Unix-Wissen wird immer stärker nachgefragt

MCSE auf dem Rückzug: Personalberaterin prognostiziert Trendwende

22.09.2000
Wie sehr der deutsche Arbeitsmarkt von internationalen Produktkonzentrationen abhängig ist, zeigt das Beispiel Microsoft. MS-Produkte waren und sind nicht nur im privaten, sondern auch im wirtschaftlichen Umfeld die beherrschenden Systeme und Anwendungen. In den Unternehmen wurden hierfür personell hohe Kapazitäten aufgebaut und die gesamte Infrastruktur darauf ausgerichtet. Von Gabriele Kernwein*

In keiner anderen Branche besteht seitens der Unternehmen wie auch bei Privatleuten eine derart massive Produktabhängigkeit wie in der IT. Die Konzentration in der Softwareindustrie, die in den letzten Jahrzehnten erfolgte, hat zahlreiche Auswirkungen, die derzeit besonders im IT-Arbeitsmarkt zu spüren sind. Bisher wurde die starke Abhängigkeit des Arbeitsmarkts von den jeweils marktbeherrschenden Produkten kaum thematisiert. Wäre hier gründlichere Marktbeobachtung und Marktprojektion betrieben worden, gäbe es heute sicher keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Windows-NT-Administratoren oder MCSEs (Microsoft Certified Systems Engineer), sondern die Arbeitsämter und Ausbildungsinstitute hätten sich vielmehr bereits vermehrt auf Unix-Administratoren und Oracle-Fachleute konzentriert.

Seit Anfang 2000 ist eine Trendumkehr festzustellen. Dies hat mehrere Ursachen. Zum einen hat Microsoft 1997/98 den Händlern die Auflage gemacht, MS-Betriebssysteme nur in Kombination mit dem MS-Browser zu verkaufen beziehungsweise auf den Rechnern vorzuinstallieren. Unternehmen, aber auch PC-Freaks fühlten sich unter Druck gesetzt und begannen sich nach Alternativen umzusehen. Zum anderen sind die Anwender schon länger nicht mehr voll von der Qualität der MS-Produkte und damit der Stabilität der Systeme überzeugt. Häufig nahmen Wartungs- und Pflegeaufwand deutlich zu.

Von den boomartig auf den Markt drängenden neuen Internet-Unternehmen, die stabile, sichere und leistungsfähige Systeme benötigen, wurden MS-Produkte deshalb kaum noch eingesetzt. Damit entgehen Microsoft erhebliche Marktanteile in den neuen E-Commerce-Märkten. Zudem fühlen sich die Anwender durch das seit 1998 laufende kartellrechtliche Verfahren irritiert, dessen Ausgang in den USA immer noch ungewiss und das inzwischen auch in Europa anhängig ist. Es gibt Ängste und Unsicherheiten, ob im Falle einer Zerschlagung die Wartung und Pflege der Produkte noch zufrieden stellend gewährleistet werden kann.

Diese Faktoren gaben den Ausschlag dafür, dass Unix mit allen Derivaten - insbesondere für den Home-User mit dem kostenlosen Linux - innerhalb der vergangenen 18 Monate seinen Marktanteil massiv ausweiten konnte. Gleiches gilt für den Datenbankhersteller Oracle. So ist seit Ende letzten Jahres eine starke Nachfrageverschiebung von NT- zu Unix- und Oracle-Experten zu spüren. Die heiße Phase der kartellrechtlichen Probleme von Microsoft und der große Erfolg von Internet-Unternehmen und Providern haben die Nachfrage nach Unix- und Oracle-Fachleuten zusätzlich angeheizt. Dies wirkt sich zunächst auf die Gehälter aus. Konnte man einen qualifizierten Unix- oder Oracle-Mitarbeiter Ende 1999 noch für rund 100000 Mark anheuern, liegen die Forderungen heute nicht unter 120000 Mark. Zudem sind von 50 angesprochenen Unix-Experten maximal zwei bereit, über eine berufliche Veränderung überhaupt nachzudenken.

Solche Gehaltsstrukturen führen auch firmenintern zu äußerst schwierigen und kostenintensiven Situationen. Der möglicherweise weniger qualifizierte neue Mitarbeiter verdient 25 Prozent mehr als sein bereits etablierter Kollege. Vor allem die großen Anwenderunternehmen wie beispielsweise Banken, Versicherungen und sonstige Dienstleister stehen vor einer schwierigen Entscheidung. Entweder sie halten die Gehälter für neue Mitarbeiter auf dem gewohnten Niveau und laufen dann Gefahr, auf lange Sicht kein neues Personal zu finden, oder sie passen die Gehälter ihrer bisherigen Mitarbeiter an deren aktuellen Marktwert an. Je nachdem, wie groß die Not ist, sind diese Unternehmen früher oder später sowieso bereit, höhere Belastungen auf sich zu nehmen. Nur wenige werben unerfahrene Mitarbeiter an, um diese über einen längeren Zeitraum ihren Anforderungen gemäß selbst auszubilden. Eher ist man bereit, einmalige Aufwendungen wie beispielsweise eine Antrittsprämie zu zahlen.

Es stellt sich die Frage, wie sich dieser hohe Bedarf an Oracle- und Unix-Experten kurz- und mittelfristig decken lässt. Viele Quereinsteiger haben ein großes Interesse daran, in aussichtsreiche und attraktive Berufe zu wechseln. Doch hinkt hier das Qualifizierungs- und Fortbildungsprogramm sowohl der Arbeitsämter als auch der privaten Ausbildungsinstitute noch hinterher. So werden momentan Quereinsteiger für NT-Jobs ausgebildet, obwohl das Angebot an NT-Fachkräften die Nachfrage schon jetzt übersteigt.

*Gabriele Kernwein ist Personalberaterin in Bad Homburg.