichts mehr geht im Maschinenbau." Das gilt nicht nur für die Produktion: "Ich werde Beamter", sagt Höckels mit einem Schmunzeln, "und übernehme eine Führungsaufgabe bei der Feuerwehr." Denn auch dort funktioniert inzwischen alles computerunterstützt - von den Löschfahrzeugen bis zu den Kleinstgeräten.

Azubis als Konkurrenz für Hochschüler?

Dem Mechatroniker ist nicht bange, daß er und seinesgleichen von den - billigeren - in Lehrberufen ausgebildeten Kollegen verdrängt werden könnten, sobald sich in drei Jahren die ersten bewerben. Höckels: "Wir Diplomingenieure werden auf jeden Fall gebraucht - für den ganzen Bereich der Entwicklung und schließlich auch als Ausbilder der Facharbeiter. Möglicherweise müssen wir aber aufpassen, daß unser Gehaltsniveau nicht auf das von Technikern gedrückt wird."

Im vergangenen Herbst haben fast 1500 Azubis mit der Ausbildung in der Multidisziplin Mechatronik begonnen. Schon die veranschlagte Lehrzeit von dreieinhalb Jahren zeigt, daß es sich um eine anspruchsvolle Lehre handelt (mehr zum Berufsbild unter www.bibb.de/berufe/neuordng.htm). Ohne guten Realschulabschluß oder Abitur ist ein Ausbildungsplatz nur schwer zu bekommen. Bei den Vorgesprächen mit der Industrie hat Hans Borch vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) die Erfahrung gemacht, daß manche Betriebe grundsätzlich nur an Bewerbern mit Hochschulreife interessiert sind, andere dagegen keinesfalls Abiturienten wollen. Der scheinbare Widerspruch ist schnell geklärt: Einige Firmen haben die Sorge, daß junge Leute mit Hochschulreife nach der Lehre an die Universität gehen - und sie ohne qualifiziertes Fachpersonal zurückbleiben. Andere nehmen das Risiko in Kauf, weil für sie volljährige Azubis besser in den Betriebsablauf passen.

Bildungsexperte Borch kann sich vorstellen, daß Betriebe die Abwanderung von gelernten Mechatronikern an die Hochschulen stoppen können, wenn sie den Facharbeitern attraktive Jobs in der technischen Sachbearbeitung anbieten.

Vereinfacht gesagt, lernen die Mechatroniker in Betrieb und Berufsschule zunächst, wie die von ihren diplomierten Kollegen entwickelten Anlagen, Maschinen und Systeme - vom Toaster über den Industrieofen für die Keramikherstellung bis zum Roboter - zusammengebaut und instandgehal- ten werden. Konkret heißt das bei der Rheinischen Bahngesellschaft in Düsseldorf, daß die Mechatroniker für Wartung, Instandhaltung und Reparatur von Bahnen und Bussen zuständig sind. U-Bahn-Anlagen und -Wagen sind mechatronische Systeme, die nur dann reibungslos funktionieren, wenn elektrische, elektronische, pneumatische und hydraulische Steuerungsfunktionen aufeinander abgestimmt sind.

Industrie gab Anstoß für neues Berufsbild

Ganz anders zugeschnitten ist das Tätigkeitsprofil der Mechatroniker bei der Siemens AG in München. Nach einer Phase der Grundlagenvermittlung spezialisieren sich die Lehrlinge auf eines von drei Einsatzgebieten. Bei der Produktion von Bestückungsautomaten sind die Facharbeiter für Montage, Inbetriebnahme und Endprüfung zuständig. Im Bereich Anlagenbau und technische Dienstleistung bauen sie Kfz-Zubehör zusammen und testen dessen Funktionstüchtigkeit. In der Halbleiterproduktion liegt der Schwerpunkt schließlich bei Wartung und Inbetriebnahme von Anlagen zur Chipfertigung. Der Anstoß für das duale Berufsbild ging von der Maschinenbauindustrie aus. Inzwischen kommt aber kaum noch eine Fertigungsbranche, von den Bierbrauern über die Kraftwerksbetreiber bis zu den Walzwerkunternehmen, ohne komplexe Anlagen aus. Ein zukunftsträchtiges Arbeitsfeld für alle Mechatroniker, ob dual ausgebildet oder mit Diplom.

*Helga Ballauf ist freie Journalistin in München.