Beim neuen Personalausweis steht kontrollierter Zugriff gegen Gesinnungsschnüffelei, Teil 1:

Maschinenlesbar: DV-Systemleistung kann Grundrechte sichern

19.04.1985

ROSENHEIM - Maschinenlesbar: das neue Attribut des Bundespersonalausweises löst häufig Angst vor dem "gläsernen Bürger" aus. Nicht die automatisierte Datenerfassung durch die Polizei jedoch wird Orwellsche Visionen verwirklichen. Gefahr besteht indes, betont Dr. Horst Herold, ehemaliger Chef des Bundeskriminalamtes, durch undichte interne Datenkanäle sowie mangelnde rechtliche Verankerung der Zugriffsbefugnis.

Der Paß oder der Bundespersonalausweis bilden die Arbeitsgrundlage für zwei voneinander verschiedene polizeiliche Tätigkeiten: die Indentitätsfeststellung von Personen und die Fahndung, unterteilt in die Personenfahndung - die Suche nach flüchtigen Tatverdächtigen, und die Sachfahndung - die Suche nach Sachen, insbesondere nach gestohlenen oder abhandengekommenen Personalpapieren.

"Identitätsfeststellung bedeutet die Vergewisserung, welche Personalien (nach ° 111 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) sind dies: Vor-, Familien- und Geburtsname, Beruf, Wohnort, Anschrift, Staatsangehörigkeit) eine bestimmte Person hat", so Martin-Samper, Anmerkung zu Artikel 12 Bayrisches Polizeiaufgaben-Gesetz (BayPAG). Inhaltlich ist der Begriff der "Identitätsfeststellung sonach auf den der "Personalienfeststellung" eingeschränkt. Die Identitätsfeststellung vergleicht die kontrollierte Person mit den Personalien des vorgezeigten Ausweispapieres, während Personen- und Sachfahndungen danach fragen, ob die Person oder der Ausweis polizeilich gesucht wird. Fahndungen vergleichen den Ausweis mit den Fahndungsausschreibungen, früher mit den Fahndungsbüchern, nunmehr mit den elektronischen Fahndungsdateien."

Der Begriff der Fälschungssicherheit ist für beide Bereiche von Bedeutung, der Begriff der Maschinenlesbarkeit nur für den Bereich der Fahndung. Nur im Rahmen der Fahndung stellt sich die Alternative, ob der Vergleich Ausweis- Fahndungscomputer durch Eintippen oder durch Maschinenlesung erfolgen soll. Die Probleme, die Diskussion im Personalausweis vermutet, liegen in Wahrheit im Bereich der Fahndung.

Bundes- und Länderrechte gestatten Personalienfeststellungen von Personen in drei voneinander verschiedenen Rechtsbereichen:

- nach Bundesrecht Strafprozeßordnung (StPO) im Rahmen der Strafverfolgung; Eingriffsvoraussetzung ist der Verdacht,

- nach den Landesrechten (Polizeigesetzen) zur Abwehr von Gefahren; Eingriffsvoraussetzung ist die Gefahr;

- nach Bundesrecht für den Grenzbereich in doppelter Weise: zur Gefahrenabwehr im Grenzbereich, inhaltlich gleichlautend mit dem Polizeirecht der Länder, und zu Grenzkontrollzwecken, ohne daß ein Verdacht oder eine Gefahr vorzuliegen braucht.

Auf einen Nenner gebracht: Nur an den Bundesgesetzen sind routinehafte Massenkontrollen zulässig; im Binnenland bedarf es spezieller, auf Verdacht oder Gefahr gegründeter Anlässe.

Im Rahmen der Strafverfolgung gestattet ° 163 b StPO die Überprüfung eines Verdächtigen (zum Beispiel: Es klirren Fensterscheiben, Polizist sieht einen Mann rasch davonlaufen). Nichtverdächtige dürfen nach ° 163 c StPO kontrolliert werden, wenn es der Aufklärung von Straftat en dient (zum Beispiel: der Flüchtende ließ sich nicht mehr ergreifen, rief jedoch einem Passanten etwas zu).

Darüber hinaus ist die Überprüfung bei jedermann möglich, wenn ein Richter - bei Gefahr im Verzuge auch der Staatsanwalt oder sein Hilfsbeamter - wegen einer terroristischen Tat - Schwerkriminalität, Mord oder Geiselnahme - zur Ergreifung der Täter oder zur Sicherstellung, von Beweismitteln die Errichtung von Kontrollstellen auf öffentlichen Straßen angeordnet hat ( ° 111 StPO). Faktisch wird dadurch die sonst nur an den Bundesgrenzen zulässige Massenkontrolle auf begrenzte Zeit in begrenzten Bereichen des Binnenlandes durchgeführt.

Im Rahmen des Polizeirechts sind Identitätsüberprüfungen grundsätzlich nur zur Abwehr von konkreten Gefahren (das sind auch: drohende Straftaten) sowie an gefährdeten Orten oder Objekten gegen Personen zulässig, von denen solche Gefahren ausgehen. Vergleichbar hierzu für alle Landesrechte: Artikel 12 BayPOAG. Einzelne Landesrechte, so zum Beispiel Artikel 12 BayPOAG, erlauben die Einrichtung von Kontrollstellen zur Verhütung schwerer Straftaten der in ° l00 a StPO genannten Art. Diese Kontrollstellen sind, anders als ° 111 StPO, wo eine schwere Straftat geschehen sein muß, ereignisunabhängig und ausschließlich Mittel der Gefahrenabwehr.

Das Gesetz über den Bundesgrenzschutz räumt in einem dreißig Kilometer breiten Streifen entlang der Bundesgrenzen - Bayern ausgenommen -, dem Bundesgrenzschutz ähnlich gestaltete Polizeirechte zur Abwehr von Gefahren ein, die den Bundesgrenzen drohen. Kontrollstellenbefugnisse besitzt der BGS in diesem Grenzstreifen nicht.

Das Gesetz überträgt dem BGS wahrgenommen durch den Grenzschutzeinzeldienst, der seine Aufgaben jedoch überwiegend der Bayerischen Grenzpolizei und dem Zoll delegiert hat -, das Grenzkontrollrecht, also die "Grenzfahndung", ° 1 Nr. 2 BGS-Gesetz, und die Überprüfung der Grenzübertrittspapiere" bei jedermann, ° 2 Nr. 2a BGS-Gesetz.

Der Verdacht einer Straftat oder einer Gefahr brauchen bei der Ausübung des Grenzkontrollrechtes nicht vorzuliegen. Zirka 80 Prozent aller polizeilichen Indentitätsfeststellungen werden in Ausübung des Grenzkontrollrechts vorgenommen.

Die Strafprozeßordnung spricht ganz allgemein von den "zur Feststellung der Identität erforderlichen Maßnahmen", ° 163 b StPO, Im Polizeirecht, so beispielsweise in Artikel 12 BayPOAG, wird diese Formulierung wiederholt, jedoch durch eine ausdrückliche Erläuterung ergänzt, wonach die Polizei den Betroffenen "anhalten, ihn nach seinen Personalien befragen und verlangen (kann), daß er mitgefühlte Ausweispapiere zur Prüfung aushändigt".

Nach allgemeiner Meinung gilt diese Stufenfolge, die nach dem Grundstatus der Verhältnismäßigkeit der jeweiligen Sachlage anzupassen ist, auch im Strafprozeßrecht, in allen Polizeirechten (auch dort, wo nicht ausdrücklich in dieser Stufenfolge genannt) und für das Gefahrenabwehrrecht des Bundes. Dagegen genügt die Befragung nach den Personalien nach dem Grenzkontrollrecht des Bundes nicht. Dort spricht ° 17 Bundesgrenzschutzgesetz (BGS) davon, daß jedermann beim Grenzübertritt angehalten werden kann. "Mitgeführte Ausweis- und Grenzübertrittspapiere müssen vorgezeigt und ausgehändigt werden".

Im Binnenland ist die Polizei in der Wahl der Mittel zur Personalienfeststellung frei; Praktisch liefert jedoch das Ausweispapier die am wenigsten einschneidende, also verhältnismäßige Identifizierungsgrundlage.

Zu den "Ausweispapieren" in Sachen der Gesetze zählen nicht nur der Paß und der Bundespersonalausweis, sondern alle amtlichen Urkunden, die zu dem Zweck ausgestellt sind, die Personalien zu belegen, also Ausweise mit Lichtbild. Niemand braucht Ausweispapiere oder gar bestimmte Ausweispapiere bei sich zu haben, auch nicht den amtlichen Bundespersonalausweis; Ausnahme: Mitführen des Führerscheines nach ° 4 Straßenverkehrsordnung( (StVZO). Jedermann setzt sich jedoch Erschwernissen aus, wenn er im Kontrollfalle keine Ausweispapiere vorweisen kann.

Für den Grenzübertritt wird die Ausweisfreiheit eingeschränkt, nach ° 1 Paßgesetz (PaßG) besteht für Deutsche und Ausländer der Paßzwang. Der Reisepaß ist Grenzübertrittspapier sowie Aufenthaltspapier für Deutsche im Ausland und für Ausländer im Inland, Zwischenzeitlich wurden zahlreiche Paßersatzformen zugelassen, insbesondere nach den zwischenstaatlichen Vereinbarungen der Bundespersonalausweis, den jeder Deutsche über 16 Jahre nach dem Gesetzt über Personalausweise besitzt, aber nicht führen muß. Der ursprünglich nur für das Inland vorgesehene Personalausweis wird dadurch mehr und mehr zum Grenzübertrittspapier. Der Reisepaß ist dort, nötig, wo ein anderer Staat, zur Einreise einen Sichtvermerk verlangt. Der Paß soll, wie das Bundeskabinett am 5. Februar 1985 beschloß, künftig auch eine fälschungssichere und maschinenlesbare Seite für die Personalien enthalten.

Im Binnenland nimmt der Personalausweis eine dominierende Stellung ein. Er ist die einzige Indentifizierungsurkunde, die nach einheitlichen Rechtsgrundlagen für alle Bürger ausgestellt wird und nicht nur für Einzelbereiche gilt (zum Beispiel Studentenausweis, Dienstausweis etc.). Ihm wird im privaten Rechtsverkehr, etwa Banken oder vor Notaren, ein

ähnlich hoher Beurkundungswert, zugemessen wie bei den Behörden.

Der innere Grund für die Präferenz des Bundespersonalausweises liegt in der ihm innewohnenden tatsächlichen Vermutung der Echtheit, Vollständigkeit und Richtigkeit. Vom Personalausweis wird angenommen, daß er ausweist, das heißt, die Personalien belegt, beglaubigt und beweist, Es wird unterstellt, daß er identifiziert und legimitiert. Es gehört zum Wesen eines Ausweises, daß er echt ist.

Wenn die Personalien nicht festgestellt werden können oder den Ausweispapieren keine Identifizierungswirkung zukommt, etwa, weil der Verdacht besteht, daß sie unecht sind, gewähren die Strafprozeßordnung, die Polizeigesetze der Länder und das BGS-Gesetz der Polizei empfindliche, im wesentlichen übereinstimmende Eingriffsrechte. Der Betroffene kann festgehalten oder zur Dienststelle mitgenommen werden, es kann ihm bis zur Dauer von 12 Stunden die Freiheit entzogen werden (° 163 c), er und seine Sachen können durchsucht werden, an ihm sind erkennungsdienstliche Maßnahmen zulässig (Lichtbilder, Fingerabdrücke, Messungen; vergleiche °° 163 b, 163 c, 1 1 1 StPO, 17-21 BGS-Gesetz, zum Beispiel Artikel 12,13 BayPOAG).

Je mehr der Legimitations- und Identifizierungswert eines Ausweispapieres gemindert ist, desto eher muß die Polizei auf Zwangsmaßnahmen ausweichen. So kommt zum Beispiel dem leicht fälsch- und verfälschbaren Führerschein, der in den unterschiedlichsten Ausführungen im Umlauf ist, nur noch ein reduzierter Identifizierungswert zu. Bei Personen, die nur den Führerschein vorweisen, muß die Polizei heute weitere, außerhalb des Führerscheins liegende Umstände zur Identifizierung heranziehen, so den Kraftfahrzeugschein. Minderung des Legitimationswertes drohen auch dein Bundespersonalausweis. 13 000 Blanko - ausweise und 4000 Hilfsmittel zur amtlichen Ausweisausgabe, wie Stempel, Prägestöcke, Ösen, Zangen, wurden entwendet (Baader schon 1971: "Die RAF braucht ihr eigenes Paßamt"). 475 000 Bundespersonalausweise sind als abhandengekommen oder gestohlen gemeldet. Es ist nicht abschätzbar, wie viele Ausweise in verfälschter Form mißbräuchlich benutzt werden. Im Bereich der Totalfälschungen existiert ein nicht quantifizierbares Dunkelfeld.

Nach heutiger Rechtsauflassung dürfte außer Streit stehen, daß der Staat, dort wo er der Exekutive Zwangsrechte gegenüber einzelnen einräumt, verpflichtet ist, alle tatsächlichen und rechtlichen Vorkehrungen zu treffen, um solche Zwangseingriffe auf Ausnahmen zu beschränken. Im Rahmen der Identitätsfeststellung bedeutet dies, daß der Staat den von ihm ausgegebenen Personalpapieren den Legitimations- und Beweiswert zu sichern, das heißt, daß er sie fälschungssicher zu machen hat.

Demgegenüber wenden die Gegner der Fälschungssicherheit, ein: Ausweise könnten durch Täuschung der Behörde einem Unberechtigten ausgestellt, total gefälscht, von Gleichaussehenden mißbräuchlich benutzt oder durch ausländische Papiere ersetzt werden. Die Fälschungssicherheit komme unverhältnismäßig teuer und diene offensichtlich nur als Durchsetzungs- und Akzeptanzvehikel für die gefährliche Maschinenlesbarkeit. Von keiner Seite wird jedoch behauptet, die Fälschungssicherheit griffe in Grundrechte des Bürgers ein oder schade ihm sonst in irgendeiner Weise.

Die öffentliche Diskussion geht auf die Einwände detaillierter ein. In Kürze läßt sich sagen: Ausweisausstellungen, die durch Falschbeurteilungen erschlichen werden, kommen wegen des für eine "Legende" notwendigen, hohen Aufwands für gefälschte Antragsunterlagen praktisch nicht mehr vor. Die bisher üblichen Verfälschungstechniken (Lichtbildtausch oder Buchstabenmanipulation) entfallen, da nach dem heutigen Stand der Urkundentechnik der Bundespersonalausweis in der vorgesehenen Form nicht verfälschbar ist. Totalfälschungen, die auf dem Niveau der Banknotenfälschung liegen müßten, könnten nur noch von entsprechend ausgestatteten Nachrichtendiensten hergestellt werden. Die Falsifikate wären jedoch durch Prüfgeräte, ähnlich denen, die bei den Zentralbanken zur Banknotenprüfung eingesetzt sind, relativ leicht zu erkennen. Die Aufgaben der Echtheitsprüfung und der Maschinenlesung ließen sich in einem kombinierten Lese- und Prüfgerät vereinen. Der mißbräuchlichen Benutzung eines fälschungssicheren Ausweises durch ähnlich aussehende Personen steht ein hohes Entdeckungsrisiko entgegen: bei einem gestohlenen oder verlorenen Ausweis greift die automatisierte Sachfahndung ein bei Ausweisüberlassungen durch Mittäter oder Gehilfen müssen diese befürchten, daß sie sich selbst enttarnen.

Die Suche nach unbekannten Personen, zum Beispiel noch unbekannten Straftätern oder nach noch unbekannten Sachen ist ein Teil der Tataufklärung und Ermittlung, die einer Fahndung vorausgeht. Unter Fahndung wird dagegen die systematische und gezielte polizeiliche Suche nach namentlich bestimmten Personen und eindeutig beschreibbaren Sachen verstanden.

Die Fahndung gehört zum Bereich der Strafverfolgung; nur in einigen wenigen, später noch gesondert hervorzuhebenden Fällen dient die Fahndung auch der Gefahrabwehr, also dem Polizeirecht.

Soweit der Bundespersonalausweis die Kontrollbasis liefert, bedeutet Fahndung den Vergleich der Personalien oder der Sachbeschreibung mit den polizeilichen Fahndungsbeständen, das heißt, den Vergleich des Ausweises mit der elektronisch geführten Fahndungsdatei. Nur im Rahmen der Fahndung ist es von Bedeutung, ob der Abgleich durch "Eintippen" von Hand oder durch "Maschinenlesung" erfolgt.

Die °° 112, 131 der Strafprozeßordnung bezeichnen zwar die Voraussetzungen der Untersuchungshaft, des Haftbefehles und des richterlichen "Steckbriefes", wenn "der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält", gehen aber auf die Art und Weise des Fahndungsablaufes und der Fahndungshilfsmittel zur Suche nach den in der Bundesrepublik rund 60 000 flüchtigen Tatverdächtigen nicht ein. Auch ° 1 Absatz 1 Nr. 2 b BGS-Gesetz spricht nur von der "Grenzfahndung", erläutert aber nicht, was darunter zu verstehen ist und wie sie ablaufen soll. Welche Fahndungshilfsmittel (Fahndungsbücher, Nachrichtenblätter und das INPOL-System) der Polizei zur Verfügung stehen und wie eine Fahndungsausschreibung geschäftsmäßig zu behandeln, wird nicht vom Gesetz, sondern dienstrechtlich von den Nr. 39 - 43 der sogenannten "Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren" beschrieben.

Die Sachfahndung wird weder von f der Strafprozeßordnung noch von den Richtlinien für das Strafverfahren erwähnt, obwohl sich aus dem Ermittlungs- und Strafverfahren die Nebenpflichten ergibt, systematisch nach bestimmten Sachen zu suchen, die für Straftaten gebraucht oder durch sie erlangt oder hervorgebracht wurden, die in strafbarer Weise abhandengekommen sind oder als Beweismittel von Bedeutung sind.

Nach dem Polizeirecht sind Sachen zu suchen, wenn von diesen eine Gefahr ausgeht, zum Beispiel bei Giften, Sprengstoffen, Seuchenträgern. Die INPOL-Sachfahndungsdatei enthält zur Zeit zirka zwei Millionen Gegenstände.

In einer sehr allgemeinen Aufgabenzuweisung bestimmt ° 2 Abs. 1 Nr. 1 Bundeskriminalamt (BKA)- Gesetz (BKAG), daß das BKA "als Zentralstelle" verpflichtet sei, "alle Nachrichten und Unterlagen für die polizeilichen Verbrechensbekämpfung zu sammeln und; auszuwerten", worunter die Praxis auch die Nachrichtensammlung für Personen- und Sachfahndungszwecke und die Bereitstellung der Fahndungshilfsmittel versteht. Insoweit ist das BKA "auch Zentralstelle für den elektronischen Datenverbund zwischen Bund und Ländern". Da der Gesetzgeber auf eine detaillierte Beschreibung der Fahndungsabläufe verzichtet, war die Polizei gehalten, in einer polizeiinternen Polizeidienstvorschrift (PDV) 384.1., die von den Innenministern von Bund und Ländern , bundeseinheitlich in Kraft gesetzt , wurde, die gesetzlichen Lücken dienstrechtlich selbst zu schließen.

Heute dürfte feststellen, daß die wenigen, auf Teilbereiche beschränkten und sehr allgemein gehaltenen Gesetzesbestimmungen für das Fahndungswesen den von Verfassungsgericht zur sogenannten "Wesentlichkeitstheorie" erarbeiteten Grundsätzen der Normenklarheit, Bestimmtheit, Berechenbarkeit sowie den ans dem "informationellen Selbstbestimmungsrecht" entspringenden Anforderungen an die bereichsspezifische Präzision von Eingriffsnormen nicht mehr entsprechen. Die verschärften Anforderungen an die formelle Gesetzlichkeit machen, wie das Verfassungsgericht mehrfach hervorgehoben hat, das polizeiliche Handeln nicht unzulässig die -gewandelten Anschauungen ausbieten aber eine Neuregelung durch den Gesetzgeber, dem dafür ausreichend Zeit zur Prüfung und Beratung einzuräumen ist. Die Bewältigung dieser Aufgabe, die nunmehr dringlich wird, ist im Bereich der Polizei besonders schwierig. Über ein Jahrhundert verfolgte der Gesetzgeber das dein Gebot des Spezifischen entgegengesetzte Prinzip der Generalklausel , das der Polizei mit der Aufgabe auch die Befugnisse übertrug, die zur Wahrnehmung der Aufgabe nötig, geeignet und angemessen waren, Die Generalklausel sollte die Polizei befähigen, ihre Bekämpfungsmaßnahmen der sich ständig wandelnden Kriminalität laufend anzupassen, ohne auf ständige und meist, hinterdreinhinkende gesetzgeberische Nachbesserungen angewiesen zu sein.

Die gesetzgeberische Neuordnung muß vor allem die Voraussetzungen einer Fahndungsabfrage aufgrund eines vorliegenden Ausweises festschreiben, das heißt, sie muß die Fahndung mit der Identitätsfeststellung verklammern: Ein Ausweis dient als Fahndungsgrundlage dort, wo er zur Indentitätsprüfung der Polizei vorzulegen ist.

In der Bundesrepublik wurden 1972 die bisherigen manuellen Fahndungsunterlagen, Mitteilungsblätter, Fahndungsbücher oder Karteien, durch ein bundesweites Computersystem abgelöst, das den Namen INPOL tragt. Im Bundeskriminalamt arbeiten fünf Großrechenanlagen, die mit den jeweils mehreren Großrechenanlagen der Landeskriminalämter verbunden sind. An die Anlagen der Länder sind zirka 2500 Terminals, das heißt Eingabe- und Abfragestationen angeschlossen. Im Tag- und Nachtbetrieb beantwortet das Gesamtsystem monatlich zirka 1,5 Millionen Anfragen, wonach das zwanzigfache dessen, was vorher durch Brief, Fernschreiben oder Telefon angefragt wurde. Das neue, sekundengenaue und hochaktuelle elektronische Hilfsmittel ersetzte in der Personenfahndung die bis zu 1,5 Kilogramm schweren unhandlichen Fahndungsbücher, deren Redaktion, Druck und Versand über sechs Wochen in Anspruch nahm, so daß sie bereits veraltet heim Beamten eintrafen. Für die Sachfahndung gab es vorher mit Ausnahme einer zentralen und daher kaum erreichbaren Kraftfahrzeug(Kfz)- Fahndungsdatei. INPOL wirkt wie ein gemeinsames Notizbuch aller Polizeibeamten, in das im Fahndungsbereich jeder Polizeibeamte Einsicht nehmen kann.

Alle Polizeidienststellen geben die Haftbefehle und Diebstahlsmeldungen von Sachen in dem Augenblick in das System ein, in dem diese Daten bei ihnen anfallen; in der gleichen Sekunde stehen die Fahndungsdaten im Rahmen der gesetzlich zulässigen Identitätsprüfung für Fahndungsabfragen zur Verfügung. Bei einer Personalabfrage wird der Name, Vorname und das Geburtsdatum einer Person, SO wie er aus dem Paß oder Personalausweis zu entnehmen ist, über die Tastatur einer Datenstation in den Rechner eingegeben. Unmittelbar darauf erscheint die Anwort auf dem Bildschirm: entweder "Kein Fahndungsbestand" oder die Nachricht, daß gegen eine Person der angefragten Personalien wegen eines näher bezeichneten Deliktes ein richterlich laufender Haftbefehl bestehe, Im Falle eines solchen "Fahndungstreffers" hat der Kontrollbeamte weitere Identifizierungsmaßnahmen einzuleiten.

Durch Eintippen der Seriennummer, des Bundespersonalausweises kann zugleich der Sachfahndungsbestand der abhandengekommenen Personalausweise befragt werden. Lautet die Antwort dann auf dem Bildschirm: "Zur Person kein Fahndungsbestand. Ausweis jedoch am 21. 2. 85 in Düsseldorf entwendet", so muß der Kontrollbeamte davon ausgehen, daß der Betroffene mißbräuchlich einen entwendeten Personalausweis benutzt.

Die Trefferquote der im Rahmen von Identitätsüberprüfungen an INPOL gerichteten Personenabfragen liegt bei 1 Prozent, in der Sachfahndung, je nach Gegenstand, oft nur im Promillebereich. Gleichwohl bewirkte die Einführung des Systemes schon nach wenigen Monaten die Halbierung der Fahndungsbestände. Die Zahl der gesuchten Personen sank von 120 000 auf 60 000, stagniert jedoch seither in dieser Höhe, weil vor allem das organisierte Verbrechen Fälschungstechniken entwickelt hat, die das System unterlaufen. Zwei Drittel aller Fahndungsaufgriffe erfolgen an den Bundesgrenzen.

Jeder Staat, der ein dem INPOL-System vergleichbares elektronisches Fahndungssystem betreibt, wäre in der Lage, das System über den engeren Fahndungszweck hinaus für weitergehende Polizeizwecke und sogar als Hilfsmittel der Bürgerüberwachung zu mißbrauchen.

Zunächst könnte jede Fahndungsanfrage über die Fahndungsbestände hinaus zugleich an andere polizeiliche oder außerpolizeiliche Dateien gerichtet werden. Bestünde gar eine automatisierte Rechner-Rechner-Verbindung unter den staatlichen Behörden, also ein Datenverbund, so ließen sich alle auf eine Person bezogenen Erkenntnisse von Meldeamt, Paßamt, Schule, Wehrdienst, Krankenkasse, Nachrichtendienst, Polizei etc. ressortübergreifend und in wechselseitiger Abfragbarkeit bei jeder beliebigen Behörde zusammenfassen. Durch Datenkombinationen aus den verschiedenen Dateien erhielte der Kontrollbeamte auf dem Bildschirm ein lückenloses Persönlichkeitsprofil seines Gegenübers.

Andererseits könnten aufgrund der Fahndungsabfragen neue zusätzliche Dateien errichtet werden, so zum Beispiel wenn sämtliche "erfolglosen Fahndungsabfragen", also 99 Prozent aller Personenabfragen, "mitgeschnitten" und Inhalt, Ort und Zeit von Abfragen und Antworten auf einer neuen Datei, auf Magnetplatte oder Magnetbändern oder auf anderen Datenträgern gespeichert würden. Geschähe dies, so ließe sich nachverfolgen, welche Bürger wann und wo kontrolliert worden sind. Automatisch entständen in alphabetischer Folge "Bewegungskonten" aller abgefragten Bürger, die, durch weitere Kontrollvorgänge laufend fortgeschrieben, rasch immer dichtere "Bewegungsbilder" der Reisen und Aufenthalte ergäben.

In einem solchen Fall würde die Maschinenlesbarkeit eines Ausweises die zeitliche Kontrolldichte, das heißt die -Zahl der Kontrollvorgänge pro Zeiteinheit, und damit die Eintragungen im Bewegungskonto zweifellos erhöhen und dazu beitragen, rasch alle Bürger in Bewegungsbildern zu erfassen. Der Staat wüßte stets, wo sich jeder Einzelne aufgehalten hat - in der Tat die Realisierung Orwellscher Visionen.

wird fortgesetzt